Читать книгу Verschollen in Somalia - Dieter Semma - Страница 10
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Das Tor zu ihrem Anwesen in Stuttgart öffnete sich automatisch. Barbara Beselle lenkte das Golf-Cabrio hinein, durchquerte die gepflegte Gartenanlage und parkte direkt vor der Eingangstreppe zu ihrer Villa. Sie stieg die fünf Stufen zum Hauseingang hinauf und trat in das Foyer. Vor dem großen Spiegel blieb sie stehen und betrachtete sich kritisch:
Sie fand, dass sie in ihrem Outfit sportlich wirkte, aber dass ihre Frisur während des Pilates Kurs durcheinandergeraten war.
Sie ergriff Kamm und Bürste und begann, ihre dunklen Locken zu richten. Hierbei fiel ihr Blick auf das benachbarte Bord, da lag aufgeschlagen eine Zeitschrift. Sie sah den Werbetext und wie elektrisiert fuhr sie auf, las den Inhalt mehrfach und war davon völlig eingenommen. Es war eine Anzeige der VIP-Reederei über eine Kreuzfahrt durch den vorderen Orient. Sie sollte vom Mittelmeer durch den Suezkanal und das Rote Meer weiter zum persischen Golf führen. Barbara schloss für einen Moment die Augen und dann spielte ein zuversichtliches Lächeln um ihren Mund. Das war genau das, was sie suchte:
‚Wieso habe ich die Anzeige nicht schon heute Morgen gesehen, daraufhin wäre der Tag ganz anders verlaufen. Ich hätte jede Menge Zeit gehabt, mich intensiv damit zu beschäftigen.'
Das Angebot war genau das, was sie sich insgeheim seit Jahren als ideale Urlaubsreise gewünscht hatte. Einerseits träumte sie seit Langem von einer Seereise auf einem Kreuzfahrtschiff, und andererseits handelte es sich gemäß Anzeige um eine Fahrt durch den vorderen Orient, eine Gegend, die sie schon immer bereisen wollte. Demzufolge hatte sie über dieses Gebiet längst einige Reiseberichte gelesen. Dabei war auch der Wunsch entstanden, Land und Leute einmal hautnah kennenzulernen. Aber noch heute wollte sie ihre Familie von ihrer Idee des Urlaubs überzeugen. Sie hatte bis dahin etwas Zeit und die galt es auszunutzen. Denn in zwei Stunden sollten Ralf, ihr Mann und Dietmar, ihr Sohn, nach Hause kommen und dann wollte sie ihnen ihren Plan eröffnen. Das würde nicht einfach sein, vor allem, weil das Ganze so spontan von ihr war. Um ihr Ziel zu erreichen, musste sie bestens vorbereitet sein und insbesondere die Details der angebotenen Reise kennen. Viel Zeit hatte sie nicht mehr, weil sie Prospektmaterial in einem Reisebüro holen und außerdem noch das warme Abendessen zubereiten wollte. Sie dachte:
‚Ich bin mir ganz sicher, dass ich diese Kreuzfahrt in die Tat umsetzen möchte und ich lasse mich nicht einfach davon abbringen. Momentan fallen mir schon eine Reihe triftiger Argumente dafür ein. In einer schönen Kabine wohnen, tagsüber an Deck in der Sonne liegen, eventuell im Bord-Swimmingpool baden, die Seele baumeln lassen. Oder auch an Landgängen zu den exotischen Stätten des Altertums teilnehmen. Des Weiteren die neuzeitlichen Städte am Golf besichtigen, auf einem Kamel reiten, Jeep-Safaris durchführen. Und abends in festlicher Garderobe dinieren, einen Drink an der Bar nehmen, im Theatersaal Vorführungen anschauen und in der Disco das Tanzbein schwingen, – einfach schön.'
