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Lisas erneute Forderung

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Am nächsten Morgen wird Lisa durch den schrillen Ton der Türklingel recht unsanft aus dem Schlaf gerissen. Schnell wirft sie sich den Bademantel über und eilt zur Wechselsprechanlage. Es handelt sich um den Postboten. Ihm ist es nicht möglich, die umfangreichen Zusendungen im Briefkasten unterzubringen und ist gezwungen, die Briefe nach oben bringen. Lisa erinnert sich, den Lagerservice der Post während ihres Urlaubes in Anspruch genommen zu haben. Recht froh über den zuvorkommenden jungen Mann gibt sie ihm ein üppiges Trinkgeld und legt den Stapel Postsendungen zunächst achtlos auf die Anrichte im Wohnzimmer. Nach Beendigung der Morgentoilette brüht sich Lisa eine Tasse Kaffee auf und begibt sich mit den Briefen und Werbesendungen unter dem Arm auf den Balkon. Etwas gelangweilt widmet sich Lisa dem Stapel Briefe, die während ihres Aufenthaltes an der Copacabana durch den Lagerservice der Postverteilungszentrale gesammelt wurden. Ihre Neugier hält sich in Grenzen. Bei der Durchsicht der Kuverts sagt sie sich im Stillen: Es scheint wie immer nur der übliche Kram zu sein. Mit ihrer Annahme hat Lisa recht. Neben mehreren Rechnungen und einer Mitteilung der Hausverwaltung befindet sich lediglich ein Bankbrief darunter, der ihr Interesse weckt. Mit einer gewissen Vorahnung, nichts Gutes zu erfahren, öffnet sie ihn. Beim Betrachten der Kontoauszüge wird Lisa recht schmerzlich daran erinnert, dass die gesamte Summe des Schweigegeldes inzwischen aufgebraucht ist. Für die teuren Urlaubsreisen gab sie das Geld im wahrsten Sinn des Wortes mit vollen Händen aus. Zunächst fällt der Blick etwas ratlos auf die mickerige Summe, die gegenwärtig noch zur Verfügung steht. Das ändert sich schlagartig, als ihr nach kurzem Nachdenken die mit Marco getroffene Vereinbarung wieder in den Sinn kommt. Die Abmachung galt zunächst für fünf Jahre. Die Höhe einer weiteren Forderung blieb damals offen. Es besteht lediglich ein Übereinkommen, darüber ein erneutes Gespräch zu führen.. Gegenwärtig ist der Zeitpunkt bereits fünf Monate überschritten. Vor dem Treffen mit Maximilian werde ich mich darum kümmern.

Vergessen sind die nächtlichen Träumereien über eine mögliche gemeinsame Zukunft mit Maximilian. Die Wirklichkeit hat sie auf eine recht brutale Weise eingeholt. Jetzt handelt es um mehr, als nur fiktiven Ideen nachzuhängen. Lisa hat nur einen Gedanken: Das Schweigegeld ist die beste Voraussetzung, um sich mit Maximilian ein neues Leben aufzubauen. Entschlossen greift sie zum Telefon. Leider ist die Nummer Marcos nicht mehr gespeichert. In einem Anfall von blindem Eifer hatte sie damals alle Telefonnummern ihrer bisherigen Freunde und Bekannten gelöscht. Damit wollte sie einen endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheit setzen und ein neues Leben beginnen. Wie töricht ihre damalige Handlung war, kommt ihr erst in diesem Augenblick richtig zum Bewusstsein. Ärgerlich über sich selbst ruft sie im Internet das Telefonbuch auf. Zum Glück ist ihr die Adresse noch geläufig und Lisa wird fündig. Bevor sie die Nummer wählt, nimmt sie einen Zettel zur Hand. Die Stichworte für den Gesprächsverlauf sind schnell notiert. Vor allem kommt es ihr darauf an, ohne zu stocken und mit unnachgiebiger Stimme die Forderung zu stellen. Bei Marco soll nicht der leiseste Zweifel aufkommen, dass sie nicht gewillt ist, dass Schweigegeld unter allen Umständen zu erhalten.

