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Eine verhängnisvolle Entscheidung
ОглавлениеDer Barkellner zeigt sich aufgeschlossen und stellt die Tische für die Geburtstagsgesellschaft zu einer Tafel zusammen. Patricias Erwartungen sind in Erfüllung gegangen. Außer Tamara sind alle neunzehn eingeladenen Freunde und Bekannten gekommen. Es wird gescherzt und gelacht. Immer wieder lässt man die Gläser klingen und stößt mit dem Geburtstagskind an. Jeder erhebt Anspruch auf einen Ehrentanz mit ihr. Patricia ist überglücklich über so viel Zuspruch und genießt voller Freude, im Mittelpunkt des Abends zu stehen. Es ist bereits weit nach Mitternacht, als sich die Geburtstagsgäste nach und nach verabschieden. Schließlich sitzen lediglich Lisa Morani, Marco Kollberg und Tobias Fährmann am Bartresen. Patricia hat sich im Gegensatz zu ihrem Ehegatten mit dem Trinken sehr zurückgehalten. Ihre gute Stimmung hat dadurch keineswegs gelitten. Liebevoll betrachtet sie die von ihren Freunden überreichten wunderschönen Blumensträuße und die Geschenke. Lisa Morani stellt sich neben ihre Freundin und bemerkt: »Es muss doch für dich ein wunderbares Gefühl sein, soviel Aufmerksamkeit zu erhalten.«
»Darüber bin ich total glücklich. Das einzige Problem besteht darin, die vielen Sachen von hier wegzubekommen. Es wäre toll, wenn du mir helfen würdest. Wir nehmen ein Taxi und von meiner Wohnung ist es ja nicht weit bis zu dir nach Hause.«
»Natürlich kannst du auf mich zählen. Das mache ich doch gerne«, antwortet Lisa.
Für alle überraschend ruft Maximilian leicht betrunken aus: »Der Abend ist viel zu schön, als das wir ihn so einfach schon jetzt beenden. Wir gehen alle noch zu uns nach Hause und feiern weiter bis zum Sonnenaufgang. Nun, mein liebes Geburtstagskind, was sagst du zu meinem Vorschlag?«
Patricia überlegt kurz und resümiert: Bisher hat sich Marco entgegen meinen Befürchtungen sehr zurückhaltend benommen. Vielleicht bilde ich mir nur ein, dass er aufdringlich ist. Nicht ein einziges Mal starrte er auf meinen Busen. Was steht dem Vorschlag von Maximilian eigentlich im Wege?
Lachend äußert sie mit einem Blick auf die Uhr: »Ihr seid alle eingeladen. Zum Frühstück wird geräucherten Lachs mit Avocado auf Toastscheiben serviert. Dazu gebe ich noch Knoblauch, Meerrettich und Limettensaft bei. Als es von mir erstmals zubereitet wurde, waren alle hellauf begeistert. Nach dem Frühstück ist allerdings wegen dem Verzehren von Knoblauchzehen das Küssen verboten.«
Aufgeräumt und scherzend verlassen sie die Nachtbar. Die Männer bemächtigen sich der Blumensträuße und für die beiden Freundinnen bleiben lediglich zwei Tragetaschen mit den Geschenken übrig. Somit können sie auf die Heimfahrt mit dem Taxi verzichten. Patricia hakt sich bei Lisa ein und unterhält sich angeregt mit ihr. So bemerkt sie nicht die lüsternen und begehrlichen Blicke, mit denen Marco Kollberg ihre Figur mustert.
