Читать книгу Verschollen in Somalia - Dieter Semma - Страница 7
ОглавлениеProlog
Seit zwei Stunden fuhr sie in den Golf von Aden hinein. Ihr nächstes Ziel war der Suezkanal. Die ‚Belangia Ozeana’, ein Frachtschiff der Größe 28000 Ladetonnen, war auf dem Weg von Kalkutta nach Rotterdam. Eine wertvolle Fracht hatte sie an Bord: Nahrungsmittel, Elektronik- und Transportgeräte, Textilien aus Baumwolle und Seide, Stahl und Gummiprodukte. Heute strahlte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel hinab und spiegelte sich in der tiefblauen, glatten See. Kein Dunst war auszumachen, die Sicht war ausgezeichnet. Der Rudergänger auf der Brücke tastete mit einem Fernglas die See ab. Mit erhobener Stimme meldete er seine Beobachtungen:
„Ein Fischtrawler backbord, 5 Grad voraus!“
Schon eine ganze Weile hatten sie ihn im Radar gesehen aber ab sofort war er am Horizont mit dem Fernglas auszumachen. Alle auf der Brücke schauten in seine Richtung. Dann kam schon die nächste Meldung:
„Fischtrawler auf Gegenkurs! Wenn ich mich nicht täusche, kommt das Boot direkt auf uns zu.“
Verzugslos antwortete der Kapitän:
„Im Auge behalten und bei Kollisionsgefahr den Kurs ändern!“
Er hieß Tobias Habicht und war 48 Jahre alt. Bereits seit fünf Jahren leistete er seinen Dienst auf diesem Schiff. Angefangen hatte er hier als nautischer Offizier und sich inzwischen auf seine derzeitige Position hochgedient. Dabei trug er gerne die Verantwortung für das Schiff, die Besatzung und die Fracht. Alltägliche Routine war für ihn und auch für die Schiffsbesatzung die soeben geführten Dialoge.
Doch diesmal meldete der Rudergänger nach einigen Minuten völlig überraschend:
„Da, Käpt’n, schauen Sie mal dorthin, da haben sich zwei Boote vom Trawler gelöst! Sie halten direkt auf uns zu!“
Zutiefst erschrocken konnte Habicht nur noch feststellen, dass sich zwei Speedboote mit einer sehr hohen Geschwindigkeit näherten. Ihm war augenblicklich klar, was das hier in diesem Seegebiet bedeutete:
„Verdammt noch mal, das sieht nach einem typischen Piratenangriff aus“, sagte er, indem er sein Fernglas von den Augen nahm. "Unser Schiff sowie unsere Besatzung schweben in großer Gefahr. Wir können es nicht verhindern, uns wird es diesmal erwischen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir überfallen. Alarm für alle an Bord! Ab sofort müssen wir das Abwehrprogramm gegen Piratenangriffe einleiten!“
Zu diesem Zeitpunkt wurde allen Personen auf der Brücke mit Entsetzen bewusst, dass ein Entkommen nicht mehr möglich war. Die vom Fischtrawler abgesetzten Speedboote würden sie über kurz oder lang erbarmungslos einholen. Auch das Entern des Schiffs wäre durch niemanden und nichts wirksam zu unterbinden. Also musste die Schiffsbesatzung von nun an genau das tun, was sie für den Fall eines Piratenangriffs schon so oft geübt hatte. Als Allererstes mussten sie Maßnahmen einleiten, um möglichst viel Zeit zu gewinnen. Habicht schüttelte seinen Kopf, seufzte und ordnete lautstark an:
„Sofort Ruder 5 Grad steuerbord, so lange, bis wir auf Gegenkurs sind. Die Maschinen hochfahren! Volle Kraft voraus! Danach die Kurssteuerung des Schiffs auf Automatik einstellen. Damit wird sich das Schiff in der nächsten Zeit auf einem vorprogrammierten Kurs bewegen. Hier in der freien See dürfte das kein Problem sein. Wir gewinnen durch diese Maßnahmen etwas an Zeit. Vielleicht kann uns währenddessen jemand zu Hilfe kommen.“
Fassungslos beobachtete er die Echos der Speedboote auf dem Radargerät. Sie zeigten ihm an, dass sie unerbittlich näher herankamen. Wieder schüttelte er entschlossen seinen Kopf. Er würde sein Schiff und seine Besatzung so lange wie möglich verteidigen. Dann schaute er verzweifelt den Funker an:
„Los setze sofort den Notruf ab, den Funkspruch, der für den Fall eines Überfalls durch Piraten vereinbart ist. Vielleicht können wir damit ein Kriegsschiff der Euro-Atalanta-Flotte zu Hilfe rufen. Aber mir ist nicht klar, ob ein solches Schiff überhaupt in der Nähe ist.“