Statt Marco meldet sich jedoch Tamara. Obwohl eigentlich vorhersehbar, hatte Lisa auch nicht einen Moment an eine solche Konstellation gedacht. Auch nach fünf Jahren erkennt sie die ehemalige Freundin sofort an der Stimme. Völlig überrascht von der Situation legt Lisa wortlos auf. So schnell fällt ihr keine Begründung für den Anruf nach so langer Zeit ein. Lisas erscheint es äußerst riskant, sich mit Tamara zu unterhalten. Sie könnte durchaus misstrauisch werden und recht problematische Fragen stellen. Aus vergangenen Zeiten ist ihr bekannt, dass sich Tamara selbst im Freundeskreis recht eifersüchtig zeigte und Marcos Verhalten gegenüber Frauen stets mit Argwohn verfolgte. Sie hatte damals für Tamaras Gefühle Verständnis, weil der Altersunterschied zwischen ihr und Marco von zirka zwölf Jahren doch beträchtlich ist. Somit war sie stets das sogenannte 'Kücken' in dem fast gleichaltrigen Freundeskreis. Zudem fällt ihr ein, dass Tamara nach Marcos Aussage nicht in das Komplott eingeweiht wurde. Dementsprechend sollten neben den möglichen Eifersüchteleien nicht noch weitere Mutmaßungen über die Wiederbelebung der alten Beziehung einen Nährboden erhalten.

Lisa überlegt kurz und kommt zu dem Schluss, dass ihr letztendlich keine andere Wahl bleibt, als vor seinem Haus auf ihn zu warten. Sie bereitet sich gründlich auf das Zusammentreffen vor, weil es ihre Überzeugung ist, dass Marco nicht so ohne weiteres eine erneute Forderung nach Schweigegeld erfüllen wird. Ihr verbleibt ein letzter Trumpf in der Hand, von dem Marco nichts weiß und den sie jetzt gewillt ist, auszuspielen. Lisa freut sich auf die verblüffte Reaktion von ihm, wenn ihm seine Ausweglosigkeit bewusst wird. Sie will keine Zeit ungenutzt verstreichen lassen und fährt sofort los. Voller Ungeduld wartet sie in einer Seitenstraße auf sein Erscheinen. Dann ist es endlich soweit. Marco parkt das Auto auf einem Stellplatz ein und geht über die Straße auf den Eingang seines Hauses zu. Jetzt gilt es für Lisa, keine Zeit verlieren. Mit raschen Schritten nähert sie sich ihm von hinten und ruft: »Hallo Marco. Welch ein Zufall, dich nach einer solch langen Zeit wieder einmal zu sehen.«

Erschrocken dreht er sich um. An der Stimme erkennt Marco sofort, dass es sich um Lisa handelt. Bereits seit einigen Wochen geht ihm durch den Kopf, dass seit der Überweisung des Schweigegeldes inzwischen mehr als fünf Jahre verflossen sind. Heimlich hofft er, dass sich Lisa nie wieder melden wird. Mit einem Schlag ist dieser Wunsch wie eine Seifenblase zerplatzt. In einer recht unsanften Art und Weise wird Marco an das damalige Geschehen erinnert. Es gelingt ihm nicht, die Enttäuschung über das unverhoffte Wiedersehen zu verbergen. Nur mühsam kommt ein Gruß über seine Lippen. Mit belegter Stimme und sichtlich erregt entgegnet er: »Ach du bist es. Mit dir habe ich überhaupt nicht gerechnet. Was treibt dich denn an, unserer doch eher recht tristen Wohngegend einen Besuch abzustatten?«

Ironisch antwortet Lisa: »Die Freude über unser Wiedersehen steht dir förmlich ins Gesicht geschrieben. Wenn mich jedoch meine Erinnerungen nicht trügen, warst du nie ein besonders begabter Schauspieler.«

»Lass doch den Quatsch. Ist es Zufall oder hast du die Begegnung absichtlich gesucht? Wenn Letzteres zutrifft, dann hätte doch ein Anruf für eine Verabredung genügt.«

»Dir ist doch hoffentlich bewusst, weshalb ich dich aufsuche. Damit erweist sich deine Frage als völlig überflüssig. Von einer zufälligen Begegnung kann also keine Rede sein.«

»Dann sage deutlich, was du von mir willst.«

»Für unser Gespräch scheint mir der Ort hier mitten auf dem Bürgersteig nicht unbedingt geeignet zu sein. Ich schlage vor, ein Restaurant aufzusuchen. Dort besprechen wir alles in Ruhe.«

Als hätte er Angst, mit ihr gesehen zu werden, schaut sich Marco unsicher um. Sogleich kommt ihn die Unsinnigkeit seines Handelns in den Sinn: Wer sollte Arges dabei denken, wenn ich mich mit einer unbekannten Frau auf der Straße unterhalte. Nur Tamara sollte von der Begegnung nichts mitbekommen. Eine plausible Erklärung für ein Treffen mit Lisa zu finden, könnte ziemlich schwierig werden.

