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Die Gerichtsverhandlung
Оглавление»Ich bin unschuldig. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, meine Ehefrau zu töten. Sie müssen mir glauben«, äußert Maximilian Cuver vor dem Landgericht Berlin nach Verlesen der Anklageschrift des Staatsanwaltes.
Der Pflichtverteidiger legt ihm beruhigend die Hand auf den Arm und sagt leise: »Warten wir doch die Beweisaufnahme ab. Danach können wir uns immer noch äußern. Ich stehe auf Ihrer Seite und werde mich voll und ganz für Sie einsetzen.«
Als erster Zeuge wird Hauptkommissar Ingo Berger von der dritten Mordkommission Berlin aufgerufen. Der Vorsitzende Richter beginnt mit der Vernehmung und fordert ihn auf, den Verlauf des Geschehens in der Wohnung von dem Ehepaar Cuver zu schildern.
In kurzen Sätzen berichtet der Hauptkommissar über seinen Einsatz in der Mordnacht: »Beim Eintreffen in der Wohnung begab ich mich nach einer kurzen Verständigung mit der Pathologin ins Wohnzimmer. Die Luft war alkoholgeschwängert. Der Angeklagte machte auf mich einen ziemlich benommenen Eindruck. Trotzdem schilderte er mir präzise, was vor ungefähr einer Stunde geschah. Herr Cuver gab an, seine Frau in der Küche tot aufgefunden zu haben. Andere Personen befanden sich nicht in der Wohnung und die Korridortür war beim Eintreffen meiner Kollegen verschlossen.« Der Richter hält eine Plastiktüte hoch und fragt: »Was konnten Sie bezüglich des Tatwerkzeuges feststellen?«
»Es handelt sich um ein großes und äußerst scharfes Fleischermesser. Es gehört zu einem Set aus einem Messerblock, welcher sich bei der Tatortbesichtigung offen auf dem Zubereitungstisch der Küche befand. Am Griff stellten wir ausschließlich die Fingerabdrücke des Angeklagten fest. Es ist der eindeutige Beweis, dass Herr Cuver die Tat begangen hat.«
»Wodurch und von wem haben Sie von dem Verbrechen Kenntnis erhalten?«
»Den Beamten in der Notrufzentrale erreichte ein anonymer Anruf aus einer öffentlichen Telefonzelle. Daraufhin verständigte er die Besatzung des Streifenwagens. Als die diensthabenden Kollegen in der besagten Wohnung gegen vier Uhr noch Licht bemerkten, stiegen sie aus, um die Information des Anrufers zu überprüfen. Als auf wiederholtes Läuten nicht geöffnet wurde, verschafften sich die Beamten gewaltsam Eintritt zur Wohnung. Beim Betreten der Küche überraschten sie den Angeklagten, der mit dem Messer in der Hand neben seiner ermordeten Ehegattin kniete.«
»Gab es noch weitere Hinweise, die darauf schließen lassen, den Angeklagten mit der Tat in Verbindung zu bringen.«
»An seinem Gesicht und an dem Hemd wurden Blutspuren der Ermordeten festgestellt.«
Aufgeregt ruft Maximilian dazwischen: »Natürlich befand sich Blut von Patricia an mir. Vor Verzweiflung habe ich meinen Kopf auf ihre Brust gelegt, um zu spüren, ob ihr Herz noch schlägt.«
Der Richter geht über den Einwurf von Maximilian hinweg und sagt zu dem Hauptkommissar: »Abschließend habe ich noch eine Frage. Wurde von Ihnen außerdem etwas Auffälliges in der Wohnung festgestellt, was Sie bewog, den Angeklagten mit der Tat in Verbindung zu bringen? In dem Bericht ist zu lesen, dass andere Täter aus Ihrer Sicht nicht in Betracht kommen.«
»Selbstverständlich verdächtigen wir nicht grundlos eine Person. Wie sich bei der Untersuchung des Tatortes herausstellte, wurde die Korridortür von innen zweimal verriegelt. Da sich zu dem Zeitpunkt der Tat keine weitere Person in der Wohnung befand, kann nur der Angeklagte das Verbrechen begangen haben. Trotz der eindeutigen Beweise bestritt er jedoch bei den Vernehmungen hartnäckig, der Mörder seiner Ehefrau zu sein. Eine hinreichende Erklärung für die Behauptung ist er uns bis heute schuldig geblieben. Außer den ständigen Beteuerungen konnte Herr Cuver nichts zu seiner Entlastung vorbringen.«
»Sie sprachen anfangs davon, dass Alkohol mit im Spiel gewesen sei und der Angeklagte einen recht benommenen Eindruck machte.«