Dann kommt die fröhliche Runde in der Wohnung von Patricia und Maximilian an. Während der Hausherr das Radio bedient und die Kognakgläser füllt verabschiedet sich Patricia mit den Worten: »Ich begebe mich jetzt in die Küche, um das versprochene Frühstück vorzubereiten. Trinkt nicht so viel, sonst geht euch noch der Geschmack für meine Spezialität verloren.«
Tobias und Maximilian überhören die mahnenden Worte. Entgegen Patricias Warnung sind die Gläser in kurzer Zeit zum dritten Mal gefüllt. So bleibt es nicht aus, dass sich bei Maximilian in den frühen Morgenstunden die Augenlider schließen und er mit zurückgelegtem Kopf einschläft. Lisa verabschiedet sich kurz auf die Toilette und Tobias beschäftigt sich interessiert mit der umfangreichen Sammlung aus dem CD und DVD Regal. Jetzt sieht Marco seine Zeit gekommen. Schnell begibt er sich in die Küche und umfasst hinter Patricia stehend ihre Brüste. Völlig überrumpelt von dem unerwarteten Geschehen dreht sie sich um und gibt ihm eine kräftige Ohrfeige.
»Du abscheuliches Ungeheuer. Verlasse sofort die Wohnung und komme mir nie wieder unter die Augen. Unsere Freundschaft ist ein und für allemal beendet. Tamara kann einem richtig leid tun, mit einem solchen Wüstling verheiratet zu sein.«
Bei der Rangelei ist der herzförmige Ausschnitt ihres Kleides ein wenig verrutscht und gibt unfreiwillig mehr von ihrem Busen frei. Mit ihren funkelnden Augen und dem wütenden Blicken wird Patricia immer begehrlicher für ihn. Statt ihre Worte zu befolgen, stürzt er sich förmlich auf sie und presst sie fest an sich. Plötzlich hat Patricia ein Messer in der Hand und äußert zornig: »Wenn du nicht sofort von mir lässt, dann stoße ich zu.«
Wutentbrannt über die Zurückweisung entreißt Marco ihr das Messer. Wie von Sinnen über die Demütigung rammt er ihr die Klinge mit voller Wucht in den Hals. Es folgt ein kurzer Aufschrei und Patricia gleitet bewusstlos zu Boden. Es dauert nur wenige Augenblicke und ihr Herz hört auf zu schlagen.
»Bist du wahnsinnig! Was hast du nur gemacht?«, sind die ersten Worte, die Marco nach seiner grausigen Tat vernimmt.
Lisa Morani steht in der Tür und schaut erschrocken auf ihre in einer Blutlache liegende Freundin.
»Es war Notwehr. Ich wollte es nicht. Du musst mir helfen«, stammelt Marco noch immer wie betäubt von dem, was soeben geschehen ist.
Im ersten Moment überlegt Lisa, die Polizei zu verständigen. Doch blitzartig kommt ihr eine andere Idee. Umgehend erkennt sie, dass sich eine unverhoffte Gelegenheit bietet, für die verschmähte Liebe Vergeltung zu üben. Dass Patricia ihr den so heiß geliebten Maximilian vor acht Jahren wegnahm und wenig später heiratete, hat sie nie vollständig verwunden. Ebenso nicht die Wut darüber, dass er sich damals nicht für sie, sondern ihre Freundin entschied. All die Gedanken schwirren ihr durch den Kopf und bestimmen Lisas weitere Handlungen. Kurz entschlossen sagt sie: »Wir müssen schnellstens hier weg. Gib mir das Messer. Ich wische den Griff ab. Maximilian ist auf der Couch eingeschlafen. Bevor er wach wird, sollten wir verschwunden sein.«Tobias erscheint und bleibt an der Tür stehen. Benebelt vom Alkohol äußert er: »Wann gibt es denn nun endlich den Lachs. Immer die leeren Versprechungen. Inzwischen habe ich regelrecht Hunger bekommen.«
Erst nach diesen Worten sieht er Patricia am Boden liegen und fragt besorgt: »Was ist denn mit unserem Geburtstagskind geschehen? Geht es ihr nicht gut?«
Marco drängt ihn vehement aus der Küche und bemerkt: »Für lange Erklärungen ist jetzt keine Zeit. Wir müssen umgehend die Wohnung verlassen.«
Lisa wendet sich an Marco und Tobias: »Ihr kommt am besten mit zu mir. Tamara sollte von dem Geschehnis nichts erfahren. Es ist besser, wenn es das Geheimnis zwischen uns dreien bleibt.«
»Was soll die ganze Heimlichtuerei? Ich verstehe euch im Moment überhaupt nicht. Und was ist mit den Blutspuren auf deinem Hemd?«, versucht Tobias, von dem bisherigen Geschehen etwas in Erfahrung zu bringen.
