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Kapitel II

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„Ava, kommen Sie nur rein. Ich hoffe es geht für Sie in Ordnung, wenn ich Sie mit dem Vornamen anspreche. Das ist bei uns in der Firma so üblich. Ich bin übrigens Johann. Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen ein wenig blass aus. Sie werden doch nicht nervös? Setzen Sie sich doch erst mal.“

Überfordert mit der Situation von draußen und seinem Redeschwall musste ich mich erst mal orientierten. Mein Chef, also Johann, sah mich wartend an. Es wurde Zeit, dass ich auch endlich etwas sage.

„Freut mich Sie kennen zu lernen“, etwas intelligenteres fiel mir momentan nicht ein.

„Setzen Sie sich, kommen Sie, kommen Sie. Eine Frau wie Sie wird doch nicht nervös sein!“

Seine Euphorie hätte ich gerne. Also setzte ich mich auf einen äußerst bequemen weißen Stuhl, während er um seinen gläsernen Schreibtisch herumging. Erst jetzt fiel mir auf, wie klein sein Büro eigentlich war. Für ein Chefbüro sah es ziemlich karg und ehrlich gesagt gewöhnlich aus. Mein zweiter Blick fiel auf meinen neuen Chef. Er war knapp vor der Pension, sah für sein Alter aber immer noch sehr gut aus.

„Also“, begann er, „Willkommen in der neuen Firma. Ich weiß, es ist ungewöhnlich, dass der Chef höchstpersönlich die neuen Mitarbeiter begrüßt, aber Sie wollte ich mir nicht entgehen lassen. Maria, meine Sekretärin, haben Sie ja schon kennen gelernt. Ava, Ihr Büro befindet sich eine Etage unter uns, dort hat übrigens auch mein Sohn sein Büro. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, ich hasse sein Büro. Es ist riesig und viel zu dunkel. Aber es passt zu meinem Sohn. Sie werden entweder mit ihm oder mit einen seiner Lakaien zusammenarbeiten. Ja, ich bezeichne Sie immer als Lakaien, denn so ganz habe ich noch nie verstanden, welche Beziehung sie zueinander haben. Vielleicht können Sie es ja rausfinden, aber dann müssen Sie es mir berichten.“

Er lachte über seinen eigenen Witz. Musste er eigentlich auch mal Luft holen?

„Ich weiß ich rede sehr, sehr viel. Mein Sohn sagt es mir ständig. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum er so wenig redet. Er war bei mir einfach nie zu Wort gekommen und konnte immer nur das Notwendige sagen. Aber sie werden Ihn ja bald kennen lernen. Bevor ich jetzt noch mehr rede, haben Sie irgendwelche Fragen?“

Eine Frage schoss mir durch den Kopf, aber sollte ich sie wirklich stellen? Ich war schon immer ein sehr direkter Mensch gewesen und scheute mich nicht, das zu sagen, was ich mir dachte. Er sollte mich so kennen lernen wie ich bin, also warum nicht.

„Warum ich?“

Verwirrt schaute er mich an. Hatte er meine Frage nicht verstanden? War es eine blöde Frage?

„Ich meine, ich habe nicht die besten Noten aus meinem Studium mitgebracht. Ich hatte zuvor nie einen Praktikumsplatz und bringe auch sonst keine Erfahrung mit. Meine Bewerbung war vielleicht nicht die Schlechteste, aber sicher nicht die Beste. Also, warum ich?“

„Ich habe ihre Frage schon verstanden, keine Sorge. Mein Zögern rührte daher, dass ich erst überlegen musste, ob ich Ihnen die Wahrheit sagen sollte. Aber nachdem Sie ehrlich zu mir sein sollen, will ich auch ehrlich zu Ihnen sein.“

Irgendwie war sein freundlicher Ton nun verschwunden. Er wirkte auch nicht mehr so überschwänglich wie zuvor. Kühl und distanziert war sämtliche Euphorie aus seinen Augen verschwunden.

