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»Herzlichen Glückwunsch!«
ОглавлениеVON MARCUS ROHWETTER
DIE ZEIT, 07.03.2013 Nr. 11
Der Tag der Hochzeit wird traditionell als schönster Tag im Leben bezeichnet, was nicht unproblematisch ist, weil das ja zugleich heißt, dass es nach diesem Ereignis nur noch bergab gehen könne. Fast genauso schön wie Hochzeiten sind Geburtstage: Stets kommen viele nette Leute zu Besuch, freuen sich aufrichtig, machen Geschenke und gratulieren. Das macht glücklich.
Auch der Einzelhandel will seine Kunden glücklich machen. Zumindest gratuliert er ihnen permanent, als müsse der Erwerb einer banalen Ware den allerschönsten Moment im Leben darstellen, schöner noch als sämtliche Geburtstage und Hochzeiten zusammen. Schon die Entgegennahme einer Papiertragetüte kann eine Gratulationsorgie auslösen. Eine solche Tüte erhielt ich neulich an der Kasse eines Warenhauses. Innen befand sich ein Etikett: »Herzlichen Glückwunsch! Sie halten eine von Hand gefertigte Tragetasche in Ihren Händen. Durch ihre Individualität wird jedes Einzelstück zu einem besonderen Unikat.«
Herzlichen Glückwunsch meinerseits, liebes Warenhaus! Für dümmer wollte mich bislang noch niemand verkaufen. Eine Papiertüte soll wegen ihrer Einzigartigkeit besonders einzigartig sein? Ich habe jedenfalls kein Glück verspürt, eine Papiertragetasche erworben zu haben, aber vielleicht fehlt es mir auch an der nötigen Demut, um auch die kleinen Dinge des Alltags schätzen zu können. Wofür also werde ich beglückwünscht? Soll ich dankbar sein, dass ich eine Tüte kaufen durfte, um meinen persönlichen Lebensstil auszudrücken? Ist es das, was Menschsein ausmacht?
Rätsel über Rätsel. Sie blieben ungelöst, während ich die Tüte, mir selbst für mein Umweltbewusstsein gratulierend, in dem dafür vorgesehenen Altpapiercontainer entsorgte.