Lisa sagt in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet: »Du gehst erst einmal nach Hause und holst für Marco ein frisches Hemd. Inzwischen werde ich mit ihm in meine Wohnung gehen. Dort besprechen wir alles Weitere.«
Nur widerwillig fügt sich Tobias der Anweisung. Er versteht immer noch nicht, um was es sich handelt. Der energische Ton Lisas hält ihm davon ab, dagegen Protest einzulegen. Tobias und Marco stehen auf und begeben sich zur Korridortür. Bevor sie diese erreichen, ertönt Lisa Stimme erneut: »Halt! Vor Verlassen der Wohnung sucht einer von euch nach dem Wohnungsschlüssel.«
»Was soll denn diese blöde Bemerkung. Die Tür hat kein Mensch von Innen verriegelt«, murmeln beide fast gleichzeitig.
»Stelle dich doch bitte nicht so begriffsstutzig an. Wenn wir die Tür von Außen verschließen, wird es für die Kripo keinerlei Zweifel geben, dass nur derjenige die Tat begehen konnte, der sich zu diesem Zeitpunkt in der Wohnung aufhielt. Wer sonst, als Maximilian, sollte die Tür verschlossen haben. Also kann auch nur er der Täter sein.«
Nach wenigen Augenblicken ruft Tobias: »Am Schlüsselbrett ist kein passender Schlüssel zu finden.«
»Dann suche in der Handtasche von Patricia. Beeile dich! Wir müssen schnellstens hier weg.«
Tobias findet den Wohnungsschlüssel und übergibt ihn Lisa. In einem belehrenden Ton sagt sie: »Hört genau zu und vergesst keines meiner Worte. Wir verlassen jetzt gemeinsam die Wohnung. Als Gäste der Geburtstagsparty wird uns Tobias, schaut sie verständnislos an und fragt: »Ich verstehe nicht, was daran so kompliziert sein soll? Wir haben ganz einfach in den frühen Morgenstunden gemeinsam die Wohnung verlassen. Nun mache bitte keine Wissenschaft aus einer solch banalen Angelegenheit.«
Der tadelnde Blick von Lisa lässt ihn umgehend verstummen. Sogleich fährt sie mit ihren Ausführungen fort: »Die Kriminalpolizei wird uns zu einem späteren Zeitpunkt mit Sicherheit vernehmen. Bei der Schilderung des Geschehens darf es keine Abweichung geben. Die Kommissare werden sich den Verlauf des Abends bis ins kleinste Detail schildern lassen. Es kommt dabei vor allem auf die Aussagen für den Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung an. Es ist äußerst wichtig, dass wir übereinstimmend erklären, dass sich Patricia mit den Vorbereitungen für das Frühstück in der Küche beschäftigte und Maximilian im Wohnzimmer eingeschlafen war. Davon darf keinen Millimeter abgewichen werden. Unsere Darlegungen, dass Patricia zu dieser Zeit noch am Leben war, werden auf die Kriminalbeamten glaubhaft wirken. Mehr gibt es nicht zu besprechen. Jetzt sollten wir schleunigst die Wohnung verlassen.«
Mit einem lauten Knall wirft Marco die Tür zu. Leise zischt Lisa: »Bist du denn verrückt. Soll das ganze Haus aufmerksam werden, dass wir jetzt erst die Wohnung verlassen. Wenn die Kripo den Todeszeitpunkt Patricias bestimmt und wir sind zu dieser Zeit noch hier gewesen, ist unser ganzes Alibi nichts mehr wert.«
Lisa verschließt die Korridortür von außen. Leise und unbemerkt entfernen sich die drei aus dem Treppenhaus. Den Schlüssel wirft sie auf dem Weg zu ihrer Wohnung achtlos in den Abfallbehälter an einer Bushaltestelle.
