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»Alles ab 1 Euro«
ОглавлениеVON MARCUS ROHWETTER
DIE ZEIT, 20.06.2013 Nr. 26
Jede Innenstadt hat ihre A-, B- und C-Lagen. Das Lagen-Alphabet kann jeder Kaufmann auswendig aufsagen, und je weiter hinten die Lage eines Ladenlokals im Alphabet einzuordnen ist, desto schlechter ist sie. In den A-Lagen der großen Metropolen findet man beispielsweise Filialen von Prada, Jil Sander oder Louis Vuitton, wohingegen Schuhdiscounter, Jeansläden und Kaufhäuser die B-Lagen prägen. Ganz unten in der Lagenhierarchie stehen Sonnenstudios, Läden für Bodybuilder-Spezialnahrung und natürlich die »Alles ab 1 Euro«-Geschäfte.
Zu erkennen sind diese von außen an den großen roten Aufklebern mit ebenjenem Spruch auf den Schaufenstern. Im Innern bezaubern sie mit der größtmöglichen Auswahl an Plastikprodukten in ungewöhnlichen Farben. Duschhauben, Haarreife, Trinkbecher, Luftpumpen – und »alles ab 1 Euro«.
Der Werbespruch ist ein Klassiker der Rubrik: Nicht falsch und doch gelogen. Denn »alles ab 1 Euro« ist immer richtig, sofern es in einem Millionen Teile umfassenden Sortiment auch nur ein einziges Teil gibt, das einen Euro kostet. Beispiel: Nur mal angenommen, in einer Luxusboutique könnte man für 1 Euro einzelne kleine grüne Plastikknöpfe erwerben, wohingegen alles andere sonst um ein Vielfaches teurer wäre und schon ein Paar Socken 200 Euro kosten würde – dann wäre der Satz korrekt.
Im »ab« steckt das Geheimnis, dass den Spruch so sinnlos werden lässt, dass man sich ihn gleich ganz schenken könnte. Aber das will der gemeine Für-Dumm-Verkäufer nicht, denn irgendwie wollen seine Kunden sich ja wohl doch ein klein wenig der Illusion hingeben. Hinters Licht geführt werden sie ja in jedem Fall. Natürlich ist der Krempel in den Luxusläden der A-Lagen in der Regel hoffnungslos überteuert. Dass in den 1-Euro-Läden aber alles sein Geld wert sein muss, ist damit noch lange nicht bewiesen.