Fast hastig nimmt er ihren Arm und sagt mit brüchiger Stimme: »Du hast recht. Es ist wahrlich nicht die geeignete Stelle, um sich zu unterhalten. Selbstverständlich ist mir bewusst, weshalb du gekommen bist. Wir sollten von hier weggehen und einen anderen Ort für das Gespräch wählen. Leider kann ich deinem Wunsch, uns in einer Gaststätte zu unterhalten, nicht entsprechend. Hier in unserer Umgebung gibt es kein Restaurant.«

Erst als sie in die nächste Seitenstraße einbiegen, wird Marco etwas ruhiger und sagt: »Gehen wir doch noch ein Stück. Gleich nebenan befindet sich ein Park. Dort besprechen wir alles Weitere ungestört.«

Auf dem Weg dorthin spricht keiner ein Wort. Erst als sie auf der Parkbank Platz nehmen, bricht Marco das Schweigen und fragt: »Wie viel willst du haben? Doch sage ich schon vorab, dass es mir unter keinen Umständen möglich ist, dir auch nur einen Cent zu geben.«

»Gut, dass du begriffen hast, weshalb ich hierher gekommen bin. Das erspart mir eine Erklärung. An deiner Reaktion ist zu spüren, dass Tamara von dem Schweigegeld keine Kenntnis hat. Ein gutes Zeichen für die Erfüllung unserer Vereinbarung. Gleichzeitig versichere ich dir, dass auch von meiner Seite niemand etwas davon erfahren hat.«

»Natürlich hat Tamara davon nichts mitbekommen. Doch was glaubst du, wie schwierig es ist, eine solch hohe Summe vor ihr zu verbergen. Für die Zahlung des Schweigegeldes musste ich einen Kredit aufnehmen. Die Raten dafür sind noch immer jeden Monat fällig. Wegen der relativ langen Laufzeit sind allein schon die Zinsen ein Vermögen wert. Mit weiteren Forderungen würdest du mich an den Rand des Ruins bringen. Damit wäre weder dir noch mir gedient. Vielmehr wird das Risiko erhöht, dass Tamara doch davon erfahren könnte. Durch die geringfügige Summe der Rückzahlung der monatlichen Raten ist ihr bisher nichts aufgefallen. Bei einem höheren Betrag würde ich mit Sicherheit in Erklärungsnot geraten.«

Lisa schaut ihn kalt und berechnend an und entgegnet: »Halte bloß auf mit dem Gejammer. Wir haben eine klare und unmissverständliche Abmachung getroffen. Deine Bemerkung veranlasst mich, dich mit allem Nachdruck daran zu erinnern. Ohne meine Hilfe würdest du im Gefängnis sitzen und dein ganzes Leben wäre verpfuscht. Alles hat seinen Preis. Erwarte kein Mitleid von mir und überlege dir genau, bevor du mir antwortest.«

Die Stimme von Lisa ist eisig und herzlos. Marco wird sofort die Ausweglosigkeit seiner Lage bewusst. Blitzschnell überlegt er: Mit einer Mitleidstour wird wohl nichts zu erreichen sein. Allein ihr Blick lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Wie komme ich nur aus der verteufelten Situation heraus?

Um Zeit für neue Überlegungen zu gewinnen, sagt er versöhnlich: »Du hast ja recht. Natürlich weiß ich deine Hilfe und Unterstützung nach wie vor zu schätzen. Ohne dich wäre mein Leben zerstört.«

»So gefällt mir deine Einstellung schon viel besser.. Entsprechend unserer damaligen Absprache fordere ich nochmals den gleichen Betrag. Wenn du es vergessen hast, dann fällt es mir nicht schwer, die Summe nochmals zu nennen. Es handelt sich um fünfzigtausend Euro.«

Sichtlich erschrocken ruft Marco laut: »Du bist wahnsinnig. Deine Forderung ist völlig absurd. Es ist mir unmöglich, so viel Geld aufzutreiben.«

»Das ist nicht mein Problem. Bedenke, dass ein Hinweis von mir genügt und der Fall würde aufs Neue aufgerollt. Wer dann auf der Verliererseite steht, brauche ich dir wohl nicht ausdrücklich zu sagen.«

