Читать книгу Von der Weisheit und vom Brauchtum unserer bäuerlichen Vorfahren - Dieter Kremp - Страница 21
Schalmeien am Kuckuckstag
ОглавлениеWunderschöne Erinnerungen an meine frühe Kindheit sind mit dem Ruf des Kuckucks verbunden. Bei uns im Dorf war der 15. April der „Kuckuckstag“. Er wurde auf dem Land als Familienwandertag genutzt. Mit meinen Großeltern machte ich einen Waldspaziergang, um den scheuen Waldvogel das erstemal zu hören. Allerlei Aberglaube rankte sich um den ersten Ruf des Kuckucks. Hatten wir kein Geld in der Geldbörse, so blieb man das ganze Jahr über pleite. Wir Kinder aber durften einen Glückspfennig in der Hosentasche tragen. Großvater glaubte daran, so viele Jahre noch zu leben, wie man den Kuckuck rufen hörte. Dabei schnitzte Großvater Schalmeien, Flöten aus Hasel- oder Weidenrinde, die jetzt wieder voll im Saft stand und sich leicht mit dem Taschenmesser abschälen ließ. Mit den Schalmeien ahmten die Kinder den Ruf des Kuckucks nach: „Kuck-kuck, Kuck-kuck …!“ Das erste „Kuckucksbrot“ wurde an diesem Tag im Wald gegessen, die herbsäuerlichen Blätter des Waldsauerklees. Daheim bereitete Großmutter einen erfrischenden Salat aus Sauerklee.
Nachdem wir genug geflötet hatten, pflückten wir die ersten Veilchen im Wald. Als Frühlingssymbol stellte Großmutter einen duftenden Veilchenstrauß in die „gudd Stubb“ („Gute Stube“). Aus den Veilchenblüten stellte sie eine köstliche Frühlingsbowle her.
Zur gleichen Zeit wie der Kuckuck kamen auch die Schwalben aus ihrem Winterquartier im fernen Afrika wieder zurück. Darauf warteten wir immer sehnsüchtig, galten doch die Schwalben auf den Dörfern als Symbol für Gesundheit und ein glückliches Familienleben. Im Stallgebäude unseres benachbarten Bauernhauses nisteten alljährlich um die zwanzig Hausschwalben, unter dem Dachfirst etwa zehn Mehlschwalben. Bei uns unterm Dachfirst nisteten sechs Schwalbenpärchen. Im Frühjahr 1947 blieben die Schwalben bei uns aus. Der Grund war, das die Vögel in dem sehr trockenen Frühling in unserer Nähe keinen feuchten Lehm zum Ausbessern ihrer Nester fanden. Und im gleichen Jahr starb dann meine Urgroßmutter im Alter von 98 Jahren.
Im sommerlichen Schwirrflug der Schwalben über das Dorf konnte mein Großvater das Wetter ablesen. Flogen die Schwalben hoch in der Luft, dann sollte es schönes Wetter geben; „fischten“ die Schwalben über dem Weiher, dann sprach er von Regenwetter. Und da war schon was Wahres dran.