Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 8

Die Kenntnisse, das Wissen des Menschen

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Der Mensch labet sich an der Quelle seines Wissens mit reinem Wasser, und wann er sich weiter wagt, wann er die großen Wellen der ewigen Meere durchbricht und über ihre unergründlichen Tiefen daher schwimmt, so erhebt sich sein Herz im schwellenden Busen. Einer trinkt dann auch wohl in der Brandung am Felsengestad giftigen Schaum; einer wagt sich in Untiefen, die er nicht kennt, ein anderer in den Strom, wo er Gebirge mit sich in seinen Schlund reißt – sie gehen alle dem Tod entgegen; aber das Grab der Menschheit sind die weiten Ebenen, wo eingezwungene Wasser zum stehenden Sumpf werden, du findest in ihrem weiten Raum keine Stelle zum Trinken, keine zum Schwimmen, keine zum Baden, aber du sinkest mit jedem Schritt in ihren unergründlichen Kot.

Die menschliche Erkenntnis entspringt aus der Unbehilflichkeit unserer Natur in ihrer tierischen Freiheit, diese führt unser Geschlecht zur Vereinigung seiner Kräfte, und der erste Zweck dieser Vereinigung ist, die Genüsse des Lebens, die unsere Natur fordert, uns selber leichter, sicherer und befriedigender verschaffen zu können, als dieses uns ohne Vereinigung unserer Kräfte mit andern möglich wäre.

Der ursprüngliche Zweck des menschlichen Wissens ist seiner Natur nach mit dem Zweck der menschlichen Vereinigung der nämliche; aber es ist nichts desto weniger gewiß, daß die gesellschaftliche Menschheit sich durch ihr Wissen immer mehr von diesem Zweck entfernt – daß unsere Kenntnisse immer mehr auf einer schwärmenden Neigung beruhen, uns den Kopf mit fremden, uns gar nicht mehr berührenden Gegenständen anzufüllen. Daher eine Menge Menschen mit den ausgebreitetsten Kenntnissen dennoch in ihren wesentlichsten Angelegenheiten handeln, als wenn sie nichts wüßten, und, verführt durch die Ausartung ihrer Kenntnisse, dahin kommen, Träumer, Bettler und Schurken zu werden.

Gott sprach zum Menschen in Eden: du sollst die Früchte des Baums der Erkenntnis nicht mit tierischer Rohheit an dich reißen – tust du es, so wird deine Erkenntnis eine unversiegliche Quelle des Todes für dich sein, wirst du dich aber, deiner Pflicht getreu, zum ruhigen Beschauen seiner Früchte erheben, so wirst du glücklich leben auf Erden, ich selber will mit dir in deinen Gefilden wohnen. Aber der Tiersinn des Menschen wand sich wie eine Schlange um den Baum der Erkenntnis – und sagte zum lüsternen Geschlecht: warum solltest du sehen, was wahr und gut ist, und nicht mit aller Macht, die in deiner Hand ist, darnach greifen? Da riß seine tierische Begehrlichkeit mit weibischer Schwäche die verbotene Frucht von den Ästen des Baumes – jetzt war seine Unschuld dahin – die Scham blieb ihm übrig – er suchte jetzt Feigenblätter gegen die Wahrheit seiner Natur und ein Recht gegen seinen Verführer. – So war es im Anfang, und so ist es immer.

Johann Heinrich Pestalozzi

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