Читать книгу Verschollen in Somalia - Dieter Semma - Страница 14
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Wolfgang Brodersen, der Kapitän, stand mit seiner Frau in der Morgensonne auf der Bremerhavener Columbuskaje, die Pier mit den Terminals für Kreuzfahrtschiffe. Ein paar letzte Worte, daraufhin nahm er sie fest in seinen Arm, drückte und küsste sie, um sie anschließend zu verlassen. Er mochte keine langen Abschiedsszenen. Er ging die Gangway hinauf zur ‚Aventura Sol‘ und verschwand für eine kurze Weile im riesigen Schiffsbauch und tauchte ganz oben in dem Brückennock wieder auf. Er und seine Frau winkten sich ein letztes Mal zu, bevor sie in ein Taxi stieg und damit die Pier verließ. Brodersen war wieder an Bord in seinem Element. Er war das ideale Abbild, das man sich von einem Kapitän vorstellen kann, 62 Jahre alt, hatte blaue Augen, schneeweißes Haar und einen kurz geschnittenen weißen Vollbart. Er trug eine schicke dunkelblaue Uniform. Die beiden Jackenärmel waren mit goldfarbenen Ringen verziert. Je drei davon waren schmal und der Vierte war deutlich breiter. Auf seinem Kopf trug er die obligatorische Kapitänsmütze, die trotz ihres Alters noch recht neu wirkte.
Er rieb sich die Hände, denn ab sofort war er wieder auf seinem Schiff in seiner Welt. Hier hatte er das Sagen. Zwei lange Wochen hatte er an Land ausharren müssen. Die Reederei hatte ihm Heimaturlaub verordnet, denn sein Schiff sollte für Routinearbeiten in die Werft.
Brodersen musterte sehr genau den Schiffskörper, denn der erstrahlte in frischem Glanz. Man hatte ganze Arbeit geleistet und ihn neu gestrichen.
‚Gut sieht die 'Aventura Sol' aus‘, dachte er. ‚Mir hat man ja vor meinem Urlaub gesagt, dass heute vor der nächsten großen Reise das Schiff vollständig überholt und alles instandgesetzt sein soll. Aber die Farbe allein machts nicht. Und auf Versprechungen will ich mich nicht verlassen, ich muss unbedingt mit dem Zustand und den Fähigkeiten meines Schiffs vertraut sein. Ich werde auf der Reise die Verantwortung für die Sicherheit und das Wohlbefinden von ungefähr zweitausend Menschen tragen. Mein Entschluss steht, ich werde demnächst eine Lagebesprechung mit meinen Offizieren zu diesem Thema ansetzen.‘
Ein Möwenschiss klatschte genau vor seine Füße aufs Deck. Aufgestört wich er einen Schritt zurück. Er war in Gedanken über die bevorstehende Reise:
‚Man sagt, Vogelschiss, solle Glück bringen, aber ich bin nicht abergläubig. Trotzdem, wir können es gebrauchen. Die Reise soll diesmal nicht kurz sein. Vor fünf Tagen kam das Schreiben der Reederei. Sie haben mir mitgeteilt, dass ich zusammen mit meiner Besatzung mehrere Kreuzfahrten unmittelbar hintereinander durchführen soll. Sie bleibt bis auf wenige Ausnahmen ständig an Bord, nur unsere Gäste werden ausgetauscht. Die ‚Aventura Sol‘ wird zunächst einige europäische Häfen anlaufen. Daran anschließend werden Portugal, Madeira und die Kanarischen Inseln besucht. Von dort aus geht die Reise weiter durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer. Hier wird eine Vielzahl von Städten und Inseln angelaufen. Schließlich kommt die ‚Aventura Sol‘ am 14. Mai in den Hafen von Alexandria. Dort beginnt die Kreuzfahrt in Richtung vorderer Orient.‘
Noch in Gedanken verließ Brodersen den Nock und betrat sein Reich, die Brücke. Der Raum war vom Summen der vielen Geräte erfüllt.
„Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich euch allen.“
„Guten Tag, Herr Kapitän!“, tönte es aus mehreren Ecken zurück.