Barbara hörte damit auf, sich zu frisieren, wechselte ihre Schuhe und verließ wieder das Haus. Im Reisebüro besorgte sie sich den Katalog der VIP-Reederei mit den Kreuzfahrten der ‚Aventura Sol’. Anschließend eilte sie wieder zurück nach Hause und rein in die Küche. Heute musste alles schnell gehen, also Spaghetti Napolitana. Sie benötigte ja noch einige Zeit, um in den Katalog zu schauen und sich zu informieren. Sie wollte das Wichtigste durchgesehen haben, bevor die Männer kamen. Und alles, was sie las, fühlte sich so gut an und bestärkte sie in ihrer Meinung. Hoffentlich würde Ralf dem zustimmen. Ihre Gedanken kreuzten nur noch um dieses Thema. Sie war vom Urlaubsfieber erfasst.
Gegen neunzehn Uhr kamen Ralf, ein alteingesessener Rechtsanwalt, und sein Sohn Dietmar von der Arbeit zurück. Beide in schwarzen, dezent gestreiften Anzügen, die nach dem langen Arbeitstag faltenlos geblieben waren. Die Schuhe glänzten und die Manschetten ragten genau das vorgeschriebene Stück unter den Ärmeln des Jacketts hervor. Den kurzen Weg von der Kanzlei bis nach Hause waren sie zu Fuß gegangen. Dietmar war Barbaras und Ralfs einziger Sprössling und der war eindeutig nach dem Vater geraten. Er hatte nicht nur dessen große und schlanke Statur, die blauen Augen und das blonde Haar, sondern auch die gleichen Vorlieben. So war es ebenfalls nicht verwunderlich, dass er inzwischen in die Fußstapfen seines Vaters getreten war. Dietmar hatte ein Jurastudium begonnen und mit Ehrgeiz, Fleiß und Einsatz hatte er mit seinen 25 Jahren bereits das Erste Staatsexamen bestanden. Gleich im Anschluss hatte er die erste Etappe seines Referendariats in der Kanzlei seines Vaters aufgenommen. Nicht zuletzt, weil er endlich eigenes Geld verdienen wollte.
Barbara öffnete die Haustür, um die beiden Männer hineinzulassen. Als Erstes ging sie auf Ralf zu, umarmte ihn und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf. Aber dieser spürte sofort, dass sie ziemlich angespannt war und etwas zu verbergen suchte. Er runzelte die Stirn und starrte sie forschend an. So sehr er auch nachdachte, er konnte nicht herausfinden, was mit ihr los war. Er sagte:
„Nun sag schon, ist irgendetwas passiert? Du bist so aufgekratzt.“
„Nein gar nichts“, antwortete Barbara, aber nach einer Weile fügte sie hinzu:
„Ich möchte euch nicht weiter auf die Folter spannen, ich habe in den letzten beiden Stunden einen außergewöhnlich faszinierenden Urlaub für uns drei geplant und möchte darüber mit euch sprechen. Aber lasst uns jetzt erst mal in aller Ruhe zu Abend essen, danach werde ich euch über die Einzelheiten informieren. Und hiernach sollten wir darüber beraten und uns abstimmen.“
Während des Gesprächs zwischen seinen Eltern hatte Dietmar Sakko und Krawatte ausgezogen und den obersten Hemdenknopf geöffnet. Dann nahm er zur Begrüßung seine Mutter in den Arm.
„Sag mal, Dietmar, Wie geht es eigentlich Emily?“, sagte sie. „Ich habe lange nichts mehr von ihr gehört.“
„Mama, das mit ihr hat nicht gehalten, wir haben uns getrennt.“
„Getrennt? Da weiß ich ja gar nichts von. Aber du hättest für deine Liebe kämpfen müssen. Eine Beziehung ist immer ein Geben und ein Nehmen. Du bist jetzt 25 und hast wieder keine Freundin. Als ich in deinem Alter war…“
„Mama!“
In diesem Moment meldete sich das Smartphone in Dietmars Hosentasche. Er zog es heraus und stellte fest, dass eine SMS eingegangen war. Es war etwas Geschäftliches.