Der Funker verschwand mit weit aufgerissenen Augen hinter sein Funkgerät, nahm das Mikrofon zur Hand und setzte den für diesen Fall vorgesehenen Funkspruch ab. Es war die letzte Möglichkeit, von außen Hilfe zu erbitten. Und ein solcher Hilferuf könnte für sie Rettung aus höchster Not herbeibringen. Wenn alles optimal verlief, würden ein Hubschrauber oder eine Fregatte kommen und die Piraten dingfest machen. Aber oft schon waren in der Vergangenheit Hilferufe von anderen Frachtschiffen vergebens gewesen. Weder Hubschrauber noch Fregatten kamen rechtzeitig zu Hilfe. Und nicht selten konnten die Piraten die geenterten Schiffe einschließlich Besatzung zu einem geheimen Ort entführen. Demzufolge durfte sich Tobias Habicht nicht allein auf Hilfe von außen verlassen. Er musste selbst die nächste Stufe des Notfallplans einleiten:
Das bedeutete, dass vor allem niemand mehr auf der Brücke sein, wenn die Piraten an Bord kamen. Sie würden einen leeren Fahrstand, ein Schiff ohne Besatzung vorfinden. Ein Blick auf das Radargerät bestärkte ihn in seiner Entscheidung – im Umkreis von 20 Meilen waren nur der besagte Fischtrawler und die beiden Speedboote zu sehen. Die Lage war bedrückend, auch jetzt war weit und breit, kein anderes Schiff, keine Hilfe auszumachen.
Tobias Habicht dachte scharf nach:
‚Die Steuerung der ‚Belangia Ozeana‘ ist inzwischen auf Automatik geschaltet und der Notruf per Funk ist abgesetzt, jedoch ist in absehbarer Zeit nicht mit Hilfe zu rechnen. Deshalb ist es meine Pflicht, die Besatzung in Sicherheit zu bringen. Sie muss sich an Bord verstecken. Wir können nicht mehr länger auf eine positive Lageentwicklung hoffen.‘
In der Tat hatte die Reederei tief unten zwischen zwei Frachträumen eine zweite stählerne Trennwand einbauen lassen, sodass ein geheimer Zwischenraum entstanden war. Er war so gut getarnt, dass von außen nichts zu erkennen war. In diesem Raum waren Frischwasser und Lebensmittel gelagert. In einem Ernstfall sollte sich die gesamte Besatzung dahin zurückziehen und wäre dort in der Lage, mehrere Tage zu überleben. Der Eingang zu diesem Versteck war keine Tür, sondern eine massive verschiebbare Stahlwand, die von innen verschraubt werden konnte. Ein entsprechender Notfallplan war ausgearbeitet: Und heute war solch ein Ernstfall. Ganz offensichtlich würden innerhalb der nächsten halben Stunde Piraten an Bord kommen. Ein Blick durchs Fernglas bestätigte, dass je vier bewaffnete Gestalten sich mit den Speedbooten schnell und unerbittlich näherten. Demgemäß war es höchste Zeit zu handeln und so kam vom Kapitän die Order:
„Alle Mann sofort in den Schutzraum! Nehmt zusätzlich Essen und Getränke mit, es kann lange dauern. Bootsmann, du versuchst so lange wie möglich die Angreifer mit den Feuerlöschkanonen in Schach zu halten. Wenn das nicht mehr geht, kommst du unverzüglich in den Schutzraum – auf jeden Fall rechtzeitig. Spiel nicht den Helden. Denn sobald die Piraten beginnen, das Schiff zu entern, müssen wir die Stahlwand zuschieben und verschrauben. Und zu diesem Zeitpunkt solltest du bei uns sein.“
Unmittelbar nach der Ansprache begaben sich alle ohne zu zögern ins Versteck. Nur der Bootsmann mit seiner Sonderaufgabe fehlte noch. Dieser blieb an Oberdeck und beobachtete unablässig, wie sich die Piraten mit ihren Speedbooten annäherten. Er war bereit, sie gehörig mit Seewasser zu überschütten. Von Minute zu Minute kamen sie näher heran, für die ‚Belangia Ozeana‘ gab es kein Entkommen mehr. Bald konnte er mit bloßem Auge ausmachen, dass alle Gestalten in den Booten mit Maschinenpistolen bewaffnet waren. Das zerstreute bei ihm jeglichen Zweifel an deren Absicht. Sie würden gnadenlos das Schiff überfallen. Wie er beauftragt war, nahm er die Feuerlöschkanonen in Betrieb und versuchte die Boote der Angreifer mit Wasser zu füllen. Aber das gelang ihm nur teilweise und kurzzeitig. Die Angreifer waren geschickt und konnten immer wieder vor den Wasserstrahlen ausweichen, um dann erneut in eine Lücke zu stoßen. Längst hatten sie auch den Bootsmann auf dem Kieker, der zu ihrem Ärger die Löschkanonen regelmäßig und erfolgreich auf ihre Speedboote ausrichtete.
