Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 15

Beherrschung

Оглавление

Wesentlich von der Regierung verschieden, ist sie eine bloße Folge des Privateigentums, der Privatbedürfnisse und der Privatrechte. Die Regierung hingegen ist eine bestimmte Folge des allgemeinen Eigentums, der allgemeinen Bedürfnisse und Rechte.

Sowohl Beherrschung als Regierung müssen den Grund ihres Rechts beiderseits in dem Zweck der gesellschaftlichen Vereinigung suchen. Die Beherrschung muß ihr Recht mehr als die Regierung auf diesen Zweck, in so ferne er durch die Bedürfnisse und Neigungen der Individuen im Staat bestimmt wird, gründen. Die Regierung hingegen muß dasselbe mehr als die Beherrschung auf diesen Zweck, in so ferne er durch die Abstraktion der allgemeinen Bedürfnisse und des allgemeinen Willens bestimmt ist, gründen.

Es liegen aber sowohl in der Natur der herrschaftlichen als der Regierungsrechte so viele Reize gegen diese beiden Grundgesichtspunkte, daß es unmöglich zu erwarten ist, daß dieselben den Menschen, die im Besitz sowohl der einen als der andern gesellschaftlichen Vorzüge stehen, von selbst auffallen. Sowohl im einen als im andern Fall ist seine ganz tierische Stellung dagegen, er faßt sie also nicht.

Es ist nicht möglich, es kann im Besitz großer gesellschaftlicher Kräfte nie mein tierischer Wille sein, mich im Gefühl meiner Rechte durch allgemeine oder durch Privatbedürfnisse und Neigungen eingeschränkt und gehemmt zu sehen.

Es kann im Besitz der Macht nie mein tierischer Wille sein, den Zweck der gesellschaftlichen Vereinigung gegen mich selbst anzuerkennen und im Gefolg dieser Anerkennung nicht anders als gesellschaftlich rechtmäßig zu regieren.

Dieser Wille bestehet in einem jeden Staat nur in soweit, als die Weisheit und Kraft der Gesetzgebung die Ansprüche unserer tierischen Natur in den Teilhabern der gesellschaftlichen Vereinigung allgemein mildert, indem sie die ursprünglich ungesellschaftliche und gesellschaftliche unrechtmäßige Ungleichheit aller gesellschaftlichen Kräfte durch eine mit dem Endzweck der gesellschaftlichen Vereinigung übereinstimmende Organisation des Gebrauchs derselben rechtmäßig zu machen und durch Vorsorge für die Menschenrechte deren, die keinen Teil an der Welt haben, den Geist des gesellschaftlichen Vertrags in ein Geschlecht hinein zu bringen sucht, bei welchem die Natur den Hang zu allem gesellschaftlichen Unrecht mit solchem Reiz verwoben. Es ist gewiß, der reine gesellschaftliche Wille besteht in einem jeden Staat nur in so weit, als die Gesetzgebung das ganze Wirrwarr des im namenlosen Chaos des Zufalls wie in Macbeths Kessel gekochten Undings unsers Reichtums und unserer Armut, unserer Rechte und unserer Rechtlosigkeit, unserer Ansprüche und unserer Niederträchtigkeiten in eine solche Ordnung zu bringen sucht, die auch der Schwäche unseres Geschlechts die Möglichkeit offen läßt – durch den gesellschaftlichen Zustand wirklich gesellschaftliche Rechte zu erhalten und durch dieselbe unter den Schranken der bürgerlichen Vereinigung wahre Befriedigung zu finden.

Freilich geschiehet das alles nicht – unsere Gesetzgebungen lassen der Hexe ihren Kessel, und wir leben in dem Unding, dass sie uns gekocht hat wie die Frösche im Sumpf, unbesorgt für die, so der Storch frißt. – Der alternde Weltteil hat die Grundsätze der wahren gesellschaftlichen Ordnung wie aus dem Gedächtnis verloren.

Die Masse des Volks hat keinen Begriff von seinem gesellschaftlichen Recht – also auch keinen gesellschaftlichen Willen; und Verkleisterungsmittel unserer bürgerlichen Entmannung sind weder ein Ersatz des mangelnden bürgerlichen Rechts noch ein Fundament einer wahren gesellschaftlichen Ordnung – und die Gewaltsordnung, die die Macht nicht für das Menschengeschlecht, sondern für ihren Dienst einrichtet, ist noch schlimmer als das Unding, das uns die Hexe gekocht hat.

Indessen ist das, was geschiehet, um deswillen nicht das, was geschehen soll.

Der herrschaftliche Stand ist gar nicht durch seinen Ursprung, sondern nur durch das Gesetz rechtmäßig, das Gesetz aber darf den Grund seiner Rechte weder in den Gewaltgelüsten übergroßer Herren noch in den demütigenden Niederträchtigkeiten überschwacher Knechte suchen. Es muß ihn in dem Zweck und dem Wesen der gesellschaftlichen Vereinigung suchen. Aber die meisten Staaten tummeln sich in den barocken Formen des Unrechts, dem sie die Gestalt des Rechts und der Ordnung wie dem Esel die Löwenhaut über die Ohren herumziehen. Wenn wir indessen von herrschaftswegen Genüsse und Rechte fordern, die den Zustand derer, die sich um unser Eigentum bewerben, um unsers größern Vorteils willen abhängig, ehrlos und rechtlos machen, so handelten wir, wenn auch die ganze Welt das gleiche tut, hierin nicht nach den Gesetzen des gesellschaftlichen Rechts, sondern nach denjenigen unserer tierischen Selbstsucht – und die Folgen, die diese Handlungsweise dann haben mag, sind in jedem Fall nicht Folgen unserer gesellschaftlichen Rechtlichkeit, sondern des Gegenteils.

Johann Heinrich Pestalozzi

Подняться наверх