Marco hatte durch den Disput ausreichend Zeit, seine Gedanken zu ordnen und sich eine Strategie der Vorgehensweise gegenüber Lisa zu Recht zulegen. Fast schon triumphierend fällt seine Antwort aus, als er ihr entgegnet: »Du hast doch nichts in der Hand. Wer sollte dir nach einer solch langen Zeit überhaupt Glauben schenken? Alle Beweise belegen eindeutig, dass allein Maximilian der Mörder von Patricia ist. Kein Richter auf dieser Welt würde auf der Grundlage von nur verbalen Äußerungen die Untersuchung des Falles wieder aufnehmen. Sollte das wider Erwarten doch geschehen, würdest du in erhebliche Erklärungsnot geraten. Es gibt nicht den geringsten Beweis, dass ich als Täter auch nur annähernd in Betracht komme. Nach meinen bescheidenen Rechtskenntnissen macht sich zudem eine Mitwisserin und Erpresserin ebenfalls strafbar. Es scheint, dass du dich doch nicht auf der so absolut sicheren Seite befindest. Der Versuch, es mir einzureden, ist damit recht kläglich gescheitert.«

Ihr Schweigen auf seine Worte wird von ihm völlig falsch gedeutet. Er glaubt, dass sich die Rollen in dem Spiel um das Schweigegeld in das Gegenteil verkehrt haben und sie sich nunmehr völlig in seiner Hand befindet. Während Lisa in ihrer Tasche nach ihrem Smartphone sucht, spricht Marco recht selbstbewusst weiter. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht erklärt er wortreich: »Letztendlich wirst du das Geld nicht erhalten und stattdessen ebenfalls im Gefängnis landen. Suche dir aus, was für dich die angenehmere Lösung ist. Entweder mich, unwiderruflich und für alle Zeiten, in Ruhe zu lassen oder deine Freiheit für viele Jahre einzubüßen. Es ist sicher nicht übermäßig schwierig, darüber eine Entscheidung zu treffen. Ich glaube sogar, die Antwort darauf zu wissen. Alles andere würde mich schon sichtlich verwundern.«

Voller Überzeugung, recht wirkungsvolle und unmissverständliche Worte gesprochen zu haben, setzt sich Marco in Pose und schaut Lisa herausfordernd an. Im Gegensatz zu seinen Erwartungen lacht sie höhnisch und entgegnet: »Es ist töricht von dir, mich in solch einem Maße derart zu unterschätzen. Glaubst du wirklich, dass mir damals allein dein Wort genügt hätte, um sicher zu sein, dass du dich auch an die Vereinbarung halten würdest? Nein, nein, so naiv und leichtgläubig bin ich wahrlich nicht.«

Sie zeigt auf das Display des Smartphones, auf dem Bilder von der Mordnacht sichtbar werden. Mit offenem Mund verfolgt Marco das Blättern der Fotos, auf dem er mit dem Messer in der Hand und dem blutbespritzten Hemd zu sehen ist. Eine solche Cleverness hatte er Lisa nicht zugetraut. Sichtlich beeindruckt antwortet er: »In einer Sache hast du Recht. Ich habe dich tatsächlich unterschätzt. Warum hast du mir denn die Fotos nicht schon damals gezeigt?«

»Es war nicht erforderlich. Die Situation schien für dich ausweglos zu sein. Du warst ohne zu zögern zur Zahlung des Schweigegeldes bereit. Ob mir mein spontanes Handeln jemals von Nutzen sein wird, konnte ich in der Mordnacht nicht vorauszusehen. Es geschah rein intuitiv.«

»Zu solch einer Augenblicksreaktion gehört eine ganze Portion Kaltblütigkeit. Die hätte ich dir niemals zugetraut.« »Nenne es meinetwegen, wie es dir beliebt. Nachdem du mir soeben mit dem arroganten Gequatsche deinen fiesen Charakter offenbart hast, bin ich recht froh, dich nach der Tat im Bild festgehalten zu haben. Zudem ist die Behauptung, dass man mich wegen der Falschaussage vor Gericht belangen könnte, vollkommener Unsinn.«

»In diesem Fall unterliegst du einem gewaltigen Irrtum. Es wird dir alles nichts nützen. Dein damaliges Handeln wird auf alle Fälle bestraft. Die Fotos sind praktisch wertlos. Nur im ersten Moment konntest du mich damit beeindrucken. Bei einem nochmaligen Nachdenken komme ich zu einer ganz anderen Schlussfolgerung.«