Aber irgendwann mitten im Gefecht kam dieser selbst zu dem Schluss, dass die Situation auf Dauer ausweglos wäre. Sollte er nun aufgeben und auch in den Schutzraum fliehen? Vielleicht noch einen Moment Wasser spritzen? Die Antwort kam sofort und nicht so, wie er hoffte: Er spürte einen starken, dumpfen Schlag gegen seine Stirn – derart heftig, dass er zu Boden geschleudert wurde. Ein Projektil hatte seinen Kopf durchbohrt. Zunehmend wichen die Kräfte aus seinem Körper und ihm wurde schwarz vor Augen.
Wenig später waren acht schwer bewaffnete Piraten an Bord. Die Speedboote hatten sie fest mit dem Schiff vertäut. Auch das Wasser der Feuerlöschkanonen hatte sie nicht von einer Kaperung abgehalten. Mit Enterhaken und Seilen erklommen sie wieselflink, aber patschnass das Oberdeck. Als Erstes erstürmten sie die Brücke und waren fassungslos, dass sich niemand dort aufhielt. Ihr Anführer, ein dunkelhäutiger, mindestens zwei Meter großer Mann namens Mohammad Halim, stampfte wütend seinen Fuß auf den Boden und brüllte:
„Sucht sie und bringt sie alle her.“
Nun machten sich 7 bewaffnete Gestalten auf und suchten heftig lamentierend die Besatzung. Dabei kämmten sie systematisch jeden einzelnen Raum auf dem Schiff durch. Aber nirgends eine Menschenseele. Sicherlich hatten sie das nicht erwartet, denn die Crew sollte ihnen eine Menge Lösegeld bescheren.
Das Rufen und Lärmen war auch für den Kapitän und die Besatzung unüberhörbar. Bislang hatten sie gezögert, das Versteck zu verschließen. Denn der Bootsmann war noch nicht zurück. Aber jetzt hatten sie keine Zeit und keine Wahl mehr, sie mussten die Wand sofort zuschieben. Denn sie wollten auf keinen Fall selber gefasst werden. Die erlösende Weisung kam von Habicht:
„Die Piraten sind bereits an Bord und den Bootsmann haben sie wohl gefasst. Wir können nicht mehr länger warten. Die Kammer sofort schließen und die Wand verschrauben!
Verdammter Mist, den Bootsmann werden sie so lange foltern, bis er unser Versteck verrät. Unsere einzige Chance ist, dass er dichthält.“
Mit ansteigender Lautstärke und immer wütender durchkämmten die Piraten nochmals alle Räume des Schiffs, aber nicht die geringste Spur einer Besatzung war auszumachen. Außer dem toten Bootsmann war niemand zu finden. Das konnte nicht sein, ein großes Frachtschiff mit nur einem Mann Besatzung. Sie mussten sich irgendwo versteckt haben. In diesem Moment fasste Mohammad einen Entschluss; er sagte:
„Ab sofort ist die Suche beendet. Wir müssen das gekaperte Schiff dringend von der hiesigen Schifffahrtsroute wegbringen. Und das möglichst rasch, noch bevor irgendwelche Hilfe eintrifft. Und was die Besatzung anbelangt, die brauchen wir jetzt nicht zu suchen, sondern wir müssen nur abwarten. Irgendwann muss sie aus ihren Löchern gekrochen kommen und dann fassen wir sie.“
Damit stellten sie ihre Suche vorläufig ein. Den ermordeten Bootsmann warfen sie kurzerhand ins Meer. Mohammad und zwei weitere Piraten bestiegen die Brücke des Schiffs. Als Erstes schalteten sie die Kursautomatik aus und lenkten fortan die ‚Belangia Ozeana’ in südöstlicher Richtung auf die Küste des afrikanischen Kontinents zu. In einem Abstand von zwei Seemeilen folge Ihnen der Fischkutter, das Mutterschiff der Piraten. Diesmal war ihnen der Überfall geglückt. Sie hatten wieder einmal einen Frachter gekapert und ohne jegliche Schwierigkeit konnten sie heute mit ihrer Beute entkommen. Die Schiffe der Euro-Atalanta-Flotte waren zu weit entfernt. Keine Fregatte, kein Hubschrauber wäre noch in der Lage gewesen, rechtzeitig heranzukommen.
