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Unverhoffte Begegnung

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Maximilian findet nach zwei Wochen eine kleine preiswerte Wohnung am Stadtrand und verlässt das Hotel. Die Suche nach einer Arbeitsstelle gestaltet sich dagegen weitaus schwieriger. Auf mehrere Bewerbungen in seinem Beruf als Banker erhält er Absagen. Ihm fällt ein, als Student die Taxifahrerlaubnis erworben zu haben. Leider ist die Gültigkeitsfrist abgelaufen. Der Antrag einer Verlängerung wird problemlos genehmigt. Somit steht einer Anstellung im Dienstleistungsgewerbe nichts mehr im Wege. Die recht abwechslungsreiche Arbeit als Taxifahrer gefällt ihm zunehmend immer besser. Die Zeit vergeht und die Entlassung aus der Haftanstalt liegt nunmehr ein halbes Jahr zurück. Maximilian findet sich nach einem etwas holperigen Anfang recht schnell wieder im normalen Alltag zurecht. Die ständigen Kontakte zu anderen Menschen besänftigen zunehmend den vormals gehegten Drang, unbedingt Rache für das ihm zugefügte Unrecht zu üben. Nur wenn er die Abende allein in seiner Wohnung verbringt, kann er sich den Erinnerungen an Patricia nicht verschließen. Der tagsüber abhandengekommene Wille, Vergeltung zu üben, wird dadurch immer wieder aufs Neue bestärkt.

Ablenkungen von seinen düsteren Gedanken verschaffen ihm die wöchentliche Skatrunde mit Arbeitskollegen und die Besuche der Eckkneipe im Kiez, wo er mit Gleichgesinnten die Fußballspiele auf Sky verfolgt. Sein Leben verläuft in geordneten Bahnen und die Vergangenheit verblasst zunehmend. Langsam erwacht in Maximilian das Interesse für das andere Geschlecht. Mehrmals ertappt er sich, attraktive Frauen mit Patricia zu vergleichen. Bisher hat keine seinen Vorstellungen entsprochen. Heute ist Sonntag. Am Flughafen Tegel reiht sich Maximilian mit dem Taxi in die Schlange der auf Fahrgäste wartenden Kollegen ein. Durch die Glasscheiben der Empfangshalle beobachtet er die freudige Begrüßung und teilweise stürmischen Umarmungen der erwarteten Freunde, Liebsten und Bekannten. Ein klein wenig Wehmut steigt in ihm auf. Trotz aller positiven Lebensumstände fehlt ihm diese Herzlichkeit. Für solche Gedanken bleibt nicht allzu viel Zeit. Recht schnell steht Maximilian an der Spitze der Warteschlange. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem nächsten Fahrgast. Nur flüchtig nimmt er wahr, dass es sich um eine alleinreisende junge Frau handelt.. Flink steigt er aus, um ihr Reisegepäck im Kofferraum des Taxis zu verstauen. Die zuvorkommende Behandlung seiner Fahrgäste hat er sich von Anfang an zu Eigen gemacht. Ein solches kundenfreundliches Verhalten bescherte ihm bei zahlreichen Fahrten oftmals ein recht üppiges Trinkgeld. Mehrmals wurde Maximilian auf sein hilfsbereites Verhalten angesprochen. Mit einem Lächeln erinnert er sich an die Bemerkung eines älteren Herrn, dem sein Dialekt unverwechselbar als Schwaben auswies. Er sagte zu ihm: 'Du bischt doch gar nischt so schdofflig, wie der Ruf, der euch Berliner Taxifahrern vorauseilt'.

