Читать книгу Verschollen in Somalia - Dieter Semma - Страница 11

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Lukas Ramon, ein 26-jähriger Ingenieur, saß allein an einem Tisch im Biergarten des Dresdener Waldschlösschens. Hier im Freien ließ er sich von der Sonne wärmen. Anders als verabredet war er reichlich früh gekommen und so musste er auf seinen Freund Klaus warten. Es machte ihm nichts aus, denn hin und wieder nahm er einen Schluck von seinem Bier und beobachtete eine Gruppe Spatzen, die zwischen den Tischen nach Krumen suchten. Ihm wurde soeben ein frischgezapftes Pils gebracht, als er ihn unter den Neuankömmlingen entdeckte. Offensichtlich hatte Klaus ihn noch nicht auf dem Schirm, da dieser sich ständig suchend umschaute. Lukas stand auf, damit er besser gesehen wurde und winkte ihn an seinen Tisch heran.

„Komm setz dich her zu mir, ich habe dir einen Platz freigehalten.“

Lukas fühlte sofort, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmen musste. Denn momentan war Klaus nicht so locker wie sonst und schon gar nicht zum Scherzen aufgelegt. Heute machte er ein sehr ernstes Gesicht, er musste wohl etwas Unerfreuliches erlebt haben. Statt zu strahlen, runzelte er seine Stirn und man sah ihm an, dass es heftig in ihm arbeitete.

„Nun Klaus, sag schon, was bedrückt dich so? Du machst ein Gesicht, als wärst du soeben abgestraft worden.“

„Nicht ich bin betroffen, sondern du. Das, was ich herausgefunden habe, wird dir nicht gefallen. Und ich kann es nicht mehr für mich behalten. Es muss raus!“

Klaus überlegte angestrengt, wie er seinem Freund die schlechte Botschaft beibringen sollte. Andererseits wollte dieser vor lauter Wissbegierde nicht warten und sagte:

„Spann mich nicht weiter auf die Folter und sag endlich was los ist!“

„Na gut! – Aber dann sag mir erst einmal, warum hast du mit deiner Sophia Schluss gemacht? Was hat dich denn dabei geritten?“

Lukas Kinnlade fiel nach unten, sein Mund stand offen und seine Finger krallten sich um das Bierglas. Verständnislos schaute er Klaus an.

„Was ist das denn für ein Blödsinn? Ich? … Schluss machen? … Natürlich sind wir zusammen. Wie kommst du auf die Idee, es könnte anders sein?“

Klaus beugte sich vor und sagte, indem er jedes einzelne Wort betonte:

„Mein lieber Lukas, wenn du nicht Schluss gemacht hast, dann wirst du ganz übel von deiner Sophia hintergangen.“

Das war für ihn ein seelischer Tiefschlag, derartig heftig, dass er so schnell keine Antwort fand. Deshalb fuhr sein Gegenüber fort:

„Ich habe sie gestern gesehen. Sie schlenderte eng umschlungen mit einem langen, hageren Kerl durch die Altstadt, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Und öfters haben sie sich geküsst. Für mich sah es so aus, als wären sie ein frisch verliebtes Paar. Und glaube mir, ihre Augen haben gestrahlt. So sehr hat sie es genossen. Und seine Umarmungen hat sie leidenschaftlich erwidert.“

Lukas wurde zuerst bleich und unmittelbar danach schoss ihm das Blut in den Kopf. Seine Hände zitterten so sehr, dass das Bier in seinem Glas aufschäumte. Seine Unterlippe zuckte, als er sagte:

„Was du mir da erzählst, ist ungeheuerlich. Das Mädel, das du gestern da gesehen hast, war bestimmt nicht Sophia.