Auf dem Weg nach Hause ruft sich Lisa den Tag in Erinnerung zurück, als Maximilian und Patricia ihr vor zehn Jahren von der bevorstehenden Hochzeit erzählten und die Bitte äußerten, bei der Vermählung Trauzeugin zu sein. Nächtelang weinte sie in ihr Kopfkissen und glaubte damals, dass das Leben keinen Sinn mehr habe. Viele Jahre musste Lisa mit ansehen, wie beide glücklich miteinander lebten. Die Zurückweisung ihrer Liebe empfand sie als Demütigung und hat diese Maximilian bis zum heutigen Tag nicht verziehen. Hass steigt in ihr auf und ein Gefühl der Rache bemächtigt sich ihr. Zugleich überlegt Lisa recht kühl: Jetzt kann ich mich für die erlittenen seelischen Qualen revanchieren. Dafür soll Maximilian büßen und wird hoffentlich den Rest seines Lebens für immer hinter Gittern verbringen.
Dass Maximilian von den jugendlichen Träumereien und Sehnsüchten nichts wusste, kommt ihr nicht in den Sinn. Wortlos, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, laufen Lisa und Marco nebeneinander durch die Nacht. Als Erster bricht Marco das Schweigen und sagt: »Du warst bisher so still. Sicher hinderte dich die Überlegung, was wir jetzt unternehmen sollten, am Sprechen.«
»Glaube nicht, dass du mich jetzt als Komplizin betrachten kannst. Ein Wort von mir würde ausreichen und du landest im Gefängnis. Doch ich glaube, einen Ausweg gefunden zu haben.«
Marco ist sich seiner misslichen Lage bewusst. Kleinlaut äußert er: »Wenn du mich nicht verrätst, erfülle ich ohne Wenn und Aber jede deiner Bedingungen.«
Mit einem berechnenden Blick erwidert Lisa: »Das klingt schon recht vernünftig. Eine andere Chance bleibt dir ja wohl auch nicht, als auf meine Forderung einzugehen.«
»Was meinst du denn mit den Begriffen ‚Ausweg’ und ‚Forderung’. Sprich doch nicht so rätselhaft, sondern nenne deine Überlegungen konkret beim Namen.«
Den wirklichen Grund für ihr Verhalten verschweigt sie wohlweislich. Marco soll den Eindruck erhalten, dass es sich bei der Vertuschung der Tat lediglich um rein materielle Interessen handelt.
»Mein Schweigen wird dich etwas kosten.«
»Geld soll kein Hindernis sein. Bedenke aber, dass ich nur begrenzte Mittel zur Verfügung habe. Schließlich soll Tamara davon nichts erfahren.«
»Sei doch bitte nicht so naiv. Wenn du einen Kredit aufnimmst, erfährt sie nichts. Die Höhe der Raten für die Rückzahlung kannst du selbst bestimmen. Wenn dir monatlich nur ein kleiner Betrag zur Verfügung steht, wird die Tilgung eben etwas länger dauern.«
»Welche Summe stellst du dir denn vor?«
»Ich will ja kein Unmensch sein. Für den Anfang schweben mir nicht mehr, als fünfzigtausend Euro vor. Das sollte dir die Freiheit schon Wert sein. Nach fünf Jahren Werden wir dann erneut verhandeln. Keine Angst, ich treibe dich nicht in den finanziellen Ruin.«
»Irgendwie besorge ich die Summe. Das Wichtigste bei der ganzen Angelegenheit besteht darin, dass Tamara davon nichts erfährt. Sie würde unter keinen Umständen der Zahlung von Schweigegeld zustimmen. Eher ist ihr zuzutrauen, mir den Mord zu verzeihen. Nach fünf Jahren können wir uns dazu selbstverständlich nochmals verständigen. Auch darin sehe ich kein Problem.«
»Dann sind wir uns recht schnell einig geworden. Nunmehr gilt es, Tobias zu überzeugen, fest an unserer Seite zu stehen.«
»Meinst du damit, dass er ebenfalls Geld erhalten soll? Das wird nicht möglich sein. Mit der Zahlung an dich ist bei mir wirklich die Grenze des Machbaren erreicht. Du müsstest ihm von deinem Schweigegeld eine bestimmte Summe abgeben.«