Das leichte Lächeln bleibt in seinem Gesicht haften, als er die Größe des Rollkoffers des neuen Fahrgastes wahrnimmt. Wie bei fast allen weiblichen Reisenden hat dem Umfang zu Folge darin der Inhalt eines mittelgroßen Kleiderschrankes Platz. Als Maximilian den schweren Koffer anhebt, schaut er erstmals der Dame ins Gesicht. Völlig überrascht setzt er das Gepäckstück wieder ab und ruft erstaunt: »Lisa! Ich glaube es nicht. Bist du es wirklich?«

Lisa Morani bemerkte bereits beim Öffnen der Fahrzeugtür, dass es sich um Maximilian handelt. Noch immer sitzt ihr der Schreck über die unerwartete Begegnung in den Gliedern. Etwas verlegen sagt sie: »Welch ein Zufall. Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen. Trotzdem habe ich dich sofort wiedererkannt. Du hast dich kaum verändert.«

»Das kann ich auch von dir behaupten. Immerhin sind mehr als fünf Jahre vergangen, seit wir uns das letzte Mal sahen.«

Nach diesem kurzen Wortwechsel stehen sich beide etwas hilflos gegenüber. Während Lisa befürchtet, dass sie sogleich heftige Vorwürfe wegen ihres Verhaltens von damals vor Gericht zu hören bekommt, bewegen sich Maximilians Gedanken in eine völlig andere Richtung. Blitzschnell überlegt er, dass der Zufall ihm die Möglichkeit in die Hand spielt, nunmehr etwas über die tatsächlichen Umstände des Geschehens in der bewussten Mordnacht zu erfahren.

Inzwischen sind bereits mehrer Taxis an ihnen vorbei gefahren. Erst als der hinter ihm stehende Kollege die Fensterscheibe an der Beifahrerseite herunterlässt und laut ruft: »Wat denn? Willst du hier Wurzel schlagen oder viel lieber Kohle verdienen?«, streift Maximilian die ihn kurz überwältigte Befangenheit ab und verstaut umgehend das Reisegepäck im Kofferraum. Entgegen seinen Erwartungen nimmt Lisa im Fond des Wagens Platz. Sie nennt ihm ihre Adresse. Es handelt sich um die gleiche Wohnung, die Maximilian aus den Zeiten, als sie eng befreundet waren, bekannt ist.

Die Fahrt verläuft anfangs schweigend. Zu groß war die Überraschung über das unverhoffte Wiedersehen. Keiner von beiden weiß, wie er damit umzugehen soll und sie suchen im Stillen nach einem möglichst unverfänglichen Thema für ein Gespräch. Nach einer Weile räuspert sich Maximilian und fragt mit leicht belegter Stimme: »Lebst du eigentlich allein, weil dich niemand begleitet oder vom Flughafen abholt?«

Lisa ist froh, dass das bei ihr bereits Unbehagen auslösende peinliche Schweigen beendet ist. Mit einem Anflug von Sarkasmus entgegnet sie ihm: »Was soll ich darauf schon antworten. Leider oder zum Glück ist mir der Richtige bisher nicht über den Weg gelaufen. Ich bin tatsächlich immer noch Single und verspüre im Moment weder Lust noch Verlangen, meine derzeitigen Lebensumstände zu ändern.«

Maximilian gefällt vor allem Lisas Tonfall nicht. Die Worte kommen ziemlich gekünstelt über ihre Lippen. Ihn beschleichen Zweifel, ob sie damit die volle Wahrheit von sich gegeben hat. Nach kurzer Überlegung äußert er: »Verstehe mich bitte jetzt nicht falsch, wenn ich dich frage, ob wir uns einmal treffen könnten? Du brauchst keine Bedenken zu haben, als Seelentrösterin für einen alleinstehenden Herrn zu dienen, dem es nach fünfjähriger Haftzeit nach einer Frau gelüstet. Unsere Begegnung könnte unverfänglich zum Beispiel in einem Restaurant stattfinden.«

Lisa überlegt einen kurzen Augenblick und denkt über die von Maximilian geäußerten Worte nach. Entgegen ihren tatsächlichen Gefühlen sagt sie recht kühl: »Dazu kennst du doch meine Meinung von den Telefonaten aus der Haftanstalt. Warum sollte ich diese aufgrund unserer zufälligen Begegnung geändert haben?«

