Читать книгу Johann Heinrich Pestalozzi "Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts" - Dieter-Jürgen Löwisch - Страница 19

Freiheit

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Unser Geschlecht hat eine allgemeine und starke Neigung, in dem Genuß seiner Lebensansprüche unabhängig und selbstständig zu sein. Naturfreiheit ist Genuß dieser Selbstständigkeit in vollem Leben meiner tierischen Kraft. Bürgerliche Freiheit ist Ersatz der Naturfreiheit, Besitz gesellschaftlicher Selbstständigkeit. Das Recht der Naturfreiheit ruhet auf dem allgemeinen, unwillkürlichen und unwandelbaren Gefühl des Bedürfnisses meiner Selbstständigkeit im Naturstand.

Das Recht der bürgerlichen Freiheit ruhet auf dem eben so allgemeinen Gefühl des Bedürfnisses eines Ersatzes dieser Naturfreiheit im gesellschaftlichen Zustand.

Der tierische Reiz dieses Gefühls ist eine einfache Folge der Eigenheiten der Tierart meines Geschlechts. Ich bin vermöge desselben kein trauliches kraftloses Haustier, das unter den Füßen eines Stärkern ruhig gaukelt und frißt; im Gegenteil, ich gehöre vielmehr zu den gewaltsamen, unruhigen, den Genuß selbst der Sicherheit vorziehenden Raub- und Waldtieren. Es ist freilich auch wahr, meine Neigung zur Selbstständigkeit wird durch meine Trägheit, und mein Hang zur Sicherstellung meines Rechts durch denjenigen zum Genuß in mir selbst geschwächt, und es ist unstreitig, man kann mich durch sichern Sinnengenuß unter allen Umständen zum schwächlichern Haustier umbilden – aber von Natur bin ich kein solches, ich will da immer lieber herrschen als dienen.

Das Mittel zwischen Herrschen und Dienen, Selbstständigkeit, ist Bedürfnis meiner Natur. Das Herrschen ist Bedürfnis überwiegender tierischer Kräfte oder wenigstens der Einbildung davon. Das Dienen ist Bedürfnis verlorner oder geschwächter tierischer Kräfte oder wenigstens der Einbildung davon. Auch gemäßigte tierische Kraft spricht in ihrem gesunden Zustand Selbstständigkeit an. Dieser Anspruch ist in meinem Geschlecht eine unwillkürliche Folge der Unverdorbenheit meines Bluts und des freien Spieles meiner Säfte in Hirn und Herz. – Ich verlange sie, weil dieses Herz in mir wie in einem Mann schlägt, weil dieses Hirn nicht vom Schlag getroffen in einem ohnmächtigen bettlägrigen Kopf stockt – ich verlange sie, weil mein Blut in Jünglingsfarbe meinen Geist in jeder Ader frei und froh ohne Gift nährt. Also beschaffen, muß ich sie verlangen, weil ich bin, was ich bin, und ich höre auf zu sein, was ich im gesunden tierischen Zustand notwendig bin, wenn ich aufhöre, tierische Selbstständigkeit zu verlangen.

Im bürgerlichen Leben ist alles Tun und Lassen des gesellschaftlichen Menschen ein ewiges Haschen nach Selbstständigkeit – freilich ein ohnmächtiges und fast immer mit der Kränkung des Fehlgreifens gebrandmarktes Haschen. Es läßt sich gar nicht leugnen, es gelingt ihm in diesem Zustand selten, von Gesetzen abzuhangen, die auf dem Recht ruhn, das in seiner Brust schlägt und das er sich selber gegeben.

Bald hängt er allgemein von der Willkür der Gewalt ab, die immer nur darnach trachtet, unser Geschlecht auf den Ruinen seiner zertrümmerten Selbstständigkeit als ein neugeschaffenes, menschheitloses und menschheitleeres Wesen – bloß zu regieren, demselben alle Kraft und alles Recht seiner Natur zu rauben und dann, wann dieses geschehen, in ihm die also erniedrigte Menschheit zu beglücken und zu begnaden.

Armes Geschlecht, das höchste Ziel deiner Gesetzgebung geht dahin, dich entwürdigt zu füttern, und der alternde Weltteil lobt seine Weisheit, wann du von diesem Futter nur fett wirst.

Johann Heinrich Pestalozzi

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