»Bei ihm habe ich nicht an eine finanzielle Leistung gedacht. Tobias werden wir erklären, dass er Mitwisser ist und dich als den wahren Täter bei der Vertuschung des Verbrechens durch sein bisheriges Verhalten unterstützte. Sollte er Schwierigkeiten bereiten, können wir ihn auch der Tat bezichtigen. Es steht dann unser beider Aussage gegen seine. Ich glaube nicht, dass Tobias ein solches Risiko eingehen wird.«
»Mir ist noch nicht ganz klar, welches Motiv Maximilian für den Mord haben soll. Ihm traue ich zu, die Tat aufs Äußerste zu bestreiten und dabei sicher überzeugend wirken, da er in Wirklichkeit nicht der Mörder ist.«
»Auch daran habe ich gedacht. Du wirst bei der Vernehmung behaupten, dass es zwischen den beiden wiederholt Streit wegen seiner übertriebenen Eifersucht gab. Natürlich reicht eine solche Aussage allein nicht aus. Deshalb wurde von mir arrangiert, dass die Kripo auf dem Messergriff nur seine Fingerabdrücke findet.«
»Wieso bist du dir darüber so sicher? Maximilian war doch nun wirklich nicht bei der Tat dabei.«
»Ich bin fest davon überzeugt, dass er das Messer in die Hand nimmt. Wenn nicht, dann werden die Kriminalbeamten davon ausgehen, dass er den Griff vorsorglich säuberte. Alle anderen Spuren habe ich vorsorglich beseitigt. Das Ausschlaggebende wird die verschlossene Wohnungstür sein. Du kannst den kommenden Tagen mit einer gewissen Gelassenheit entgegensehen.«
»Deine Überlegungen sind ganz schön clever. Eine solche Kaltblütigkeit hätte ich dir niemals zugetraut. Dich möchte ich unter keinen Umständen zur Feindin haben.«
In dem Moment erscheint Tobias wieder in der Wohnung. Der Aufenthalt an der frischen Morgenluft scheint ihm gut getan zu haben. Zumindest hat sich der Alkoholspiegel in seinem Blut erheblich gesenkt. Er übergibt Lisa das Hemd und bemerkt: »Nun sagt mir doch endlich, was hier gespielt wird. Ich kann mir auf all das immer noch keinen Reim machen.«
Lisa erklärt ihm, dass Patricia mit dem Messer in der Hand auf Marco zugegangen sei. Unbeabsichtigt wäre es zu einer Rangelei in der Küche gekommen. Zum Schluss Führt sie aus: »Es wäre doch ungerecht, wenn man Marco wegen Notwehr verurteilt. Ihm wäre nie in den Sinn gekommen, Patricia vorsätzlich zu töten. Es war mehr oder weniger nur ein recht unglücklicher Unfall. Vor Gericht hätte er trotzdem keine Chance. Jeder Richter auf dieser Welt würde ihn schuldig sprechen.«
»Aber das bedeutet doch, Maximilian unschuldig hinter Gitter zu bringen. Nein, aus einer derartigen hinterhältigen und perfiden Geschichte halte ich mich raus. Zudem war er stets ein toller Kumpel und einer meiner besten Freunde.«
Lisa hat gefühlsmäßig eine solche Äußerung vorausgesehen. Wider besseren Wissens erwidert sie: »Ich kann dich recht gut verstehen. Auch uns fällt es keineswegs leicht, eine solche Aussage überhaupt in Erwägung zu ziehen. Bevor du deine Entscheidung endgültig triffst, sollte dir eine Information zu denken geben, die dir jeder aus unserem Freundeskreis bisher verschwieg.«
»Schon wieder so eine skurrile und nebulöse Behauptung. Ich habe keine Vorstellung, was ihr mir alle nicht sagen wolltet.«
»Es handelt sich um eine recht verletzende Beurteilung deiner Person. Wir wollten dir eine derartige Demütigung ersparen . Mir fällt es selbst heute schwer, darüber zu sprechen. Unter den jetzigen Umständen lässt du mir praktisch keine andere Wahl, als es dir dennoch mitzuteilen.«
Marco hört aufmerksam zu und ist sichtlich gespannt, was Lisa jetzt ins Feld führen wird. Nach einer bewusst eingelegten Kunstpause führt sie weiter aus: »Als deine Frau sich von dir wegen eines anderen Mannes scheiden ließ, haben Maximilian und Patricia in vollem Umfang zu ihr gehalten. Er äußerte sich sinngemäß, dass du ein Schlappschwanz bist und zudem zu trottelig, eine Frau zu beglücken.«
»Das hat er tatsächlich gesagt?«, ruft Tobias fassungslos aus.