Sichtlich enttäuscht über die Antwort äußert Maximilian resigniert: »Mir ist bis heute unverständlich, weshalb ihr mich alle für den Mörder von Patricia haltet. Ich schwöre, die Tat nicht begangen zu haben. Vielleicht hast du recht, dass unser heutiges unverhofftes Wiedersehen deine Meinung über mich nicht schlagartig ändern kann. Trotzdem solltest du mir eine Chance geben, dich von meiner Unschuld zu überzeugen.« Lisa benötigt einige Minuten, um über seine Worte nachzudenken. Maximilian kommt es wie eine Ewigkeit vor. Schließlich äußert sie: »Einverstanden, aber nicht gleich heute oder morgen. Ich benötige mindestens ein bis zwei Tage, um den Jetlag zu überwinden und meinen kleinen Haushalt zu ordnen.«

In Maximilian glimmt ein Funke Hoffnung auf, nun doch noch einige Einzelheiten über das Geschehen zu erhalten, welches für ihn vor fünf Jahren so tragisch endete. Zuversichtlich gibt er von sich: »Das trifft sich hervorragend. Übermorgen habe ich einen freien Tag. Wir könnten uns an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz treffen und ein tolles Restaurant in Berlin-Mitte besuchen.«

»Damit bin ich einverstanden. Sei bitte pünktlich und lasse mich nicht wie ein von ihrem Liebsten im Stich gelassenes pupertierendes Mädchen herumstehen.«

Maximilian lacht und sagt vergnügt: »Deine Gedanken sind völlig überflüssig. Auf meine Pünktlichkeit ist schon immer Verlass gewesen.«

Auf der Fahrt zurück zum Flughafen überlegt Maximilian: Was wird Lisa bewogen haben, einem Treffen mit mir zuzustimmen. Warum nur brauchte sie eine gewisse Zeit für die Entscheidung? Zudem klang ihre Stimme bei der recht zögerlich vorgetragenen Antwort ziemlich befangen. Doch eines ist gewiss: Lisa sieht bezaubernd aus und ist in den fünf Jahren eine noch attraktivere Erscheinung geworden, als ich sie in Erinnerung habe. Jetzt ist meine Neugier erst recht geweckt, warum sie immer noch ungebunden ist und bisher angeblich nicht den richtigen Partner gefunden hat. All diese Gedanken schwirren ihm bis zum Dienstschluss ständig durch den Kopf, ohne dass er auf die einzelnen, sich immer wieder gestellten Fragen, eine schlüssige Antwort findet.

Dann ist es endlich soweit und Maximilian übergibt das Taxi an einen Kollegen. Wie an allen Abenden zuvor setzt er sich in seiner Wohnung mit einem Glas Bier an den Couchtisch und zählt die Tageseinnahmen. Die Geldbörse ist heute recht gut gefüllt. Maximilian hatte im Verlauf des Tages kaum Standzeiten und beförderte fast pausenlos Fahrgäste. Den an die Bank einzuzahlenden Betrag stapelt er sorgfältig und verstaut ihn in einem Briefumschlag. Für ihn bleibt eine recht erquickliche Summe übrig. Statt sich, wie sonst üblich, darüber zu freuen, schweifen am heutigen Abend seine Gedanken ab und er stellt zum wiederholten Male fest, dass die Begegnung mit Lisa in seinen Erinnerungen ziemlich stark haften geblieben ist. Zunehmend beherrschen ihn ganz andere Gedanken, als die Fragen, die ihm den ganzen Tag durch den Kopf gegangen sind. Er vergleicht Lisa mit Patricia und stellt fest, dass sie bisher als einzige Frau solch einem Vergleich standhält. Schließlich Fest, dass sie bisher als einzige Frau solch einem Vergleich standhält. Schließlich ertappt sich Maximilian dabei, mehr als nur Sympathie für Lisa zu empfinden. Als seine Vorstellungen über den Verlauf des in zwei Tagen stattfindenden Treffens darin gipfelt, sie heftig zu umarmen, gibt er sich innerlich einen Ruck und sagt halblaut vor sich hin: »Alter Esel, Lisa ist nicht mehr, als eine Freundin. Ich sollte mich viel mehr darauf konzentrieren, mit ihrer Hilfe das Geschehen in der Mordnacht zu rekonstruieren, um einen Hinweis auf den wahren Mörder Patricias zu erhalten. Meine Gedanken, ein Verhältnis mit ihr einzugehen, sind wahrlich aberwitzigen Vorstellungen. Wenn sie nur annähernd etwas für mich empfinden würde, dann wäre mir das in den vielen Jahren vor Patricias Ermordung aufgefallen. Es wäre sicher hilfreicher, solche Hirngespinste tunlichst zu unterlassen.«

