Читать книгу Von der Weisheit und vom Brauchtum unserer bäuerlichen Vorfahren - Dieter Kremp - Страница 17

Vom „Korekaschde“ und dem „Kaffeeblech“

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Schöne Erinnerungen habe ich heute noch an die Roggenernte, die früher an Jakobi, dem „Jokkobstag“ (15. Jul) begann. Mit kühnem Schwung mähte der Altbauer den ersten „Gönn“ an. Mit der frischgedengelten Sense, dem „Korereff“, schritt der Schnitter durch das Ährenfeld und andere Mäher folgten. Die goldenen Halme mit den reifen Ähren fielen zu Boden. Die Schnitterinnen in gebückter Haltung – wie immer in ihren hellen Kopftüchern als Schutz gegen die stechende Sonne – nahmen mit den Sicheln die Halme auf, derweil knoteten andere schon die Kornseile. Drei Halmbündel oder „Halmdecken“ ergaben eine Garbe. Diese wurde so fest verschnürt, dass keiner mehr seinen Finger unter das Seil zwängen konnte.

Und dann wurden die Garben zu einem „Korekaschde“ (Kornkasten) zusammengestellt, zehn an der Zahl. In die Mitte wurde der „bock“ gesetzt, die stärkste Garbe, die die acht anderen drum herum zu stützen hatte. Mit kräftigen Handschlägen spreizten sie die Ähren der zehnten Garbe und stülpten sie als „Hut“ darüber, um das „Koreheisje“ (Kornhäuschen) gegen Regen zu schützen.

Die „Korekaschde“ waren für uns Kinder ein beliebtes „Spielhäuschen“. Nach der Arbeit brachte die Bäuerin das „Kaffeeblech“ mit Malzkaffee, der von „Ziggorie“ geschwärzt war. Darauf hatten die Mägde schon ungeduldig gewartet. Die kurze Kaffeepause war das Schönste bei der Kornernte. Wie war das einst mit dem „Zichorienkaffee“, dem Standartgetränk der deutschen Küche? Die Älteren unter uns erinnern sich gerne an „Ziggorie“, wie die Kaffee-Essenz im Volksmund genannt wurde. Unter dem Markennamen „Pfeifer-Diller“ kam er in den Handel, war zusammen mit Kneipp-Malzkaffee stets gefragt. „Ziggorie“ als Kaffeezusatz gab dem Malzkaffee die schwarze Farbe und den Kaffeegeschmack. In einem Kriegskochbuch aus dem Jahre 1722 wird ein Hofgärtner Timme in Thüringen als Erfinder des Zichorienkaffees erwähnt. Friedrich der Große förderte die Verwertung der Zichorienpflanze für Kaffee, daher auch die Bezeichnung „Preußischer Kaffee“. Beim Rösten der zerkleinerten Zichorienwurzeln entwickelt sich ein Öl, das an Kaffee erinnert. Nach dem Erkalten kann man die gerösteten Wurzeln wie Kaffeebohnen verwenden.

Im zweiten Weltkrieg hat meine Urgroßmutter den Zichorienkaffee selbst hergestellt. Dazu sammelte sie die Wurzeln der Kaffeepflanze im Herbst. Sie wurden von ihr zerkleinert, getrocknet und dann geröstet; sie bewahrte sie das ganze Jahr über in Kaffeedosen auf. Damals kannte auf dem Dorf jeder die Pflanze, die als blau blühende Wegwarte an Straßen- und Wegrändern wächst und von Juli bis September blüht. Aber auch in der Volksmedizin hat meine Urgroßmutter die Wegwarte noch verwendet, die sie auch „Wegelagerer“, „Blaue Distel“ und eben „Kaffeewurz“ nannte. Den Tee als Abkochung der Wurzel nahm sie bei Gallenleiden. Aus den frischen Wegwarteblüten stellte sie ein gesundes Kräutergelee her. Dazu ein altes Rezept meiner Urgroßmutter:

Die blauen Blüten werden zerschnitten, zerstoßen und mit drei Teilen Zucker vermischt. Sobald sich der Zucker aufgelöst hat, wird alles durch ein Tuch filtriert und in Honiggläser abgefüllt. Man kann’s kaum glauben, doch es trifft zu: Der rotblättrige, knusprig frisch schmeckende Radicchio stammt von der blaublütigen Wegwarte ab.

Bevor nun das Korn eingefahren werden konnte, musste man eine ganze Woche lang sonnige Tage haben. Sowie der Roggen in „Kaschde“ stand, gingen die Binderinnen bei Tagesanbruch zum Nachharken. Das wurde stets im Tau vor Sonnenaufgang gemacht. Beim Einfahren des Roggens wurde gewartet, bis der Morgentau sich aufgelöst hatte. Dagegen wurde das letzte Fuder erst am späten Abend ins Scheunentor gefahren.

Meine Eltern waren recht arm, sodass sich meine Mutter als „Magd verdingte“, um ein kleines Zubrot für ihre Familie zu verdienen. Sie arbeitete am Nachmittag beim reichsten Bauern des Dorfes; das war „Nauhausersch Peter“. Kaum zu glauben, was sich dann dort ereignete: 1944 kam eine junge Polin als Kriegsdeportierte auf „Nauhausersch“ Bauernhof. Sie musste dort hart arbeiten, aber es gefiel ihr dort. „Perersch“ Bauer hatte ein Auge auf sie geworfen, und zwei Jahre nach Kriegsende wurden beide ein Paar. Es war eine sehr glückliche Ehe, aus der fünf Kinder entsprossen.

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