36 Stunden steuerten die Piraten das geenterte Frachtschiff in südliche Richtung immer parallel zur somalischen Küste. Schließlich brachten sie es zu einem versteckten Ankerplatz, etwa zwölf Meilen von der Ansiedlung Hobyo entfernt. Dort würde es auf Reede liegen bleiben, bis das Lösegeld bezahlt wäre. Hier würde keiner seinen Liegeplatz so schnell vermuten. Der Fischkutter dagegen machte ganz offiziell im Hafen von Hobyo fest, als käme er geradewegs von einem Fischfang zurück.
Es war zum Verzweifeln, von der Besatzung hatten die Piraten bis zu diesem Zeitpunkt nicht das kleinste Anzeichen gefunden. Nicht das geringste Geräusch war jetzt zu vernehmen, wo doch die Schiffsmotoren abgestellt waren und man deutlich mehr hören konnte. Auch das Logbuch und die Frachtpapiere waren nirgendwo aufzutreiben.
Erst zwei Tage später kam plötzlich und unerwartet die Wende. Im Versteck fiel eine Tasse zu Boden und zerschellte mit lautem Klirren. Der Maschinist hatte sie durch eine unbedachte Bewegung vom Tisch gestoßen. Das Geräusch war zu laut, um nicht bemerkt zu werden. Ein Wachposten der Piraten, der sich gerade in der Nähe aufhielt, war sofort alarmiert. Er brüllte los:
„Kommt alle runter! Hier unten muss die Besatzung sein, ich habe sie gehört!“
Voller Erwartung stürzten die anderen Piraten herbei und begannen, jeden Winkel akribisch abzusuchen. Schließlich kamen sie auch an die Stahlwand zum Schutzraum. Plötzlich hörten sie wieder ein Geräusch, es war sehr leise, aber es war da. Für die Piraten war schlagartig klar, hinter dieser Wand musste die Besatzung sein. Ein üppiges Lösegeld winkte. Sie klopften gegen die Wand und riefen:
„Kommt raus!“
Aber nichts rührte sich mehr. Nun traktierten sie wütend mit einem Vorschlaghammer die Wand. Nichts.
„Sie verhalten sich absolut ruhig, aber sie sind hier hinter“, meinte einer der Piraten und deutete mit dem Zeigefinger auf die Stahlwand zum Schutzraum.
„Wenn sie nicht herauskommen, dann müssen wir zu ihnen hinein“, sagte Mohammad. „Wir werden wohl ein Loch in die Wand schweißen müssen.“
Sie zögerten nicht lange, besorgten sie sich einen Schweißbrenner und Gasflaschen und begannen damit, ihre Idee umzusetzen. Lange mussten sie schweißen, bis sie eine kleine Öffnung in der Stahlwand hatten. Und wie erwartet hinter der Wand war die Schiffsbesatzung. Sie war durch das Guckloch eindeutig auszumachen. Drei weitere Stunden benötigten die Piraten noch, bis das Loch groß genug war, um durchkriechen zu können.
„Kommt jetzt sofort raus! “, brüllte Mohammad in die Öffnung, indem er zugleich seine Maschinenpistole hineinhielt.
„Nimm die Knarre weg, dann kommen wir heraus!“, schallte es zurück.
Und schließlich kam die Schiffsbesatzung einer nach dem anderen aus dem Loch gekrochen.
„Wer von Ihnen ist der Kapitän? – her zu mir! – und dann bitte ich um Übergabe der Frachtbriefe. Denn ich möchte wissen, welche Waren Sie uns mitgebracht haben“, sagte Mohammad.