„Sie wurden aus einem ganz bestimmten Grund ausgewählt. Wer war Ihr bester Professor?“

Ohne zu überlegen antwortete ich: „Dr. Schneller.“

Nickend saß er mir gegenüber. „Dr. Schneller und mich verbindet eine langjährige Freundschaft. Ihr Professor und ich haben so unser jährliches Ritual. Jedes Jahr frage ich ihn, wer sein bester Student sei. Normalerweise erhielt ich einfach einen Namen und diese Person wurde sofort bei uns eingestellt. Dieses Jahr war es anders.“

Johann stand aus seinem Sessel auf und ging zur Glasfront, aus der er halb Wien überblicken konnte. Sein Blick ruhte auf dem Riesenrad, welches gut zu erkennen war.

„Als ich ihn fragte, wer sein bester Student sei, sagte er, er hätte zwei Probleme. Erstens, dieser Student sei nicht der Beste. Zumindest was die Noten anging. Aber er sei einer der klügsten. Dieser Student investierte nur Zeit in Dinge, die wirklich bedeutsam waren. Er scheue sich nicht davor, seine Meinung zu sagen und diese auch hartnäckig zu vertreten. Er sei ein Sturkopf und nur schwer zu kontrollieren.“ Nach diesen Ausführungen drehte er sich wieder zu mir um, lehnte sich lässig gegen das Fensterbrett und blickte mich ernst an.

„Natürlich sagte ich sofort, den Burschen will ich haben. Aber ihr Professor antwortete mir nur, da haben wir das zweite Problem. Es ist kein Mann, sondern eine junge und hübsche Frau.“

Überrascht von seinen Ausführungen brauchte ich ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass ich gemeint war. Zu meinem Professor hatte ich immer eine gute Beziehung und in den Jahren ist sogar eine Freundschaft entstanden, aber dass er mich für einen Job empfehlen würde, wusste ich nicht. Er hatte mir auch nichts davon gesagt. Johann setzte sich wieder auf seinen Platz.

„Da haben Sie ihre Antwort, warum gerade Sie. Sie können sich bei ihrem Professor bedanken. Ich hatte noch nie eine Frau als Empfehlung bekommen. Professor Schneller würde schon wissen warum. Aber allein seine Aussage reichte mir noch nicht um Sie einzustellen. Deshalb schickte ich meinen Sohn und seine Lakaien in Ihre Vorlesungen. Am Anfang waren wir sehr enttäuscht. Sie saßen an Ihrem Platz, in ihren Laptop vertieft und shoppten im Internet. Daher dachte ich mir, der Professor wird nun auch schon alt. Eine andere Erklärung hatte ich nicht für Ihre Empfehlung. Aber mein Sohn besuchte noch eine zusätzliche Vorlesung von Ihnen, nämlich bei Dr. Schneller. Danach kam er in mein Büro gestürmt und schrie mich an, dass er Sie haben will. Haben Sie eine Idee, welche Vorlesung das gewesen sein könnte?“

In meinem Kopf fingen sich sofort die Rädchen an zu drehen. Ich bin in so vielen Vorlesungen gesessen. Aber nachdem die Empfehlung noch nicht so lange her sein kann, muss das in den letzten paar Monaten passiert sein. Woher weiß er überhaupt, dass ich im Internet geshoppt habe?

Das einzig aufregende in den letzten Vorlesungen war, dass ich von Dr. Schneller rausgeworfen wurde und das völlig ungerechtfertigt.

Kühl sagte ich: „Sie meinen die Vorlesung, aus der ich rausgeworfen wurde.“

Mir war es nicht peinlich, überhaupt weil ich im Recht war. Irgendeine reiche Tussi, hauptberuflich Tochter, stellte immer wieder absolut peinliche Fragen. An diesem Tag war ich so und so schon schlecht gelaunt und durch ihre dämlichen Fragen kamen wir im Stoff nicht weiter. Auch Dr. Schneller war von ihren Fragen schon genervt, aber er konnte das natürlich nicht so direkt sagen. Also übernahm ich diese Aufgabe und sagte so laut wie möglich, damit es der ganze Saal hörte, wenn sie zu dämlich dafür sei, soll sie bitte nach Hause gehen, aber nicht unsere Zeit mit ihren unnötigen Fragen verschwenden. Das hauptberufliche Töchterchen war es nicht gewohnt, dass jemand so mit ihr sprach und antwortete mir empört, dass ich Bauerntrampel vom Land das wahrscheinlich nicht kenne, aber in einem professionellen Umfeld geht man so nicht miteinander um. Meine Antwort darauf fiel kurz und knapp aus. „Das einzige Umfeld, in dem du professionell wirkst, ist der Praterstern.“

Vielleicht wäre es nicht notwendig gewesen, sie als Prostituierte zu bezeichnen, aber ich hatte einen schlechten Tag. Leider war Dr. Schneller nicht auf meiner Seite.