Mit einem ironischen Lächeln erwidert Lisa: »Jetzt bin ich tatsächlich gespannt, was dir dazu eingefallen ist.«

»Deine überhebliche Selbstgefälligkeit ist völlig deplatziert. Nicht ich, sondern du unterliegst einem gigantischen Trugschluss. Dir wird auf alle Fälle Beihilfe zu einem Mord angelastet. Solltest du weiter mir gegenüber an der Forderung für eine Zahlung des Schweigegeldes festhalten, ist dir ein Gefängnisaufenthalt sicher.«

Auch zu diesen Äußerungen lacht Lisa höhnisch auf und entgegnet: »Mich kann man lediglich dafür belangen, dass ich von dir das Schweigegeld gefordert habe. Eine solche Handlung ist natürlich strafbar. In meinem Fall ist jedoch die Verjährungsfrist bereits eingetreten. Im Gegensatz zu deinem Mord, der niemals verjährt. Bevor du weiteren Unsinn von dir gibst, wäre es dienlicher, sich erst einmal sachkundig zu machen.«

Sichtlich aufgebracht über eine derartige Zurechtweisung entgegnet Marco heftig: »Woher nimmst du nur diese Selbstsicherheit? Ich kann mich nicht erinnern, dass Rechtswissenschaft jemals Bestandteil deiner Ausbildung war. Halte endlich auf, mir hier Kenntnisse vorzuspielen, die bar jeder Realität sind.«

»Auch diese Behauptung basiert auf einem enormen Denkfehler. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mich auf unser Gespräch nicht gründlich vorbereitet habe. Mir eine solche Blauäugigkeit zu unterstellen ist lächerlich. Selbstverständlich war mir bewusst, dass du nicht so ohne weiteres nachgeben wirst. Für mich reichten zwei Stunden eines Besuches in der Bibliothek, um mir das erforderliche Wissen anzueignen.«

Völlig konsterniert schaut er Lisa an und überlegt: Am liebsten würde ich sie umbringen oder ihr das Smartphone aus der Hand reißen. Doch beides ist hier in einer öffentlichen Parkanlage nicht möglich. Es gilt jetzt, Zeit zu gewinnen und mit kühlem Kopf über das weitere Vorgehen nachzudenken.

Recht zaghaft sagt Marco: »Aber…«

Sogleich schneidet ihm Lisa resolut das Wort ab und äußert: »Ein 'Aber' ist an dieser Stelle wahrlich nicht angebracht. Wenn du mir keinen Glauben schenkst, dann erkundige dich über die Rechtslage. Viel Zeit verbleibt dir nicht, da sich an dem von mir Gesagten nichts ändern wird. Zudem solltest du wissen, dass ich zu Allem bereit bin und nicht einen Millimeter von meinen Forderungen abweichen werde.«

Nunmehr einlenkend bemerkt Marco: »Du hast die besseren Karten. Wohl oder übel muss ich diesen Umstand zur Kenntnis nehmen. Gib mir bitte einige Tage Zeit. Irgendein Weg wird sich finden, um das Geld zu beschaffen.«

»Warum nicht gleich so. Halte dabei im Auge, das ich nicht länger als eine Woche auf eine Nachricht von dir warte. Wenn diese Zeit verstrichen ist, ohne dass ich etwas von dir höre, werden die Fotos ohne Verzug bei der Polizei landen. Versuche unter keinen Umständen, mich hinzuhalten.«

»Wird es die letzte Forderung von dir sein oder habe ich damit zu rechnen, dass du mich mein ganzes Leben verfolgst?«

Lisa überlegt kurz: Das Geld will ich sofort haben. Nur jetzt keine unbedachte Äußerung von mir geben. Schließlich kann eine endgültige Entscheidung über mein weiteres Verhalte gegenüber Marco auch zu einem späteren Zeitpunkt gefällt werden.