Habicht blieb nichts anderes übrig, er offenbarte sich als Kapitän und händigte auch die Frachtbriefe aus. Danach wurde die gesamte Mannschaft unter scharfer Bewachung an Land gebracht. Alle wurden dort einer Leibesvisitation unterzogen, dabei wurden ihnen Geld, Wertsachen und Handys abgenommen. Als der Kapitän an der Reihe war, fragte er Mohammad:
„Wo ist unser Bootsmann, ich kann ihn nicht sehen?“
„Der ist tot und die Haie haben ihn gefressen“, bekam er als Antwort und im Nachsatz: „Jetzt sind Sie und Ihre Besatzung dran, aber wir werden Sie nicht töten. Ab sofort sind Sie unsere Geiseln und wir wollen Lösegeld für Sie alle. Deshalb bringen wir Sie erst mal von hier fort.“
Weiterhin deutete er in Richtung eines für europäische Begriffe schrottreifen Fahrzeugs.
„Alle Geiseln dort auf den Lastwagen!“
Sie sollten wohl auf die offene Ladefläche dieses Lastwagens klettern. Denn dort hatten sich bereits zwei bewaffnete Piraten zu ihrer Bewachung postiert. Zu deren Füßen lagen einige Säcke, gefüllt mit Verpflegungsartikel und daneben einige Kanister voller Wasser. Die Piraten hatten das alles schon vom Schiff mitgehen lassen. Ob die Geiseln wollten oder nicht, alle mussten auf die Ladefläche hinauf. Und mit dieser Beute, wie die Piraten ihre Gefangenen bezeichneten, fuhr der Lastwagen dann in die somalische Wüste hinein, – immer weiter in nördliche Richtung. Man hatte den Entführten bislang nicht die geringste Chance einer Gegenwehr gelassen. An Flucht war schon gar nicht zu denken. Ein Gespräch mit den Wachposten war ebenfalls nicht möglich, denn sie verstanden ihre Sprache nicht.
Das Fahrzeug holperte immer heftiger, je weiter sie fuhren. Der Untergrund der Piste wurde felsiger und irgendwann hielt der Lastwagen an einem hohen Erdwall, der eine weitläufige Senke von allen Seiten umschloss. Der gesamte Wall war mit einer dichten, undurchdringlichen Dornenhecke bewachsen. An dieser Stelle mussten alle den Lastwagen verlassen und zu Fuß über den einzigen Zugang zwischen den bewehrten Stachelpflanzen in die Senke gehen. Dabei ließen es sich die Piraten nicht nehmen, sie mit den Maschinenpistolen vor sich herzutreiben. Widerstand wäre unmissverständlich mit dem Tode bestraft worden. Plötzlich sahen sie es: Dort unten hatten die Piraten ein Camp aus einfachen Zelten errichtet. Es war ein regelrechtes Gefangenenlager, weit weg von jeglicher Zivilisation. Ein Entweichen war nahezu unmöglich, denn neben den umrandenden Wällen patrouillierten Wachen. Hier sollten sie also bleiben, ohne Aussicht auf Informationen, ohne die geringste Chance, sich zu wehren. Obendrein teilte man ihnen mit, dass die Piraten sie an diesem Ort als Gefangene halten wollten, bis ein hohes Lösegeld bezahlt war. Und das könnte sehr lange dauern.
Im Zeitraum von 2005 bis 2011 wurden ca. 40 Schiffe von somalischen Piraten angegriffen. Im wesentlichen Frachtschiffe und Tanker. Aber auch zwei Kreuzfahrtschiffe waren darunter, jedoch hierbei war ihnen kein Erfolg beschieden. Ebenso wenig wie beim Angriff auf zwei Fregatten.
Der Autor
‚Die Piraterie vor der Küste Somalias war nach 2011 stark zurückgegangen, seitdem sie mit militärischen Mitteln (zum Beispiel im Rahmen der Operation Atalanta) bekämpft wurde und zusätzlich viele Reedereien die Dienste privater Sicherheitsunternehmen nutzten. Die Zahl der Angriffe sank dadurch innerhalb weniger Monate rapide und im Jahr 2015 war kein einziger somalischer Piratenangriff mehr festgestellt worden.
Im Oktober 2016 warnte die UNO vor einem Nachlassen der Aufmerksamkeit. Im Frühjahr 2017 wurden wieder mehrere Schiffe angegriffen.‘
Wikipedia
‚Die Rückkehr der Piraten
Fünf Jahre lang war es ruhig am Golf von Aden. Seit neuestem treibt die Piraterie wieder ihr Unwesen. Nicht zufällig fällt sie mit der Hungerkrise in Ostafrika zusammen.‘
Fabian Urech 15.4.2017, Neue Zürcher Zeitung