Ein paar Crewmitglieder hockten vor ihren Geräten und nahmen letzte Einstellungen vor. Andere waren über Seekarten gebeugt, um die kommende Reise zu verifizieren. Brodersen wandte sich an den Rudergänger und wies ihn an:
„Nehmen Sie bitte mit dem Ersten, dem Direx, dem Arzt und dem Chief Kontakt auf und informieren Sie sie, dass sie sich in einer Viertelstunde in der Kapitänskajüte einfinden mögen“.
Er inspizierte noch einmal seinen Arbeitsbereich, dabei blieb sein Blick etwas länger auf dem Radargerät hängen. Und unmittelbar danach verließ er die Brücke.
Pünktlich trafen der erste Offizier Max Wolliner, der Hotelmanager Andree Redner, der Schiffsarzt Dr. Helmut Sewall und der Leiter Schiffstechnik, Leo Schulze, in der Kapitänskajüte ein. Der Kapitän forderte sie auf, an seinem großen runden Tisch Platz zu nehmen. Er hatte ihn eindecken und für alle frischen Kaffee aufbrühen lassen. Er füllte seine eigene Tasse und sagte:
„Bitte bedienen Sie sich.“
Im Anschluss daran eröffnete er die Sitzung mit folgenden Worten:
„Meine Herren, nach nunmehr 2 Wochen Werftliegezeit soll unser Schiff erneut auf große Fahrt gehen. Die Planung der Route, die wir zu nehmen haben, ist Ihnen bekannt. Wir legen heute Abend um 18 Uhr ab, es geht an den westfriesischen Inseln vorbei. Wir lassen Niederlande und Belgien an Backbord und steuern dann in den Ärmelkanal. Morgen erreichen wir unser erstes Etappenziel, Le Havre in Frankreich.“
Er nahm einen Schluck Kaffee und fuhr fort:
„Wie Sie sehen, bin ich nach meinem Urlaub wieder frisch gestärkt an Bord. Um nun das Ruder richtig und mit voller Verantwortung in die Hand nehmen zu können, möchte ich Sie bitten, mir über den Klarstand des Schiffs zu berichten. Außerdem möchte ich alle Änderungen bei der Crew wissen. Nicht zuletzt interessiert mich der Sachstand der Proviant-, Wasser- und Treibstoffübernahme sowie die zu erwartende Einschiffung für den ersten Teil der Reise. Herr Schulze, beginnen Sie einmal!“
Der Leiter Schiffstechnik, an Bord ‚Chief‘ genannt, schlug eine Mappe mit Schriftstücken auf und berichtete daraus: „Herr Kapitän, wie Sie wissen, war das Schiff in der Werft. Ich habe dort alle Arbeiten und Instandsetzungen begleitet und jederzeit darauf geachtet, dass alles zu unserer Zufriedenheit erledigt wurde.“
Er blätterte in seiner Mappe herum und sagte:
„Hier habe ich alle Dokumente zu den ausgeführten Arbeiten gesammelt. Einer der vier Stromgeneratoren wurde zusammen mit seinem Antrieb ausgebaut. Sie wurden an Land auseinandergenommen, von Grund auf überholt und wieder eingebaut. Der Generator ist nun wie neuwertig. Er wird das Schiff wieder zuverlässig mit Strom versorgen können.
Außerdem hat die Werft sich des Seeraumüberwachungsradars angenommen und es instandgesetzt, die nervigen Doppelechos sind eliminiert. Die Anzeige auf dem Bildschirm ist wieder einwandfrei.