»Das ist richtig. Es handelt sich dabei um den Zeitpunkt, als ich die Wohnung betrat. Bei dem folgenden ersten Gespräch hatte bei ihm jedoch eine gewisse Ernüchterung eingesetzt. Es ist anzunehmen, dass er über das Geschehen selbst sehr erschrocken war und ihm erst nach und nach die Tragweite seines Handelns bewusst wurde. Unsere Kollegen im Labor stellten am nächsten Tag fest, dass zum Tatzeitpunkt der Tat die Blutalkoholkonzentration sehr hoch gewesen ist. Es könnte sein, dass bei Herrn Cuver dadurch einige Gedächtnislücken aufgetreten sind. Zumindest wäre das eine Erklärung für sein Leugnen, die Tat begangen zu haben.«
Ohne den geringsten Anflug von Emotionen äußert der Vorsitzende Richter zu dem Hauptkommissar: »Danke für die Ausführungen. Sie können im Zuschauerraum Platz nehmen.«
Der nächste Aufruf gilt Lisa Morani. Ohne Maximilian eines Blickes zu würdigen setzt sie sich in den Zeugenstand. Nach der Feststellung der Angaben zu ihrer Person bittet der Vorsitzende Richter um eine Schilderung des Abends und fragt zielgerichtet: »Bemerkten Sie im Verlauf der Geburtstagsparty eine gewisse Disharmonie zwischen Herrn und Frau Cuver?«
»Keineswegs. Eigentlich verlief die Feier wie in unserem Freundeskreis üblich in ausgelassener Stimmung. Leider trübte zum Schluss der reichliche Alkoholgenuss von Maximilian die gute Laune. Nachdem er auf der Couch einschlief, verabschiedeten wir uns von Patricia. Sie war natürlich enttäuscht, dass wir nicht ihr groß angekündigtes Frühstück einnehmen wollten. Ich verwies auf den Zustand ihres Mannes. Nachdem sie sich von dem Wahrheitsgehalt meiner Worte überzeugt hatte, zeigte Patricia für unser Verhalten volles Verständnis.«
Der Richter unterbricht ihre Ausführungen und fragt: »Äußerte sich Frau Cuver dahingehend, sich wegen des Fehlverhaltens ihren Ehegatten einmal richtig vorknöpfen zu wollen?«
»Dazu gab es von ihr eine kurze Bemerkung. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr. Patricia tat mir in dem Moment leid. Es war doch ihr dreißigster Geburtstag. Da wollte sie es richtig krachen lassen. So hatte sie es mir jedenfalls bereits im vorab angekündigt. Ein betrunkener Ehemann entsprach zu diesem Zeitpunkt sicher nicht unbedingt ihrer Vorstellung.«
»Wann haben Sie denn von dem Geschehen in der Wohnung ihrer Freundin Kenntnis erhalten?«
»Selbstverständlich waren wir alle über das Verhalten von Maximilian sehr enttäuscht und verließen gemeinsam das Haus. Noch in der Nacht klingelten die Beamten der Kriminalpolizei bei mir. So erfuhr ich von der schrecklichen Tat und kann es noch immer nicht begreifen. Warum musste er Patricia so etwas Schreckliches antun?«
Bei den letzten Worten vermeidet sie es tunlichst, Maximilian anzuschauen. Bei dem Gedanke, dass er vor zehn Jahren ihre Liebe zurückwies, verspürt Lisa ein unsägliches Hassgefühl. Eine innerliche Genugtuung erfasst sie, dafür jetzt Vergeltung üben zu können. Dass es zu einer Verurteilung kommen wird, steht für Lisa völlig außer Zweifel. Schließlich führte ihre Inszenierung des ganzen Geschehens dazu, dass nur Maximilian als Täter in Frage kommen kann. Das Angebot des Richters, als Zuhörerin weiter an der Verhandlung teilzunehmen, schlägt Lisa aus. In das Gefühl des Triumphes mischt sich plötzlich auch die Erinnerung an die nicht gänzlich überwundene Liebe, die sie noch immer für den Menschen empfindet, dem sie mit ihrer Aussage bestrafen will. Mit gesenktem Kopf verlässt Lisa schnell den Gerichtssaal. Auch den fragenden Blicken von Tobias und Marco, die im Vorraum auf den Aufruf des Richters warten, weicht sie aus. Nur kurz sagt sie: »Viel Glück. Das Ziel scheint erreicht zu sein.«
Zeit zum Nachdenken über das seltsame und wortkarge Verhalten Lisas bleibt den beiden nicht. Marco Kollberg wird zu seiner Zeugenaussage in den Saal gerufen. Auch er vermeidet einen Blickkontakt mit Maximilian. Nach Erledigung der förmlichen Modalitäten fragt der Vorsitzende Richter: »Ist Ihnen im Verlauf der Geburtstagsfeier am Verhalten des Ehepaares Cuver etwas aufgefallen?«
»Oh ja, es gab schon etwas äußerst Brisantes und Bemerkenswertes. Doch verwunderte es mich nicht. Ich hätte wohl ebenfalls so reagiert, wenn meine Frau sich so freizügig zeigen würde.«
»Nun reden Sie nicht um die Sache herum. Ihre Befindlichkeiten interessieren hier nicht«, unterbricht ihn der Richter schroff.