»Es sind selbstverständlich seine Worte. Darüber hinaus benutzte er noch ein viel obszöneres Vokabular, welches ich dir mit Rücksicht auf deine Verletzlichkeit lieber ersparen möchte. Patricia sprach übrigens in ähnlicher Weise recht geringschätzig über dich. Nun entscheide, ob Maximilian dein Mitleid verdient. «
Tobias sitzt zusammengesunken im Sessel. Die Worte haben ihn zutiefst getroffen. Nach einem Augenblick des Nachdenkens sagt er ziemlich zerknirscht: »Eine solche Gemeinheit hätte ich Maximilian niemals zugetraut. Wenn es sich so verhält, dann könnt ihr mich selbstverständlich als Partner betrachten.«
Lisa und Marco atmen hörbar auf. Jetzt steht Tobias endgültig auf ihrer Seite. Mit
seiner Verschwiegenheit über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens können sie rechnen. Sogleich reist Lisa das Geschehen wieder an sich und sagt resolut: »Als Nächstes ist die Polizei zu verständigen. Das übernimmt Marco.« »Wenn ich das Handy benutze, erkennen sie doch meine Nummer. Wie soll ich später einen solchen Anruf rechtfertigen?«, wendet Marco ein.
»Dann unterdrücke deine Nummer. Dass man es so macht, weiß doch jedes Schulkind«, äußert Tobias, endlich froh darüber, einen Beitrag zu leisten.
»Um Gottes willen«, ruft Lisa aus, »wir alle drei werden in wenigen Stunden im Fadenkreuz der Ermittler stehen. Die checken unser ganzes Verhalten in den letzten Stunden. Über die Telefongesellschaft erhalten die Kriminalbeamten Auskunft, mit wem jeder von uns in der in Frage kommenden Zeit telefonierte. In dem Fall nutzt eine Nummerunterdrückung gar nichts.«
»Es wird besser sein, eine Information an die Polizei zu unterlassen. Ihr seht ja selbst, dass es nicht funktionieren kann. Irgendwann hat Maximilian seinen Rausch ausgeschlafen und findet Patricia. Er wird von sich aus die eins-eins-null anrufen«, reagiert Tobias auf die erneute Zurechtweisung.
