Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 14

Unterwerfung

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Der Grund der Unterwerfung ist nichts weniger als ein unserm Geschlecht natürlicher Dienstwille; es ist keine Spur eines solchen Willens in unserer tierischen Natur.

Der Grund der Unterwerfung ist Selbstsorge.

Das gesellschaftliche Recht kann also die Grundsätze der Unterwerfung auf kein anders Fundament bauen als auf dasjenige, auf welches unsere Natur sie selber gebauet hat. Auch kann die äußere Form, in welcher der unterworfene Mensch den tierischen Trieben seiner Selbsterhaltung und Selbstversorgung entgegen zu streben genötiget ist, das Wesen seines gesellschaftlichen Rechts auf keine Weise verändern. Er soll durch Unterwerfung nichts weniger als den Zweck der gesellschaftlichen Vereinigung, den Ersatz seiner Naturansprüche, verlieren, er soll ihn vielmehr durch dieselbe sicher stellen. Er hat als unterworfener Mann vorzüglich Anspruch an eine weise Organisation des bürgerlichen Erwerbs, an gesetzliche Sicherstellung der niederen Rechte des untergeordneten Eigentums, an gesicherte und allgemeine Volksbildungsanstalten, an Schutz eines jeden dem Armen möglichen Erwerbs, an gesetzliche Beschränkung der Reichen in jeder gemeinschädlichen Benutzung ihrer Fonds.

Eine andere Frage ist: Genießt der unterworfene Mann in den wirklich bestehenden bürgerlichen Einrichtungen sein gesellschaftliches Recht? Oder ist im Gegenteil wahr, daß die Unterwerfung in den Jahrbüchern des Menschengeschlechts allgemein bloß als ein Zwang- und Notstand zum Vorschein kommt, in welchem die Schwäche unsers Geschlechts, von aller Sicherheit des Rechts soviel als gesetzlich ausgeschlossen und in den wesentlichsten Bedürfnissen des Lebens beeinträchtiget, sich in Lagen versetzt siehet, die ihm nicht einmal erlauben, sein Leben anders, wenn auch nicht mühsam und elend, doch in seinen ersten Gefühlen gekränkt und durch Rechtlosigkeit und Ehrlosigkeit erniedriget zu durchserben? Eben diese Jahrbücher aber sagen dann auch, daß das Menschengeschlecht unter diesen Umständen allgemein neidisch, tückisch, diebisch, niederträchtig, untreu und verräterisch werde, daß sein Innerstes sich gegen jede größere gesellschaftliche Kraft und gegen einen jeden Menschen, der in einer gesellschaftlich bessern Lage ist, empöre.

Die tierische Selbstständigkeit, die meine Natur fordert, findet nur in der gesellschaftlichen Selbstständigkeit einen befriedigenden Ersatz.

Die Grundgefühle meiner tierischen Natur sind alle wider die Unterwerfung, sie stößt in ihrem Wesen an den gewaltsamen Trieb, in den Angelegenheiten meiner Selbsterhaltung unabhängig und selbstständig zu sein oder wenigstens mich unabhängig und selbstständig machen zu können, und gegen das mit so vieler Kraft in mir liegende Mißtrauen gegen alles, was diese Selbstständigkeit entreißen oder erschweren kann.

Das Gefühl meiner rechtlosen unsichern Lage im gesellschaftlichen Zustand tötet alle Grundlagen des menschlichen Geistes, durch welche die Veredlung der Nation allein möglich gemacht wird. Die Geschlechter der Menschen versinken durch bürgerliche Erniedrigung in jedem Staat zur möglichen Schlechtigkeit herab und erheben sich durch gesellschaftliche Selbstständigkeit zu jeder bürgerlichen Tugend. Daher der Unterschied zwischen dem Edelmut des ungarischen Adels und der Kriecherei des ††schen und ††schen; daher der Unterschied zwischen Helvetiens Bergbewohnern und den polnischen Bauern, und eben so der Unterschied zwischen einem gesetzlich gesicherten Handlungsstand und tief erniedrigten reichen Fabrikknechten, zwischen einem ehrenfesten bürgerlichen Arbeitsstand und ehrlosem Fabrikgesindel.

Johann Heinrich Pestalozzi

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