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Die Geburtstagsparty – was wirklich geschah

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Seit dem frühen Morgen läutet das Telefon fast ununterbrochen. Patricia Cuver hat heute Geburtstag. Liebevoll schaut sie bei den Telefongesprächen auf den wunderschönen Blumenstrauß, der vor ihr auf den Geburtstagstisch steht. Schon auf den ersten Blick erkannte sie als gelernte Floristin, dass das kunstvoll angelegte Arrangement der dreißig dunkelroten Rosen mit den fein verästelten Pistochiakrautstielen von einer Fachfrau ihres Gewerbes angefertigt wurde. Besser hätte ich es auch nicht machen können, überlegt sie lächelnd.

Noch mehr, als über die Blumen, freut sich Patricia über den Ohrschmuck. Sie ist regelrecht entzückt, dass Maximilian ihren oftmals geäußerten Wunsch nicht vergessen hat. Freudig nimmt sie die überdimensionierten Kreolen in die Hand und begibt sich vor den großen Wandspiegel an der Tür des Schlafzimmers. Mit dem Anblick ihres Spiegelbildes ist Patricia mehr als zufrieden. Auch ohne Make-up befindet sie, eine überaus schöne und attraktive Frau zu sein. Wie von ihr vorausgesehen, lenken die großen Ohrringe recht beeindruckend von den kleinen Fältchen in den Augenwinkeln ab, die bei einer Dreißigjährigen nichts Außergewöhnliches sind. Patricia tritt ans Fenster und schaut versonnen in den Himmel, an dem kein einziges Wölkchen zu entdecken ist. Mit einer kindlichen Naivität und zugleich inneren Freude überlegt sie: Ein wunderschöner Tag. Es scheint, als hätte ihn jemand extra für meinen Geburtstag bestellt. Man kann bei dem herrlichen Sonnenschein fast vergessen, dass heute das nächste Altersjahrzehnt wirklich beginnt. Ein klein wenig wehmütig ist mir zumute, dass nunmehr unwiederbringlich eine Drei statt einer Zwei vor meiner Altersangabe steht.

Erst als Maximilian sie zärtlich von hinten mit seinen Armen umschließt, wird Patricia aus ihren Gedanken herausgerissen.

»Es scheint, dass ich mit meinem Geschenk die richtige Wahl getroffen habe. Mit dem Ohrschmuck siehst du bezaubernd aus. Es scheint, als hätte man ihn extra für dich angefertigt«, flüstert Maximilian ihr liebevoll ins Ohr.

»Oh ja, sie sind wirklich wunderschön. Genau diese habe ich mir schon immer gewünscht.«

»Die Auswahl war nicht allzu schwierig. Schließlich hast du mich bei unseren Einkaufstouren in der Schlossstraße beim Betrachten der Auslagen des Juweliergeschäftes nicht nur einmal gerade auf diese Exemplare hingewiesen.«

Patricia lacht und sagt charmant: »Trotzdem war ich mir niemals ganz sicher, ob du meinen versteckten Hinweis auch richtig verstanden hast.«

Patricia spürt, wie seine Hand behutsam von ihrer Taille nach oben gleitet und sein Atem etwas schneller wird. Sie sind nunmehr bereits zehn Jahre verheiratet und trotzdem versucht Maximilian, seine Ehefrau immer wieder aufs Neue zu erobern. Sie liebt diese zärtlichen Berührungen und ist fast schon geneigt, seinen immer deutlicher werdenden Drängen nach mehr als nur den zärtlichen Küssen auf ihren Hals nachzugeben. Liebevoll dreht sie sich zu ihm um und presst ihn fest an sich. Ihr leidenschaftlicher Kuss wird durch das Läuten des Telefons unterbrochen. Patricia legt ihren Finger sanft auf seine Lippen und sagt mit einem vieldeutigen Lächeln: »Das heben wir uns für später auf. Mein Geburtstag endet erst um Mitternacht. Ich habe also noch genügend Zeit, mich für die Geschenke auf meine Weise zu bedanken.«

Froh beschwingt begibt sie sich zum Telefon. Innerlich ist sie mehr als nur glücklich, für Maximilian immer noch so begehrenswert zu sein. Entgegen von so manch einer geäußerten Prognose ihrer Freundinnen und Bekannten über ein langweiliges Eheleben, ist bei ihnen ein solcher Zustand glücklicherweise bisher nicht eingetreten.

Als sie den Hörer abnimmt, verschwindet für einen kurzen Augenblick das Lächeln aus ihrem Gesicht. Bei dem Anrufer handelt es sich um Marco Kollberg, einem ehemaligen Klassenkameraden von Maximilian. Er und seine Frau Tamara gehören schon seit Jahren zum engeren Freundeskreis. Doch Patricia hält nicht all Zuviel von ihm. Vor allem wenn Marco nach einigen Gläsern Kognak ihr ungeniert in den Ausschnitt schaut und dazu anzügliche Bemerkungen von sich gibt, ist sie fast gewillt, ihn nicht mehr zu den gemeinsame Zusammenkünften einzuladen. Lediglich ihr Wissen um die langjährige Freundschaft zwischen ihm und Maximilian hält sie bisher davon ab, ihrem Ehemann das recht anstößige Verhalten Marcos mitzuteilen. Auch heute belässt er es nicht nur bei den Glückwünschen zum Geburtstag. Mit süffisanter Stimme säuselt er in den Hörer: »Du wirst am Abend sicher wieder ganz reizvoll aussehen. Ich kann es kaum erwarten, beim Tanzen mit dir über das Parkett zu schweben. Ich bedaure es noch heute, dass dich Maximilian mir weggeschnappt hat. Doch was nicht ist, kann ja noch werden.«