Mit einer abwertenden Handbewegung wischt Lisa die Bemerkung weg und sagt zu Marco: »Natürlich wirst du weder von deinem Handy noch von meinem Festnetz aus die Polizei informieren. In der Jägerstraße befindet sich eine der wenigen öffentlichen Telefonzellen. Du gibst dich als Nachbar von Maximilian und Patricia aus und schilderst, dass es dort einen bedrohlich klingenden Streit gegeben habe. Jetzt sei es beängstigend still, aber das Licht würde noch immer brennen. Halte am besten ein Taschentuch vor die Sprechmuschel und verstelle deine Stimme. Bei den späteren Ermittlungen wird sicher dieser Anruf eine Rolle spielen. Auf der Tonbandaufzeichnung darf keineswegs deine Stimme erkannt werden.«
Der resolute Ton Lisas lässt die beiden Männer verstummen. Zudem fällt keinem von ihnen ein vernünftiges Gegenargument ein. Schließlich steht Marco auf und sagt beim Verlassen der Wohnung: »Es gibt wohl keine Alternative, als deine Anweisung zu befolgen. Zudem bin ich dir dankbar, dass du mir hilfst, aus dieser äußerst misslichen Lage unbeschadet herauszukommen.«
Lisa und Tobias bleiben allein zurück und warten auf seine Rückkehr. Nach einigen Minuten des Schweigens fragt er zaghaft: »Ich kenne mich in solchen Dingen überhaupt nicht aus. Mit wie vielen Jahren Freiheitsstrafe muss Maximilian rechnen?«
»Ein Mörder wird in der Regel zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt. Doch er trank heute Abend ziemlich viel. Dadurch kann er mit einer Strafminderung rechnen. Aber das ist im Moment wahrlich das geringste Problem sein. Vielmehr solltest du nie vergessen, wie abfällig sich Maximilian über dich äußerte.«
»Ein klein wenig Mitleid habe ich trotzdem mit ihm. Seine Bemerkungen über mich stehen in keinem Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe.«
Die Worte gehen nicht spurlos an Lisa vorbei. Entsprechen sie doch der Wahrheit. Um die aufkeimenden Sympathiegefühlen für Maximilian abzuwehren, sagt sie verhältnismäßig laut: »Wo bleibt denn nur Marco?«
Als hätte er die Frage gehört, kehrt der soeben Genannte in diesem Moment von seinem Anruf aus der Telefonzelle wieder zurück in die Wohnung und berichtet optimistisch: »Es verlief alles ohne Zwischenfälle. Der Beamte notierte sich die Adresse von Maximilian und Patricia. Als er nach Angaben zu meiner Person fragte, legte ich den Hörer auf.«
»Mit welchen Namen hast du dich denn ausgewiesen? Wenn die Kripo alles überprüft und diesen Nachbarn gibt es gar nicht, dann könnten sie doch stutzig werden«, äußert Tobias.
»Genau das waren meine Gedanken auf dem Weg zur Telefonzelle. Deshalb gab ich mich als einen zufällig vorübergehenden Passanten aus, der einen Streit, einen schrillen Schrei und danach eine unheimliche Stille wahrnahm. Aus der Reaktion des Beamten schlussfolgere ich, dass er meine Schilderungen für glaubhaft hielt.«
Zu Beginn seiner Ausführungen runzelt Lisa bedenklich die Stirn. Doch die Argumente überzeugen sie. Mit einem Mal wird sie hektisch und sagt: »Jetzt ist Eile geboten. Wir wissen nicht, wie schnell die Polizei vor Ort sein wird. Auf alle Fälle erfahren die Beamten bei der Befragung Maximilians in Kürze unsere Namen. Die Kripo muss jeden von uns zu Hause antreffen. Bitte verhaltet euch vorsichtig und vermeidet, dass ein Nachbar euer Nachhausekommen bemerkt.«
»Aus meiner Sicht übertreibst du aber gewaltig. Als ich das Hemd für Marco holte, war in keinem der Wohnhäuser ein Fenster erleuchtet. Um diese Uhrzeit schlafen doch alle fest und tief«, wendet Tobias ein.
»Unterlasse doch in unserer Situation solche rechthaberischen Sprüche. Sie sind im Moment völlig deplatziert. Nach dem Telefonanruf von Marco wird es nicht mehr lange dauern und die Kripo beginnt mit den Ermittlungen. Deshalb gilt es, jegliche Aufmerksamkeit zu vermeiden. Bei den anstehenden Vernehmungen sollten sie nicht den geringsten Anhaltspunkt finden, dass wir bezüglich der Uhrzeit des Verlassens der Wohnung die Unwahrheit sprechen. Es kann doch wahrhaftig nicht so schwer sein, das Treppenlicht nicht einzuschalten und sich in seiner eigenen Wohnung im Dunkeln zu bewegen.«
Marco nickt zustimmend und auch Tobias gibt kleinlaut bei. Beide verlassen umgehend Lisa und halten sich strikt an die von ihr erteilten Verhaltensregeln.