Auch der Fehler an der Hauptmaschine zwei ist lokalisiert worden. Zur entsprechenden Reparatur musste ein Kolben gezogen und erneuert werden. Und jetzt läuft die Maschine wieder mit voller Leistung. Somit kann ich derzeit behaupten, dass die technischen Großanlagen in Ordnung sind.“
Der Chief schloss seine Mappe, blickte in die Runde und sagte dann:
„Das war noch nicht alles: Die Werft hat das Schiff neu angestrichen und auch noch einige kleinere Schäden behoben wie klemmende Türen oder Schäden an den Böden. Auch haben sie das Parkett im Tanzsaal abgeschliffen und neu versiegelt. Sämtliche Schwimmwesten, Feuerlöscher, Rettungsinseln und Rettungsboote wurden durchgecheckt. Alles ist auf aktuellem Stand und voll funktionsfähig.“
Langsam wandte der Chief sein Gesicht in Richtung des Kapitäns und lächelte:
„Wir hier an Bord waren auch nicht faul, alle Maschinen sind geputzt, alle Räume sind gereinigt. Und heute Vormittag haben wir den erforderlichen Treibstoff für die nächste Fahrt übernommen. Die Treibstoff- und Öltanks sind aufgefüllt und somit ist das Schiff aus technischer Sicht betriebsklar.“
Der Kapitän nickte zustimmend und sagte:
„Danke, Herr Schulze, ich bin hoch erfreut, denn das sind wirklich gute Voraussetzungen für einen unproblematischen Beginn einer Seereise“, und hiernach erinnerte er. „Sagen Sie mal Chief, das heute und in den nächsten Tagen ist doch Ihre letzte Seefahrt, bevor Sie in den wohlverdienten Ruhestand gehen?“
„Ja, Herr Kapitän, in Alexandria werde ich das Schiff verlassen, aber bis dahin ist noch viel Zeit. Meinen Abschied von Bord werde ich auf der Etappe zwischen Kreta und Alexandria einplanen. Wie ich gehört habe, hat die Reederei bereits einen Nachfolger, einen jungen Ingenieur für meine Stelle gefunden, er soll mich in Alexandria ablösen.“
Der erste Offizier mischte sich ein:
„Bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger, den Bewerbungsgesprächen und an der anschließenden Bewertung der Kandidaten war ich maßgeblich beteiligt. Demzufolge kenne ich den Nachfolger bereits, er hat einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht. Zum einen ist er kein Neuling, was die Seefahrt anbelangt. Er ist mehrfach auf einem Bananendampfer über den Atlantik zwischen Hamburg und Mittelamerika gefahren. Zum anderen bringt er alle Voraussetzungen mit, die man an einen Chief stellt. Mit der Auswahl dieses Bewerbers waren der Personalchef und ich uns einig. Ich habe im Gespräch auch den Eindruck gewonnen, dass der Mann loyal handelt, dass er überzeugen kann und dass er Personal führen kann. Bleibt als einzige Unsicherheit, ob der Mann sich schnell hier an Bord einleben wird.“
Dabei wiegte er bedeutungsvoll seinen Kopf hin und her. Der Kapitän zog die Stirn kraus und sagte:
„Mal sehen, wie er sich macht. Ich bin wirklich gespannt darauf, wer in Alexandria unseren Herrn Schulze ablösen wird. Und wenn wir dann in See stechen, wird sich sehr bald herausstellen, ob der Neue – wie heißt er eigentlich – sein Metier wirklich beherrscht.“
Der 1. Offizier antwortete:
„Herr Kapitän, er heißt Lukas Ramon und ist bereits zur Probe eingestellt. Er nimmt derzeit an einem Einweisungslehrgang unserer Reederei teil, danach wird er unmittelbar nach Alexandria eingeflogen und zu diesem Zeitpunkt beginnt seine Probezeit auf unserem Schiff.“
„Ob er zu uns passt und ob wir ihn behalten, werden wir in Alexandria entscheiden… Herr Wolliner, Sie sind nun mit Ihrem Bericht an der Reihe, bitte fahren Sie fort!“
Der erste Offizier blickte mit einem Lächeln in die Runde und sagte:
„Herr Kapitän, diesmal sieht es wirklich gut aus, ja sehr gut sogar. Die Besatzung unseres Schiffs ist vollständig anwesend. Jeder Einzelne ist in seinem spezifischen Verantwortungsbereich eingewiesen und startbereit. Die Stellenwechsel an der Maschine und bei der Seemannschaft sind vollzogen. Ich schlage Ihnen deshalb vor, dass ich Ihnen die sieben neuen Crewmitglieder morgen früh vorstelle.“ Dabei deutete er mit der geöffneten rechten Hand in Richtung Kapitän.
„Das ist okay so“, meinte dieser.