Der Gedanken keimt in ihm auf, dass es zwischen Lisa und seinen Freunden einen Zusammenhang mit dem Verbrechen gibt. Eine solche Überlegung war ihm bereits in der Haftzeit wiederholt in den Sinn gekommen. Doch genau wie oftmals zuvor verwirft er ihn augenblicklich. Allein die Vorstellung dazu erscheint ihm auch am heutigen Abend zu absurd. Ärgerlich über sich und seine für ihn im Moment absonderlichen Ideen lässt er das halbvolle Glas Bier achtlos stehen und begibt sich zur Nachtruhe.

Ach an Lisa ist das unverhoffte Wiedersehen nicht spurlos vorüber gegangen. Sie schließt die Wohnungstür auf und stellt das Reisegepäck im Korridor ab. Die Begegnung mit Maximilian lässt ihr Herz schneller schlagen. Wie ein Teenager eilt sie zum Fenster, um nochmals einen Blick auf ihn zu erhaschen. Leider vergebens. Von dem Taxi sind nur die Rücklichter zu sehen. Voller Wehmut schaut sie dem davonfahrenden Auto hinterher und erinnert sich mit einem Male recht heftig an ihre Jugendzeit: Soll der Zufall mir nach so vielen Jahren doch noch meinen Mädchentraum erfüllen?

Es geschah damals in der Jugendzeit. Lisa und Patricia wuchsen fast wie Geschwister auf. Beide waren siebzehn Jahre alt und teilten sich Freud und Leid der Teenagerzeit. Dann passierte es, was Lisa bis heute nicht vollends überwunden hat. Beide verliebten sich in den gleichen jungen Mann mit Namen Maximilian. Erstmals schwiegen sie gegenseitig über ihre Gefühle. Zum Leidwesen Lisas entschied er sich für Patricia. Ein Jahr später fand die Hochzeit statt. Sie glaubte damals, sich das Leben nehmen zu müssen. Die Aufgabe als Trauzeugin nahm Lisa mit sichtlichen Widerwillen wahr. Die Enttäuschung über die verlorene Liebe nagte zutiefst an ihrem Selbstbewusstsein. Zugleich wuchs ihr Groll gegen Maximilian ständig. Oftmals schlug die maßlose Enttäuschung in einen Regelrechten Hass um und sie wünschte wiederholt, dass ihm das nur aller erdenklich Böse und Schlimme geschieht. Auch das vormals so herzliche und innige Verhältnis zu Patricia erhielt einen Dämpfer. Diese bemerkte auf Grund der ersten glücklichen Ehejahre nichts von dem veränderten Verhalten ihrer Freundin. So vergingen die Jahre. Trotz zahlreicher Verehrer blieb Lisa allein. Keiner hielt dem Vergleich mit Maximilian stand. Ihre Gefühle schwankten ständig zwischen tiefer Zuneigung und einer unerbittlichen Feindseligkeit. Vor allem die Demütigung einer verschmähten Liebe bestimmte letztendlich ihr Verhalten bei der Gerichtsverhandlung. Unmittelbar nach der Verurteilung Maximilians empfand sie sowohl Genugtuung für die Strafe als auch unsagbar großes Mitleid mit ihm. Die innerliche Zerrissenheit wurde von ihr niemals wirklich überwunden. Gleichzeitig gewann zunehmend ein anderes Gefühl die Oberhand. Oftmals fragte sie sich, weshalb ihre Reaktion damals nicht besser eine andere gewesen wäre. Als Maximilian durch den Tod von Patricia endlich frei war, nutzte sie die Gunst der Stunde nicht, um ihn für sich zu gewinnen. Obwohl Lisa oftmals über einen möglichen Weg nachdachte, sich aus dieser sie belastenden Situation zu befreien, fiel ihr nie eine machbare Lösung ein. Mit den Jahren fing Lisa an, zu resignieren. Ihr wurde die Unmöglichkeit eines Zusammenseins mit Maximilian immer bewusster und sie fand sich langsam damit ab, ihn durch ihr törichtes Verhalten für endgültig verloren zu haben. Doch dann erfolgt wie durch ein Wunder die unverhoffte Begegnung am Flughafen. Die alten Wunden brechen wieder auf und Lisa fühlt sich in eine Zeit vor fünfzehn Jahren zurückversetzt. Das Zusammentreffen war so überraschend, dass sie in den ersten Minuten des Wiedersehens nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Daraus erklärt sich auch die recht zögerliche Beantwortung von Maximilians Frage nach der Möglichkeit eines Treffens mit ihr. Lisa erinnert sich recht gut an die Situation im Taxi und vor allem an die Gedanken, die ihr schlagartig durch den Kopf gingen: Nur jetzt keinen Fehler begehen! Es ist möglicherweise die letzte Chance, dass mein Traum eines Zusammenlebens mit ihm sich endlich erfüllt.

