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Die endgültige Diagnose

Mein Mann hatte für den 5. August im Brustzentrum Bayreuth einen Termin vereinbart, gerade mal fünf Tage nach dem Besuch bei der Frauenärztin in München. Die Tage bis zum vereinbarten Termin zogen sich endlos in die Länge. Die scheinbare Ungewissheit und meine kreisenden Gedanken um eine Brustkrebserkrankung raubten mir fast den Verstand. Meine Ängste hatten das Ruder übernommen. Die Frage nach dem Warum stellte sich mir gar nicht, denn ich kannte die Antwort: Mein Leben sollte so nicht mehr weitergehen … Ich ergab mich meinem Schicksal.

Auf der Fahrt nach Bayreuth sprachen mein Mann und ich kein Wort, so sehr lähmten uns die Anspannung und die Angst vor der bevorstehenden Untersuchung. Im Brustzentrum wurde ich dann zunächst von einer Ärztin untersucht, die meine Brust wieder abtastete und einen Ultraschall machte. Small Talk begleitete die Untersuchung, um mich abzulenken, doch es fiel mir schwer, ein Gespräch zu führen. Als sie mich aufforderte zur Mammographie zu gehen, überkam mich erneut eine Welle der Angst und mir wurde übel. „Oh nein“, dachte ich, „jetzt wird meine Brust zerquetscht und dabei wird noch mehr kaputt gemacht.“ Ich zitterte. Die Assistentinnen bei der Mammographie waren sehr nett und ruhig, ich spürte ihre Routine. Sie positionierten mich und legten meine Brust in dieses Gerät. Als ich noch auf den Schmerz wartete, von dem so viel berichtet wurde, war es dann aber schon vorbei. Weder Schmerz noch Gequetsche. Wieder einmal durfte ich erfahren, dass ich mich von den Erfahrungen anderer hatte beeinflussen lassen, ohne mir vorher selbst ein Bild zu machen. Mir wurde bewusst, wie normal dieses Verhalten für uns geworden ist. Wir hören oder lesen etwas und versehen es augenblicklich mit einer Bewertung. Entweder etwas ist gut oder eben schlecht. Daraufhin glauben wir etwas zu wissen, werden Verfechter dieser Meinung und treten in Konflikt mit anderen Menschen, die dann unserer Meinung nach unwissentlich denken oder handeln. Mehr und mehr begann ich zu verstehen.

Auf die Mammographie folgte die Biopsie, die wieder von der Ärztin durchgeführt wurde. Bei der lokalen Betäubung meiner Brust zuckten Schmerzen durch meinen Körper und Tränen liefen über meine Wangen. Nach der eintretenden Wirkung des Narkosemittels begann sie, in meine Brust zu stanzen und ich sah das Blut fließen. Wer schon einmal eine Biopsie hat machen lassen, weiß, wovon ich hier berichte. Ich spürte das Mitgefühl und die Hilflosigkeit meines Mannes, der bei dem gesamten Prozedere wortlos mit Tränen gefüllten Augen zuschaute. Und während ich mich in meinen Schmerz verlor und am liebsten ohnmächtig geworden wäre, drängte sich mir das Bild einer Schlachtbank auf: Und rums, wieder wird in die Brust gestanzt, und wieder und wieder … Als ich mich endlich dem Geschehen ergeben und mich fallen lassen konnte, entspannte sich mein Körper. Ich erinnere mich heute noch gut an den Moment, als sich meine Atmung vertiefte und ich wieder in Kontakt mit meiner inneren Stärke kam. Es war wie ein helles Leuchten in dieser vermeintlichen Dunkelheit.

„Dem entnommenen Gewebe nach zu urteilen, ist es ein Krebstumor – Mammakarzinom“, schlussfolgerte die Ärztin. Für noch genauere Fakten müsse das Gewebe untersucht werden. Bevor die Bedeutung ihrer Aussage auch nur ansatzweise in mein Bewusstsein dringen konnte, holte die Ärztin den Chefarzt hinzu, der mir weitere Einzelheiten erläutern sollte.

Herein kam ein leicht untersetzter Mann, der ganz ruhig mit mir und meinem Mann redete. Behutsam erklärte er uns eventuelle Maßnahmen, wie eine anstehende Chemotherapie, und streichelte mir dabei sanft über die Wange. Ich mochte ihn sofort. Er strahlte ein großes Maß an Vertrauen aus und ich fühlte mich bei ihm gut aufgehoben. Ab diesem Zeitpunkt war er für mich mein „Teddybär-Arzt“.

Nach Beendigung des Gesprächs realisierte ich langsam das Ausmaß des eben Besprochenen und ließ meinen Gefühlen freien Lauf. Als ich mich etwas beruhigt hatte, fuhren wir nach Hause. War das wirklich alles wahr? Es fühlte sich so irreal an.

Ich saß im Auto und mir war klar: Dies war nicht eines der üblichen Probleme des alltäglichen Lebens, wie Liebeskummer, Geldmangel oder eine Grippe, bei denen ich Lösungsansätze aus den Erfahrungen der Vergangenheit anwenden konnte. Nein, diese Situation erlaubte es mir nicht auf die Hilfe angelernter oder antrainierter Verhaltensmuster zurückzugreifen. In meinem Kopf, wo sich sonst sofort Strategien der Problembeseitigung auftaten, war nun eine große, weite Leere. Ich fragte mich: „Wer bin ich, wenn diese Geschichte der Diana plötzlich zusammenbricht?“ „Wer bin ich ohne meine Geschichte?“ „Wer bin ich, wenn all diese Rollen an Bedeutung verlieren?“ „Wer bin ich hinter den Gefühlen von Angst und Ohnmacht?“

Wir identifizieren uns in unserem Leben mit dem Kind-, Erwachsen-, Mann- oder Frausein. Wir identifizieren uns mit unserem Job, mit Geld und materiellen Dingen und nicht zuletzt identifizieren wir uns mit unserem Körper und mit dessen Gefühlen. Das alles glauben wir zu sein. Und so habe auch ich mich mit den verschiedensten Rollen, aber auch Gefühlen wie Angst identifiziert. Ich war gefangen in einer Matrix aus selbst kreierten Gitterstäben. Als mir das bewusst wurde, sah ich mich vor einem großen Abgrund stehen, dessen Tiefe nicht zu erkennen war. Sollte ich etwa einfach springen?

Ich sprang.

Und damit begann mein Aufbruch in die Wahrheit, der mich erleben ließ, wer und was ich wirklich bin.

1 x Chemo mit Esprit, bitte!

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