Für Patricia ist Marco wieder einmal an der Grenze des Erträglichen angelangt. Am anderen Ende der Leitung hört sie, wie Tamara sich aus dem Hintergrund meldet und ärgerlich äußert, dass er mit diesem widerlichen ‚Gesülze’ aufhalten solle. Wenige Augenblicke später ist sie selbst am Telefon. Nach den herzlichen Glückwünschen und den üblichen Bemerkungen zum runden Geburtstag äußert sie zum Schluss: »Leider ist es mir nicht möglich, mit dabei zu sein. Eine blöde Erkältung macht mir derart zu schaffen, dass mir im Augenblick wirklich nicht nach Feiern zumute ist. Mein Arzt sagt, dass es sich um eine Sommergrippe handelt, die in drei Tagen wieder abklingt. Entschuldige bitte mein Fernbleiben und lasse es trotzdem heute Abend richtig krachen. Dreißig wird man nur einmal im Leben.«

»Schade, es tut mir wirklich leid. Selbstverständlich habe ich dafür Verständnis. Dann kommt wohl sicher auch Marco nicht?«

»Doch, doch! Du kennst ihn ja. Er lässt keine sich bietende Gelegenheit zum Feiern aus. Zudem hat er doch Tobias Fährmann an seiner Seite. Seit seiner Scheidung soll er wohl öfter ein Glas mehr zu sich nehmen, als ihm zuträglich ist. Doch das habe ich nur so am Rande gehört. Das Schlimme jedoch an einem Gerücht ist, dass es immer ein Körnchen Wahrheit beinhaltet.«

Patricia beendet das Gespräch. Im Stillen sagt sie sich: Ein Glück nur, dass Tobias heute Abend kommt. Da werden sich beide mehr an der Bar aufhalten und ich bin vor allzu großen Zudringlichkeiten seitens Marcos sicher.

Die fröhliche Stimmung kehrt unverzüglich wieder zurück. Die möchte sich Patricia heute von niemand nehmen lassen. Schon mehrmals wurde ihr an diesem Morgen am Telefon bestätigt, dass sie sich wegen des Alters überhaupt keine Gedanken zu machen brauche und eher noch immer den Charme eines Schulmädchens besitze. Jetzt glaubt Patricia schon langsam selbst daran. Wiederholt stellt sie sich vor den Spiegel und betrachtet sich argwöhnisch. Jedes Mal kommt sie zu dem gleichen Urteil: Die Leute haben recht. Wie eine Dreißigjährige sehe ich bei weitem nicht aus.

Irgendwann schweigt das Telefon und der Alltag holt Patricia wieder ein. Ihr fällt ein, dass die Wochenendeinkäufe zu erledigen sind und sie den Friseurtermin ebenfalls noch wahrzunehmen hat.

Scherzhaft äußert sie gegenüber Maximilian: »Ich benötige unbedingt ein neues Kleid für den heutigen Abend. Es gehört doch zu deinen bevorzugten Lieblingsbeschäftigungen, mich beim Kauf neuer Kleidung zu begleiten. Den Besuch der Modeboutique verbinden wir mit der Fahrt zum Supermarkt. Danach bist du aller Pflichten enthoben.«

Ihre heitere und fröhliche Stimmung wirkt auf Maximilian ansteckend. Selbst zu der versteckten Ironie bezüglich seiner Abneigung gegen den Besuch von Modegeschäften macht er heute ein freundliches Gesicht und erwidert lachend: »Es wird mir ein Vergnügen sein, als lebender Kleiderständer vor der Ankleidekabine zu stehen und dir die neue Garderobe Stück für Stück hinter den Vorhang zu reichen. Zudem glaube ich, eine nicht ganz unwichtige Rolle an der Kasse zu spielen.«

Schmunzelnd sagt Patricia: »Ich versichere dir, ganz brav zu sein und deine Geduld beim Aussuchen der Kleidungsstücke nicht unnötig zu strapazieren.« Entgegen ihrem Versprechen probiert Patricia unzählige verschiedene Garderoben an. Zum Schluss entscheidet sie sich für ein figurbetontes Kleid mit Herz-Dekolletè. Maximilian ruft begeistert: »Du siehst bezaubernd aus.«

Nach kurzem Nachdenken runzelt er die Stirn und fügt hinzu: »Ist es nicht etwas zu gewagt. Ein Teil deines Busens ist recht aufreizend zu sehen.«

»Was du nur hast. Lass doch andere Männer neidisch schauen und sei nicht so prüde. Schließlich gehöre ich nur dir allein.«

Lachend fasst sie ihm an den Revers seines Sakkos und gibt ihm vor allen Leuten einen herzhaften Kuss. Ihre fröhliche Art hat etwas Entwaffnendes an sich und Maximilian ist sofort wieder guter Laune. Er überlegt kurz: Sie hat doch recht. Selbst in einem Lied heißt es doch, dass eine Frau mit ihren Reizen nicht geizen soll. Ein paar neidvolle Blicke meiner Artgenossen sind auch nicht ganz übel. Meinetwegen sollen sie doch erotische Wunschvorstellungen hegen. Der Dank für das Geburtstagsgeschenk wird in dieser Nacht nur mir allein gehören.

Schweigegeld

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