Treuherzig schaut sie ihn an und äußert versöhnlich: »Ich versichere, dir die Bilder auszuhändigen. Doch erst, wenn du unsere Vereinbarung erfüllt hast und das Geld auf meinem Konto eingegangen ist.«

»Du wirst auch wirklich keine Kopien von den Fotos anfertigen?«

»Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es. Mein bisheriges Schweigen zu den Geschehnissen in der Mordnacht beweist doch meine Redlichkeit. Oder habe ich mein Wort von damals gebrochen und anderen Personen darüber erzählt?«

»Nein, nein, so wollte ich meine Äußerung nicht verstanden wissen. Ich versuche alles, um die Summe aufzutreiben. Unser Geld ist in Wertpapieren angelegt. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen, um diese in Bargeld zu wandeln. Doch das wird nicht reichen. Zusätzlich muss ich meine Lebensversicherung beleihen. Auch das ist nicht innerhalb eines Tages erledigt. Das Schwierige besteht darin, dass Tamara von all dem nichts erfährt.« »Dafür habe ich volles Verständnis. Doch ein Teilbetrag sollte von dir nach einer Woche überwiesen werden. Sagen wir fünfzig Prozent. Damit bin ich mir sicher, dass es deinerseits keine leeren Versprechungen sind. Für die Restsumme gebe ich dir nochmals eine Frist von sieben Tagen. Eine Woche reicht sicher, um das Geld zu beschaffen.«

Marco atmet innerlich auf. Zumindest hat er damit erst einmal Zeit gewonnen. Eilfertig erwidert er: »Selbstverständlich ist das ein angemessener Zeitraum. Die Hauptsache wird sein, dass Tamara von all dem nichts mitbekommt. Sie ist in Gelddingen immer recht penibel. Außerdem wüsste ich nicht, wie ich ihr mein bisheriges Verschweigen erklären sollte.«

Der kleine Hoffnungsfunke, der in ihm aufglühte, weil er glaubt, erst einmal Zeit gewonnen zu haben und Lisa sicher auch in den nächsten Tagen und Wochen weiter hinhalten könne, wird umgehend zum Erlöschen gebracht, als Lisa erwidert: »Wenn du dich nicht an unsere Vereinbarung hältst, dann wird nach Ablauf der Frist sowohl die Polizei als auch Tamara von mir informiert. Dazu benötige ich lediglich ihre Handynummer. Den entsprechenden Begleittext kannst du dir wohl mühelos selbst zusammenreimen.«

Ziemlich zerknirscht nennt Marco die Telefonnummer und Lisa speichert sie auf ihrem Smartphone. Entgegen seinem Naturell fällt die Verabschiedung recht wortkarg aus und er verlässt Lisa sichtlich geknickt. Die sonst stets offen zur Schau getragene Selbstsicherheit ist gänzlich verflogen. Stattdessen geht Marco mit hängenden Schultern und den Kopf voller unliebsamer Gedanken zum Ausgang des Parks. Er ist sich bewusst, soeben eine deftige Niederlage erlitten zu haben. So entgeht ihm Lisas triumphierender Blick, den sie ihm sichtlich zufrieden über den Verlauf des Gespräches hinterher wirft.

Lisa sitzt noch eine ganze Weile allein auf der Parkbank und lässt das Treffen mit Marco Revue passieren. Im Verlauf des Gespräches waren ihr ab und zu Bedenken gekommen, ob er der Forderung zustimmen wird. Die Reaktion zum Schluss ist für Lisa die Bestätigung, dass Marco sich seinem Schicksal unterworfen hat und widerstandslos die Bedingungen akzeptiert. Mit einem siegessicheren Lächeln verstaut Lisa das Smartphone in der Tasche. Ihr ist bis zum gestrigen Tag nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen, dass die spontane Idee, das Geschehen in der Küche im Bild festzuhalten, einmal einen solchen Dienst erweisen wird. Das Einverständnis Marcos erweist sich praktisch als eine Bestätigung, äußerst vorausschauend gehandelt zu haben. Sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis strebt Lisa raschen Schrittes dem Ausgang des Parks. Nunmehr widmet sie sich mit all ihren Gedanken der kommenden Begegnung mit Maximilian. Lisa freut sich immens auf das morgige Treffen. Nach ihren Vorstellungen wird es wohl einer der bedeutendsten Tage in ihrem Leben werden. Inständig hofft sie, dass er sich für eine gemeinsame Zukunft mit ihr entscheidet. Damit würden die jahrelangen Sehnsüchte endlich erfüllt und sie wäre am Ziel all ihrer Wünsche angekommen. Immer wieder werden die zuversichtlichen Gedanken durch Zweifel geplagt, ob ihr Maximilian das damalige Verhalten in der Mordnacht und vor allem im Gerichtssaal überhaupt jemals verzeihen kann. Auf alle Fälle nimmt sie sich vor, all seine Wünsche, Forderungen oder Bedingungen uneingeschränkt zu akzeptieren.

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