Wolliners Gesichtsausdruck wurde deutlich ernster, er sagte:
„Bei meiner inzwischen durchgeführten Inspektion der Crewkabinen musste ich zwei Männer und eine Frau verwarnen. Sie haben aber meinen Appell begriffen und ihre Kabinen in Ordnung gebracht. Bleibt noch zu erwähnen, dass zwei Crewmitglieder krankgeschrieben sind. Sie sind zwar an Bord, aber in den nächsten Tagen nicht einsatzfähig. Ich werde dafür sorgen, dass dadurch der Betrieb nicht gestört wird.“
Dann breitete er eine Seekarte auf dem Tisch aus und sagte: „Und nun zu unserer Route, ich habe die neuesten Seekarten für die gesamte Reise besorgt. Dies hier ist die Karte von der Deutschen Bucht, es gibt da nur wenige Veränderungen gegenüber letztem Jahr. Für unseren Start heute Abend habe ich Schlepperhilfe zur Columbuskaje angefordert. Ebenso habe ich die zu meldenden Schiffsdaten wie üblich der Hafenlotsenstation übermittelt und einen Lotsen angefordert. Der Lotse wird um 17 Uhr an Bord kommen und sich bei Ihnen melden, um sich über den Klarstand des Schiffs zu informieren. Er begleitet uns und unterstützt unsere Navigation bis in die offene Nordsee und wird nach getaner Arbeit von einem Hubschrauber abgeholt.
Der gesamte Schiffsweg bis nach Le Havre ist in den neuen GPS-Navigator einprogrammiert, alle Kurs- und Fahrtdaten sind berechnet. Wir können morgen wegen des enormen Tidenhubs von 6,50 Metern an der französischen Küste erst gegen 15 Uhr in le Havre einlaufen. Das war es in aller Kürze, Herr Kapitän.“
„Danke Herr Wolliner, ich habe noch eine Frage, ist das Personal für die Springs, Leinen, Seilwinden, Fender und Stellings eingeteilt?“
„Jawohl, Herr Brodersen, sie sind um 17:50 Uhr zur Stelle.“
„Das ist eine ausgezeichnete Vorbereitung, damit können wir heute ohne jede Hektik auslaufen. Herr Redner, nun sind Sie an der Reihe!“
Der Hotelmanager Andree Redner nahm einen Schluck Kaffee, räusperte sich und begann mit den Worten:
„Herr Kapitän, für Housekeeping, Küche und Service sind diesmal 443 Personen eingeschifft. Dazu kommen noch 40 Künstler zur Unterhaltung unserer Gäste.
1395 Gäste erwarten wir heute. Das bedeutet, diesmal sind wir nicht ausgebucht. Aber eine Vollbelegung mit 1480 Gästen werden wir erst im Mittelmeer haben. Mit der heutigen Einschiffung beginnen wir um 12 Uhr und wenn alles gut geht, ist sie um 17 Uhr beendet.
Und nun zu der Verpflegung: - Die Frischwassertanks sind gereinigt und desinfiziert worden, sie sind randvoll mit Wasser gefüllt, genug für eine Woche.“
Er überreichte dem Kapitän ein Papier.
„Das ist eine Liste, die unser Versorgungsmeister aufgestellt hat. Sie beinhaltet eine Aufschlüsselung der eingelagerten Lebensmittel und Materialien, die für die nächsten beiden Wochen erforderlich sind.“
Beeindruckt von den Mengen an Lebensmittel, Getränke, Wasch- und Putzmittel, meinte der Kapitän:
„Das sieht alles gut aus und wird hoffentlich für den nächsten Törn reichen, wenn nicht, muss der Versorgungsmeister in den anzulaufenden Häfen nachordern. So und nun Doktor Sewall, ich glaube, zu Beginn der Reise haben Sie noch nichts zu berichten.“
„Sie haben Recht, Herr Käpt‘n, bis auf die zwei Fälle, von denen der Erste gesprochen hat, sind alle wohlauf.“
Brodersen schloss die Sitzung mit den Worten:
„Ich bin froh, eine gute Mannschaft an meiner Seite zu wissen. In dem Sinne wünsche ich eine gute Zusammenarbeit und für uns alle eine angenehme Seereise.“