„Ava, verlassen Sie den Saal. Ich erwarte Sie nach der Vorlesung in meinem Büro.“

Ein Raunen ging durch den ganzen Saal und ich hatte bestimmt 200 Augenpaare auf mir kleben. Diskussionen mit Dr. Schneller hatten noch nie etwas gebracht, also packte ich meine Sachen und ging in der Zwischenzeit in die Bibliothek. Nach dem Ende der Vorlesung klopfte ich an seine Tür.

„Wie ist das Gespräch zwischen Dr. Schneller und Ihnen nach dieser Vorlesung verlaufen?“, mein Chef riss mich aus meinen Gedanken.

Ich blieb bei meiner Ehrlichkeit und die Antwort fiel dementsprechend aus: „Als Gespräch kann man das nicht wirklich bezeichnen. Wie ein kleines Schulmädchen stand ich dort und konnte mir einen Vortrag über Respekt, Geduld und Würde anhören.“

„Was haben Sie daraus gelernt?“

Der freundliche Chef, der so viel redet war mir um einiges lieber.

„Meine Konflikte nicht vor Obrigkeiten auszutragen.“

„Falsche Antwort, Ava, falsche Antwort“, seufzte er. „Ich hoffe, das war die einzige Enttäuschung, die ich von Ihnen erleben werde. Ich erwarte viel von Ihnen.“

Stumm und regungslos blieb ich sitzen. Was sollte ich sagen? Ich hatte meinen Chef schon am ersten Tag enttäuscht. Super Leistung. Johann fokussierte mich mit seinen Augen und die Wärme kehrte wieder zurück.

„Ich bringe Sie jetzt in ihr Büro, Ihr Kollege erwartet Sie bereits. Sie werden sicher toll zusammenarbeiten. Bei Fragen können Sie sich jederzeit an ihn wenden, ansonsten steht mein Sohn Ihnen natürlich gerne zur Verfügung. Er wollte Sie haben, jetzt soll er die Suppe auch auslöffeln“, wieder lachte er über seinen eigenen Witz.

Gemeinsam gingen wir aus seinem Büro und an Marias Schreibtisch vorbei. Sie saß gut gelaunt auf ihrem Sessel und tippte etwas in den Computer. Hatte ich mir das vorhin nur eingebildet? Sie lächelte mir zu und wünschte mir viel Glück für meinen ersten Arbeitstag.

Ein Stockwerk weiter unten stiegen wir aus dem Lift aus. Von der rustikalen Gemütlichkeit aus der Chefetage war nicht mehr viel vorhanden. Jetzt wusste ich, was Johann vorhin mit riesig und dunkel gemeint hatte. Alles war schwarz und aus Glas. Die armen Angestellten, die hier putzen mussten. Man würde jedes Staubkorn sehen.

Johann führt mich an vielen Büros vorbei. Mitten im Raum befanden sich einige freistehende Schreibtische. An der Wand entlang konnte man einzelne Büros erkennen. In einige konnte man hineinsehen, andere waren verdunkelt. Perplex blieb ich stehen, als sich neben mir plötzlich eine der Scheiben des Büros verdunkelte. Wie es aussieht konnte man das manuell steuern. Das musste ja ein Vermögen gekostet haben.

Zu meiner Überraschung erhielt ich keinen Platz im Raum, sondern ein einzelnes Büro. Noch größer war die Überraschung, als wir den Raum betraten. Es standen zwei Schreibtische im Raum. Einer davon sollte offensichtlich mir gehören, der andere war bereits besetzt.

Lieber Gott, was habe ich verbrochen, dass du mich so bestrafen musst?


Warum ich?

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