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»Bewusster Konsum«
ОглавлениеVON MARCUS ROHWETTER
DIE ZEIT, 22.11.2012 Nr. 48
Gut, dass Selbstbetrug keine Straftat ist. Sonst säßen wohl schon viele Verbraucher im Gefängnis. Weil sie sich etwas vormachen. Oder einreden. Etwa, dass sie »bewusst konsumieren« und damit Gutes tun.
Wie trügerisch das Märchen vom bewussten Konsum ist, lässt sich schnell herausfinden, indem man den Begriff in sein Gegenteil verkehrt. Das ist eine bewährte Methode. Ergibt das Gegenteil einen Sinn, so handelt es sich bei dem ursprünglichen Ausdruck um eine Differenzierung. Andernfalls handelt es sich um Bullshit. Also: Bewusster Konsum, das klingt gut. Aber das Gegenteil? Bewusstloser Konsum. Gibt’s nicht. Wenn es aber bewusstlosen Konsum nicht gibt, ergibt auch bewusster Konsum keinen Sinn.
Trotzdem finden wir bewussten Konsum meistens gut. Der Industrie kommt das sehr gelegen, und ich würde wetten, dass sie das Märchen vom bewussten Konsumenten nach Kräften mitgeschrieben hat.
Als bewusste Konsumenten wissen wir, dass unser Handeln Folgen hat. Es ist ja auch kaum mehr zu übersehen, dass unser Lebensstil nicht bloß Vorteile bringt: Regenwald weg, Klima kaputt, Monokulturen auf dem Acker. Schlachtrinder fristen ihr übles Dasein, ebenso die Leute, die in westafrikanischen Minen die Zutaten für unsere Handys aus der Erde buddeln. Bewusster Konsum erlaubt da ein Eingeständnis ohne Folgen, schon gar nicht in Richtung Verzicht. Sonst hieße es ja beschränkter Konsum, was es aber nicht heißt.
Als raising awareness bezeichnen Meinungsmacher die Sichbewusstmachung von Problemen, mit der sich das eigene Verhalten praktischerweise kaschieren lässt. Der öffentlich geäußerte Teil geht so: »Ja, ich bin mir der negativen Folgen meines Lebensstils bewusst.« Der privat gehaltene, meist verschwiegene Teil: »Aber, ätsch, ich ändere ihn nicht, weil es so toll ist, schnell an billige Möbel, Steaks und Gadgets zu kommen.« Bleibt also alles, wie es ist. Dank bewusstem Konsum. Das Strafgesetzbuch hat für so etwas übrigens auch einen Begriff: Er heißt Vorsatz.