All die Überlegungen und vor allem das Nachdenken darüber, wie sie sich bei dem bevorstehenden Treffen mit Maximilian verhalten sollte, lässt Lisa an diesem Abend nur schwer in den Schlaf finden. Immer wieder grübelt sie über verschiedene Varianten ihres Vorgehens nach. Soll sie ihm die ganze Wahrheit sagen? Wie wird er wohl reagieren? Schließlich hatte sie es nach der Gerichtsverhandlung abgelehnt, mit ihm weiter in Kontakt zu bleiben. Seine inständigen Bitten um einen Besuch in der Haftanstalt wurden von ihr stets abschlägig beantwortet.

Das triumphierende Gefühl über die Verurteilung Maximilians ist seit dem unverhofften Wiedersehen nunmehr gänzlich verflogen. Die seit vielen Jahren unterdrückten Empfindungen gewinnen zunehmend die Oberhand. Lisa kann es kaum erwarten, Maximilian zu sehen. Sie hat sich entschlossen, ihm die vollständige Wahrheit über den Abend vor mehr als fünf Jahren zu sagen. Ihr ist bewusst, dass eine solche Offenbarung einem Spiel mit dem Feuer gleicht. Es ist ein Vabanquespiel zwischen alles zu gewinnen und endgültig alles zu verlieren. Zugleich erkennt sie, dass ein neues Leben unter keinen Umständen mit einer Lüge beginnen darf. Einer solchen seelischen Belastung will sie sich nicht aussetzen. Außerdem sind ihre Bedenken darauf gerichtet, dass Maximilian durch Marco und Tobias die Wahrheit erfahren könnte. Es ist ja nicht gänzlich auszuschließen, dass er von sich aus ein Treffen mit den beiden suchen wird. Dann wäre sowieso alles aus und vorbei. Einer solchen ständigen Angst und Unsicherheit möchte sie nicht ausgesetzt sein. All die wirren Gedanken, die zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit schwanken, bewirken eine innere Unrast und Lisa wird statt schläfrig, immer munterer. Sie steht auf und stellt sich ans Fenster. Mit Blick auf die Straße erinnert sie sich, erst vor wenigen Stunden vergeblich versucht zu haben, Maximilian nach der Verabschiedung nochmals zu sehen. In diesem Moment fällt ihr ein, dass ein Bild von ihm irgendwo in einen der Schubkästen liegen muss. Sie hat es lange nicht mehr betrachtet. Aufgewühlt durchsucht sie die Schrankkästen und hält schließlich das Foto in ihren Händen. Es handelt sich um eine Fotografie, auf der sie beide bei einem Tanz auf der Hochzeit abgelichtet sind. Lisa legt sich wieder hin und streicht zärtlich über den Kopf von Maximilian. Die Geste wirkt beruhigend und die innerliche Unrast flaut zunehmend ab. Jetzt fordern die Reisestrapazen und der Zeitzonenunterschied ihr Tribut. Ohne das Licht zu löschen, schläft sie nunmehr mit einem zufriedenen Lächeln um die Mundwinkel ein.

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