Читать книгу Von der Weisheit und vom Brauchtum unserer bäuerlichen Vorfahren - Dieter Kremp - Страница 20
Als es den „Wannerschdaach“ noch gab
ОглавлениеIm Ostertal im Saarland spielte früher einmal der „Wannerschdaach“ (Wandertag) eine große Rolle im ländlichen Brauchtum. Der „Wannerschdaach“ war der 27. Dezember, also der Tag nach Weihnachten, im Kirchenjahr der Tag des Apostel und Evangelisten Johannes. An diesem Tag wechselten früher die Knechte und Mägde ihre Stellung auf den Bauernhöfen und verabschiedeten sich mit einem Tanzabend. Es war der „Johannisball“ am Tag nach Weihnachten. In manchen Gegenden bestand früher die weit verbreitete Ehesitte des „Weiberdingete“. Der Ehemann dingte seine Frau am Johannistag für das kommende Jahr, führte sie formvollendet ins Wirtshaus und lud sie zu einem Festessen ein. Sie musste dabei den Wein zahlen, wobei sie damit dem Handel zustimmte und sich symbolisch für weitere zwölf Monate verpflichtete: Sie wurde „gedingt“.
Erklären wir zunächst einmal die Bedeutung der Wörter „Ding“ und „dingen“. Ein „Ding“ (germanisch „thing“) war bei den Germanen ein Ort der Volksversammlung und eine Gerichtsstätte. „Dingen“ bedeutete ursprünglich „zu Dienstleistungen gegen Entgelt verpflichten“ also „in Dienst nehmen“. Vielfach gibt es heute noch alte Flurnamen mit der Bezeichnung „Ding“. Ich selbst habe 1974 auf der Gemarkung Hoof im Ostertal auf der Flur 176 „Auf dem Ding“ gebaut. Hier muss also einst eine Gerichtsstätte gewesen sein.
In den Dörfern des Ostertales war früher einmal der „Wannerschdaach“ für die Bauern, ihre Knechte und Mägde, der wichtigste Tag im Jahr. Wenn ein Bauer eine neue Magd oder einen neuen Knecht dingte, so begann das Dienstverhältnis am Tag nach Weihnachten. Es dauerte in der Regel bis zum 27. Dezember des folgenden Jahres. Wenn beiderseits keine Kündigung erfolgte, so verlängerte sich das Arbeitsverhältnis noch einmal um ein Jahr. Die Ostertaler Bauern gingen wohl beizeiten auf die Suche, um einen neuen Knecht oder eine neue Magd einzustellen. Mit Pferdefuhrwerk, Kutsche, Ochsengespann oder in strengen Wintern mit dem Pferdeschlitten holte der Bauer die neu gedingte Arbeitskraft an deren Wohnort ab. Verkehrsverbindungen in gewohntem Sinne gab es ja schließlich noch keine. Die eingestellten Knechte und Mägde packten ihre wenigen Habseligkeiten ganz einfach in eine Holzkiste.
Die Tage vor dem „Wannerschdaach“ warteten die Dorfbewohner gespannt auf die verschiedenen Neuankömmlinge, die ins Dorf kommen sollten. Mägde und Knechte, die bei ihren Bauern bleiben konnten, kamen allerdings auch nicht ungeschoren davon. Sie mussten der heimischen Dorfjugend Schnaps, Bier und Wein spendieren, wobei gerade der Wein am Johannistag im Hinblick auf das kommende Jahr als segensreich galt. Die neu angekommenen Mägde und Knechte brachten frisches Blut in die Dörfer, fand doch so mancher in den folgenden Jahren hier seinen Ehepartner.
Den „Wannerschdaach“ feiert man auch heute noch im Ostertal, wenn auch in ganz anderer Form. Vereine und Gruppen unternehmen ausgedehnte Wanderungen über die Gemarkungen und die Dörfer. Immerhin haben viele zwischen Weihnachten und Neujahr frei und somit Zeit, die nähere Umgebung auf Schusters Rappen zu erkunden, um dann zum Abschluss des Marsches gemütlich in einer Gastwirtschaft einzukehren.