„Hast du was an den Ohren?“, fragte Barbara und Dietmar zuckte zusammen. „Du hörst ja gar nicht zu. Du bist völlig abwesend.“
„Ich habe auf mein Handy geschaut. Was hast du denn gesagt?“
Sie verzog ihr Gesicht und sagte:
„Ich habe von Mädels gesprochen. Dass es vielleicht eins gibt, mit dem du dich mal treffen könntest.“
„Wie jetzt? Und hier?“
„Genau!“
„Nein, da gibt es momentan kein Mädel. Außerdem weiß ich nicht, ob ich so ein Verhältnis brauche.“
„Ich glaube, du brauchst nicht nur ein Verhältnis. Was du brauchst, ist eine Frau.“
„Mama, lass es gut sein, alles zu seiner Zeit. Irgendwann werde ich schon die Richtige finden.“
Ralf hatte dem Gespräch gelauscht. Er sagte:
„Darf ich euer angeregtes Gespräch unterbrechen? Lasst uns ein andermal darüber diskutieren, jetzt sollten wir wirklich essen, denn ich habe Hunger.“
Ihr Blick zeigte, dass sie darüber ein wenig enttäuscht war. Aber sie akzeptierte den Wunsch ihres Mannes. Unmittelbar nach seinen Worten verschwand sie in die Küche, um das Essen zu holen. Es schmeckte ausgesprochen gut. Die Männer hauten rein und Barbara freute sich darüber. Ihre Mine hellte sich zusehends auf. Wie immer endete die Mahlzeit mit einem Espresso. Aber diesmal wurde er im Wohnzimmer aufgetischt. Denn die drei hatten es sich dort in den Ledersesseln bequem gemacht. Ralf nippte an seinem Espresso, zog seine Stirn kraus und begann mit der Frage:
„Was ist das denn für ein Urlaub, den du da geplant hast? Jetzt bin ich mehr als neugierig.“
„Es soll eine Seereise mit einem Traumschiff quer durch den Vorderen Orient werden. Es beginnt mit einem Flug nach Alexandria, dort findet die Einschiffung statt. Die Fahrt geht durch den Suezkanal und das Rote Meer. Dann erfolgt der Besuch mehrerer arabischer Emirate und schließlich kommt der Rückflug“, währenddessen ergriff Barbara den Prospekt der VIP-Reederei und wedelte damit hin und her. „Und jetzt schaut hier hinein! Ich habe uns bereits das ganze Informationsmaterial über die Kreuzfahrt besorgt.“
„Wie um Himmels willen bist du auf diese Idee gekommen?“, warf Ralf ein.
„Ja, ich gebe zu, dass ich mich von einer Anzeige habe verleiten lassen. Deren Inhalt hat mich sofort überzeugt. Und eigentlich müsstet ihr mir zustimmen, dass das eine gute Idee für unseren Urlaub ist.“
Hinterher folgte ein Redeschwall und Ralf verstand nur noch Wüste, Kamele, Sonne, Basar, Dinieren, Tanzen. Er schaute Barbara erstaunt an und war einen Moment lang sprachlos. Endlich fand er seine Stimme wieder und sagte: „Verstehe ich das richtig? Du planst für unsere Familie eine Seereise auf einem Kreuzfahrtschiff. Und nun möchtest du gerne, dass wir dem zustimmen?“
Sie senkte ihren Blick, denn mit einer so offenen Frage hatte sie nicht gerechnet. Instinktiv fühlte sie, dass das genau der Zeitpunkt war, zu dem sie einerseits ihr Anliegen durchsetzen musste. Andererseits durfte nicht der Eindruck entstehen, dass sie allein über die Gestaltung des nächsten Urlaubs bestimmen würde. Jetzt kam es darauf an und deshalb suchte sie eine diplomatische Wendung des Gesprächs:
„Eine Seefahrt auf einem Traumschiff ist schon seit Langem mein Wunsch. Deshalb schlage ich vor, dass wir in unserem nächsten Urlaub mal auf einem Schiff verbringen. Aber ich möchte nicht allein darüber bestimmen, sondern ich bin dafür, dass wir ihn gemeinsam planen.“
„Na gut, so wie du uns alles darstellst, hast du dich offensichtlich dafür entschieden“, sagte Ralf, lehnte sich in seinen Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. Barbara antwortete:
„Ist doch klar, aber ich möchte nicht, dass ihr den Eindruck gewinnt, ich würde euch meinen Willen aufzwingen. Wie seht ihr das denn? Könnt ihr euch mit einer Seefahrt anfreunden?“
„Meine Liebe, du hattest schon immer ausgefallene Ideen. Noch nie haben wir bereut, wenn wir deinen Vorschlägen gefolgt sind. Auch diesmal kann ich mir vorstellen, dass wir wieder einen traumhaften gemeinsamen Urlaub verbringen könnten. Aber warum gerade auf einem Schiff?“ Barbara, die sich in der letzten Stunde eingehend mit der Schiffsreise auseinandergesetzt hatte, kam in Wallung:
„Das ist doch mal wirklich etwas Neues und nicht immer das Liegen am Strand. Hier erfahren wir etwas über uralte Kulturen. Wir lernen so manches Exotische kennen. Und Urlaub auf einem Schiff ist auch deutlich dynamischer als Urlaub an Land. Mit dem Schiff haben wir ein Hotel, das mit uns reist. Jeden Tag sind wir an einem anderen Ort und brauchen auch nicht aus dem Koffer zu leben.“
Dietmar, der sich bisher alles schweigend angehört hatte, erhob sich aus seinem Sessel, ging zu seiner Mutter und zupfte ihr den Prospekt aus der Hand. Er sagte:
„Das klingt ja voll attraktiv, darf ich mal bitte einen Blick in den Katalog werfen?“
„Ja, schau ihn dir ruhig auch mal an“, antwortete Barbara. Eine Weile, nachdem sich Dietmar in den Katalog vertieft hatte, sagte er:
„Das wäre der angesagteste Urlaub, den unsere Familie je gemacht hat. Mama – Vater, den wollt ihr doch wohl nicht alleine machen?“
„Wie meinst du das?“
„Wenn ihr fahrt, dann müsst ihr mich auch mitnehmen. Ich habe mich schon immer für Ägypten und den Orient interessiert.“
Ralf antwortete:
„Wir müssen gar nichts.“
„Bitte, Vater.“
Der nahm erst einmal einen Schluck Espresso, allein um Zeit zu gewinnen. Man spürte, wie es in ihm arbeitete, daraufhin sagte er:
„Warte mal, – denn du hast mich soeben auf eine großartige Idee gebracht. Schon lange habe ich mir überlegt, was ich dir zum bestandenen Examen schenken könnte. Und diese Reise wäre doch ein angemessenes Geschenk.“
Plötzlich hielt er inne, denn er merkte, dass er sich damit unbewusst festgelegt hatte. Eigentlich durfte ihm so etwas als Anwalt nicht passieren. Nun, da es heraus war, musste er dazu stehen. Das tat er aber nur zu gern.
„Also gut“, sagte er. „Wir schenken dir die Reise und ich selbst bin ja auch gar nicht abgeneigt, sondern ich musste mich erst an diesen für mich unerwarteten Vorschlag von deiner Mutter gewöhnen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr kann ich mich mit dem Gedanken an eine Seereise anfreunden. Dass deine Mutter einverstanden ist, habe ich bereits ihren Worten entnommen. Bleibt nur noch, den Termin zu klären, wann findet die Kreuzfahrt denn statt?“
„14. bis 26. Mai“, antwortete Barbara.
„Der Termin passt ja wie die Faust aufs Auge“, sagte Ralf „Bis dahin müsste die Strafsache Müller abgeschlossen sein und der Gerichtstermin für die Verhandlung der Unfallflucht ist erst Mitte Juni. Ich kann getrost meine Kanzlei schließen und mit euch zusammen Urlaub machen. Darf ich bitte auch mal einen Blick in den Reisekatalog werfen? In welche Kabine wollen wir denn gehen?“
„Da habe ich mich noch nicht festgelegt“, antwortete Barbara. „Aber wenn ihr mich fragt, bin ich dafür, eine Balkonkabine auf dem Deck 8 zu buchen.“
„Wie ich hier sehe, hat das Schiff insgesamt 10 Decks, da ist eine Balkonkabine auf dem achten Deck eine gute Wahl. Also die nehmen wir und Dietmar als Einzelperson bekommt auf Deck 8 eine Innenkabine. Tagsüber kann er selbstverständlich in unsere Kabine kommen und unseren Balkon mitbenutzen.“
Barbara antwortete:
„Einverstanden.“
„Papa, das ist schon so völlig in Ordnung und herzlichen Dank für dein großzügiges Geschenk.“