»Ich wollte mit meiner Bemerkung darauf hinweisen, dass mir das Verhalten von Marco durchaus verständlich ist. Patricia trug an diesem Abend wieder einmal ein recht hautenges Kleid mit einem ziemlich tiefen Ausschnitt. Keine Wunder, dass sie damit die Blicke aller Männer förmlich auf sich zog. Maximilian schien das gar nicht zu behagen. Wiederholt forderte er sie auf, nicht ganz so freimütig ihre Reize zur Schau zu stellen.«
»Handelte es sich bei Herrn Cuver um verbale Drohungen gegenüber seiner Ehefrau oder wurde er handgreiflich?«
»Nein, soweit ist Maximilian nicht gegangen. Er beließ es bei Worten. An eine Situation erinnere ich noch ganz genau. Beim Tanzen verrutschte mehrmals ihr Ausschnitt und gab noch tiefere Einblicke auf ihren Busen frei. Seine Bemerkungen dazu vernahm ich ziemlich deutlich und würde sie keinesfalls als liebenswürdig bezeichnen.«
Maximilian hört geduldig zu. Doch bei den letzten Sätzen platzt ihm förmlich der Kragen. Wiederum äußert er lautstark: »Was soll denn dieser Quatsch. Kein Wort davon ist wahr. Zudem war ich beim Kauf des Kleides selbst mit dabei. Wenn mir das Dekolettè zu gewagt erschienen wäre, hätte ich sicher dem Kauf nicht zugestimmt.«
Nach der Ermahnung des Richters, solche Zwischenrufe doch bitte zu unterlassen, bittet er Marco, seine Ausführungen fortzusetzen.
»Selbst in der Wohnung gingen dann die Eifersüchteleien weiter. Obwohl von dem engeren Freundeskreis nur noch Tobias Fährmann und ich als männliche Personen anwesend waren, beschimpfte Maximilian noch immer seine Frau wegen ihrer allzu offenherzig zur Schau getragenen weiblichen Reize.«
»Gab es, entgegen Ihren Schilderungen in der Nachtbar, einer körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar?«, will der Richter wissen.
»In meiner Gegenwart kam es nicht dazu. Doch bei der Wortwahl von Maximilian kann man ein solches Verhalten nicht ausschließen. Die verbalen Zwistigkeiten fanden in der Küche statt und wir drei, damit meine ich Lisa Morani, Tobias Fährmann und meine Person, hatten es uns auf der Couch im Wohnzimmer bequem gemacht.«
»Im polizeilichen Vernehmungsprotokoll ist aufgeführt, dass Sie sich gemeinsam mit Frau Morani und Herrn Fährmann aus der Wohnung entfernten. Lag ein besonderer Grund vor, das Ehepaar Cuver entgegen den Absprachen vorzeitig zu verlassen?«
»Tja, was sollten wir dort noch. Der sogenannte Hausherr war inzwischen eingeschlafen. Als Lisa Morani von einem Toilettengang in das Wohnzimmer zurückkehrte, wollte sie sich von uns verabschieden. Ich hatte auf Grund der ständigen Streitereien auch keine Lust mehr zu bleiben und gemeinsam mit Tobias Fährmann schlossen wir uns ihr an.«
»Erinnern Sie sich, die Korridortür beim Verlassen der Wohnung richtig geschlossen zu haben?«
»Bei der Beantwortung Ihrer Frage brauche ich nicht lange nachzudenken. Sicherlich noch wütend über das verpasste Katerfrühstück wurde von mir die Tür ziemlich unsanft geschlossen. Lisa Morani rügte mich daraufhin mit dem Verweis auf die recht frühe Morgenstunde verhältnismäßig heftig. Einen solchen Rüffel vergisst man nicht so leicht.«
Der Vorsitzende Richter blättert kurz in der Akte. Die Aussage von dem Zeugen scheinen zu stimmen. Die Fingerabdrücke von ihm auf dem Türknauf belegen seine Worte eindeutig. Damit war auch der letzte Versuch der Verteidigung, dass die Tat von einer außen stehenden Person begangen wurde, eindeutig widerlegt. Eine solche Möglichkeit hätte nur dann bestanden, wenn die Korridortür nicht ins Schloss gefallen wäre. Zudem gibt es keine Spuren, die darauf hinweisen, dass eine dritte Person den Türknauf berührte. Die Vernehmung des Zeugen Tobias Fährmann ist für den Richter und den Staatsanwalt nur noch eine reine Formsache. Er bestätigt im Grund genommen das bereits von den vorangegangen beiden Zeugen geschilderte Geschehen an diesem Abend. Neue Erkenntnisse kommen nicht hinzu. Für den Vorsitzenden Richter gibt es aufgrund des Beweismaterials und der Zeugenaussagen keinerlei Zweifel, dass nur der Angeklagte für die Tat in Frage kommt. Auch der Verteidiger hat dem nichts entgegenzusetzen und plädiert lediglich dafür, die bisherige tadellose Lebensführung seines Klienten bei der Höhe der Strafe zu berücksichtigen.
Maximilian wird wegen Mordes an seiner Ehefrau verurteilt. Nur der hohe Alkoholspiegel in seinem Blut führt zu einem milden Urteil. Statt einer lebenslangen Haft erhält er eine fünfjährige Freiheitsstrafe.