Für mich ist es einfach undenkbar. Sophia hat mir doch immer wieder ihre Liebe beteuert … Klaus, kann es sein, dass du dich irrst? Hast du vielleicht ein anderes Mädel beobachtet?“

Es war ein Strohhalm, an den er sich festklammern wollte – ein ganz Schwacher. Denn er wusste nur zu gut, dass er sich auf Klaus verlassen konnte. Der würde niemals so geschmacklos sein, ihn mit einer solchen Meldung anzulügen. Und postwendend kam dessen Antwort:

„Ich kenne doch Sophia. Sie war es! Ganz eindeutig! Es gibt da überhaupt keinen Zweifel. Ich habe sie erkannt an ihren hochgebundenen rotblonden Haaren, ihren grünen Augen und an ihren typischen Bewegungen. Eine ganze Weile konnte ich sie aus einer sicheren Position beobachten. Allerdings – mich konnte sie nicht sehen.“

In diesem Moment unterbrach ein Kellner das Zwiegespräch. Klaus bestellte sich ebenfalls ein Bier und hiernach beobachtete er, wie Lukas noch fester sein Bierglas umfasste und dabei das Astloch in der Tischplatte fixierte. Offensichtlich war er geschockt und schien heftig nachzudenken. Er konnte Tränen in seinen Augen sehen. Die Stimme von Lukas versagte fast als dieser sagte:

„Ich habe ihr immer vertraut. Ich liebe sie doch. Und das soll nun so enden? Ich kann es noch nicht fassen, will es einfach nicht glauben. Aber andererseits muss ich mich der Realität stellen. Wenn dem so ist, wie du es geschildert hast, hat sie in einer unglaublich dreisten Weise unsere Liebe verraten und mein Vertrauen missbraucht. Sie hat mir ihre Liebe nur vorgespielt und was das Ganze noch schlimmer macht, sie hat mir bis jetzt nichts gesagt. Absolut nichts! Nicht mal eine Andeutung darüber, dass sie unsere Beziehung beenden wollte.“

Nach seinen Worten musste Lukas sich Luft verschaffen, er sprang auf, schüttete den Rest des Bieres in sich hinein und sagte:

„Ich brauche jetzt eine Abkühlung. Bleib hier, ich bin gleich wieder da.“

Daraufhin lief er in Richtung Toiletten. Nach ein paar Minuten kam er wieder zurück. Offensichtlich hatte er sich eine Menge Wasser ins Gesicht geworfen. Es war noch ganz nass und auch sein Hemd zeigte Wasserflecken. Klaus sah ihn mitleidig an und sagte:

„So perfide, wie sie mit dir umgesprungen ist, gibt es nur eine Konsequenz: Lass sie los und vergiss sie! Der Vertrauensbruch ist zu groß.“

„Nein, es ist noch nicht alles verloren. Aber momentan weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll. Ich liebe sie doch. Andererseits das, was du mir von ihr berichtet hast, hat mich verletzt und ich bin von ihr tief enttäuscht – mal abwarten, was sie mir zu sagen hat. So schnell lasse ich mir meine Liebe nicht nehmen. Ja, ich mache das, was man in solch einer Situation zu tun pflegt: Ich werde um sie kämpfen.“

In diesem Moment läutete sein Smartphone. Auf dem Display erschienen die Buchstaben Sophia, eingerahmt von einem Herz.

‚Sie ist es.‘, dachte Lukas. ‚Das ist Telepathie. So, als hätte sie unser Gespräch gehört. Jetzt wird sie wohl alles aufklären. Vielleicht ist ja alles ein Missverständnis.‘

Er merkte, wie eine unbekannte Kraft seinen Brustkorb einschnürte, er nur noch flach atmen konnte und sein Herz zu rasen begann. Sein Blick suchte einen letzten Halt bei seinem Freund und dann sagte er:

„Das - das ist sie! Das ist Sophia! Jetzt wird es ernst, ich spiele erst mal den Ahnungslosen und stelle mich ganz unbedarft.“

Verständnislos schüttelte Klaus den Kopf, fixierte sein Gegenüber und bedrängte ihn:

„Los, nimm schon das Gespräch an, bring es hinter dich und frag sie einfach. Du wirst dann sehen, dass ich dir die Wahrheit gesagt habe.“

Lukas führte das Smartphone zum Ohr. Mit gespielter Freundlichkeit sagte er:

„Hi, meine süße Sophia, hier ist dein Lukas. Schon eine Weile her, dass wir uns gesprochen haben. Wie geht es dir denn?“

Seine Worte waren ihm ganz cool über die Lippen gekommen. Einfacher, als er dachte. Aber als er ihre leise gedrückte Stimme vernahm, pochte sein Herz ganz wild:

„Mein lieber Lukas, ich habe ein schlechtes Gewissen und momentan fühle ich mich ausgesprochen schlecht, denn ich muss dir gestehen, dass ich jemand anderen kennengelernt habe. Er heißt Fabian und ich habe mich in ihn verliebt.“

Der Schlag saß. Lukas presste die Lippen zusammen und wurde aschfahl im Gesicht. In der Folge brachte er nur noch Satzfragmente hervor:

„Was sagst du da? Was hast du? … Wir, – du und ich - wir lieben uns doch!“

Absolute Stille im Handy, bange Sekunden, schließlich wieder diese leise Stimme:

„Auch wenn ich dir heftig wehtue, ich kann nicht anders, ich muss dich enttäuschen, obwohl du das nicht verdienst. Die Liebe zu Fabian hat mich voll erwischt. Ich kann mir selbst nicht erklären und erst recht nicht dir, warum ich so empfinde. Aber es ist nun mal da und es ist ganz anders als mit dir, meine Gefühle für ihn sind viel intensiver.“

Die letzten Worte hatten ihn wütend gemacht. Laut fragte er, sodass sich einige Anwesende verwundert zu ihm umdrehten:

„Was ist denn bei Fabian anders?“

„Es liegt weder an Fabian noch an dir, sondern es sind meine Empfindungen. Lukas, du tust mir so leid, aber ich kann mich nicht gegen meine Gefühle wehren. Ich habe dich wirklich geliebt, aber nicht so sehr, wie ich es jetzt erlebe. Es tut mir selbst weh, dich mit meiner Entscheidung verletzen zu müssen, aber du sollst wissen, dass ich dich immer noch gerne mag. Wir hatten eine wunderschöne Zeit miteinander und ich wäre dir dankbar, wenn wir Freunde bleiben könnten.“

Lukas wurde ganz übel, sollte er dies schlucken oder sollte er lospoltern? Er entschied sich für Letzteres. Er glaubte, dass er damit den unmenschlichen Druck loswerden würde:

„Du bist das Allerletzte, erst betrügst du mich schändlich und setzt mir in aller Öffentlichkeit Hörner auf, obendrein machst du per Telefon Schluss mit mir.“

Wieder Pause im Telefon, dann die leise, fast ängstliche Frauenstimme:

„Wieso in aller Öffentlichkeit?“

Lukas nahm einen Bierdeckel hochkant und klopfte damit vernehmlich auf die Tischplatte, als er sagte:

„Du kannst es nicht leugnen, du bist gestern in der Altstadt gesehen worden und mir wurde bereits über die Vertraulichkeiten mit deinem Neuen berichtet. Ja, ich bin von dir maßlos enttäuscht. Und du bist so feige, es mir nicht einmal persönlich zu sagen, sondern nur am Telefon.“

„Ja, ich gebe zu, ich hätte dich schon früher informieren müssen.“

Mit einem Ausdruck der Entschlossenheit blickte er seinen Freund an und sagte ins Handy:

„Nun machst du auf diese Art Schluss mit mir und bietest mir gleichzeitig deine Freundschaft an. Nein, liebe Sophia, darauf kann ich gut und gerne verzichten. Ich habe kein Vertrauen mehr zu dir und ohne Vertrauen gibt es weder Freundschaft noch Liebe.“

Fast mit einem beleidigten Ton vernahm er aus dem Hörer:

„Dann tuts mir leid, dass es so enden muss. Ich weiß, ich bin schuld. Ich habe dich verletzt. Aber überleg es dir doch noch einmal, ob wir nicht Freunde bleiben können, ich hätte dich gerne als Freund behalten.“

Für Lukas war nun endgültig das Maß voll. Er wollte keinesfalls erleben, wie ein anderer mit Sophia glücklich werden würde. Er antwortete in einem harschen Ton:

„Nein, das werde ich nicht. Adieu. Du wirst mich in diesem Leben nicht mehr wiedersehen!“

Mit einem Tastendruck brach er das Gespräch ab. Er wandte sich wieder Klaus zu und meinte:

„Du hast es mitgekriegt, es ist Schluss mit Sophia und zwar endgültig. Sie wirft sich dem Nächstbesten an den Hals. Und ich weiß gar nicht, wie lange das schon so geht. Angeblich liebt sie ihn mehr als mich. Das tut weh und ich kann gar nichts dagegen machen. Doch! Auf diesen Schrecken brauche ich erst mal eine Ablenkung, – ja einen Whisky.“

In dem Moment rief er hinter dem Kellner her:

„Hallo! Zwei doppelte Whisky bitte!“

Bald kamen die Getränke, Lukas prostete Klaus zu und leerte sein Glas in einem Zug.

„Davon brauche ich noch einen“.

Aber Klaus bremste ihn mit den Worten:

„Hör damit auf, Alkohol löst keine Probleme. Lass uns zu Fuß nach Hause gehen und unterwegs können wir uns überlegen, wie es mit dir weitergeht.“

Lukas war heilfroh, dass er in dieser Stunde seinen Freund Klaus an seiner Seite hatte. Sie liefen hinunter zum Elbufer und anschließend den Fluss entlang bis zur Albertbrücke, über die sie in die Innenstadt gelangten. Die erste Zeit gingen sie schweigend nebeneinander, bis Lukas plötzlich das Gespräch eröffnete:

„Ich weiß noch nicht, was ich machen werde, mich hält derzeit nichts mehr in Dresden. Mit meiner Arbeit in der Firma geht es nicht so recht voran, von einem Aufstieg kann ich nur träumen. Meine Bude ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Und nun noch das Dilemma mit Sophia.“

Klaus klopfte ihm auf die Schulter und versuchte ihn zu trösten:

„Du bist doch jung und ein ausgezeichneter Ingenieur. Du wirst bald etwas Neues finden, denn Maschinenbauingenieure sind gefragte Leute. Dir steht doch die Welt offen. Und eine süße, liebenswerte Frau wirst du sicherlich auch finden. Ich wünsche dir, dass es in dem Fall die Richtige ist und du nicht so eine Enttäuschung erlebst wie mit Sophia.“

„Danke, dass du mich aufrichten willst. Aber hier drinnen tut es noch so weh.“

Dabei klopfte er sich auf seine linke Seite.

Klaus hielt einen Moment inne, nahm seinen Freund in den Arm und sagte:

„Glaube mir, mit der Zeit wird dein Schmerz geringer, irgendwann kommen Glück und Freude zu dir zurück.“

Sie gingen weiter und Lukas sagte mit einem in die Ferne gerichteten Blick:

„Ja, recht hast du. In der Zukunft liegt meine Chance. Und ich werde sie ergreifen. Von großen Schiffsmotoren verstehe ich etwas und so ist es nur logisch, zur christlichen Seefahrt zu wechseln. Weit weg von Sophia. Und mein Jugendtraum war die Seefahrt schon immer.“

„So habe ich das doch nicht gemeint, in der Folge müsstest du ja weg von Dresden, von deiner Wohnung, von deiner Arbeitsstelle und nicht zuletzt von mir.“

Trotzig resigniert kam die Antwort:

„Hier hält mich nichts mehr und ich sehe mich künftig als einen leitenden Ingenieur auf einem Ozeanriesen.“

Verschollen in Somalia

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