Читать книгу Verschollen in Somalia - Dieter Semma - Страница 9

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Zwei Tage später – Laura war zu Hause, als gegen 18 Uhr die Wohnungsklingel läutete. Sie betätigte den Türöffner und trat hinaus, um das Treppenhaus zu beobachten. Eine Person kam mühelosen Schritts die 85 Stufen hinauf. Etwa eine Minute später stand sie strahlend vor ihr: eine junge Frau mit dunklem Teint, leicht gewelltem schwarzen Haar und dunkelbraunen Augen. Sie trug eine Jeanshose und eine dicke Wolljacke. Unter dem rechten Arm hielt sie eine Flasche Wein geklemmt. Rike, ihre beste Freundin, war unerwartet gekommen.

„Hi, liebe Laura, ich hoffe, dass ich nicht ungelegen bei dir hineinschneie. Ich war heute dienstlich mit meinem Chef in Köln. Und nach unserem Termin habe ich mich davongemacht. Ich wollte dich einfach mal wieder besuchen, vor allem nach deinem Anruf.“

„Na meine Liebe, die Überraschung ist dir voll und ganz gelungen! Komm erst mal rein.“

Die Freundinnen flogen aufeinander zu und umarmten sich. Fast wäre dabei die Weinflasche aus Rikes Arm gerutscht. Zur Sicherheit stellte sie diese auf einem Tischchen ab.

„Ob du es glaubst oder nicht: Ich habe mich wirklich nach einem Mädelsabend mit dir gesehnt, so wie in alten Zeiten.“

Ein Lächeln huschte über Lauras Gesicht.

„Mir geht das ganz ähnlich und du weißt, ich bin für einen Plausch immer zu haben. Aber wie du dir denken kannst, bin ich auf deinen Besuch nicht vorbereitet. Mein Kühlschrank ist ziemlich leer. Und ich selbst habe momentan richtigen Hunger, mein Magen knurrt schon. Und du? Hast du bereits zu Abend gegessen?“

„Nein zum Essen hatte ich noch keine Gelegenheit“, sagte Rike und begann ihre Wolljacke aufzuknöpfen.

„Die kannst du doch anbehalten, lass‘ uns jetzt gleich zum Griechen gehen. Sein Lokal ist nicht weit und es ist empfehlenswert.“

Zielstrebig ging Laura zur Garderobe, zog sich ihren Wintermantel an und schob Rike zur Tür hinaus. Fünf Schritte und schon befanden sich beide auf der Treppe nach unten. Vor der Haustür empfing sie ein eiskalter Wind und sie beeilten sich, das nahe gelegene griechische Restaurant zu erreichen. Dort drinnen war es wohlig warm. Sie gaben ihre Bestellung auf und dann war endlich Zeit, sich über die Einzelheiten der Kreuzfahrt auszutauschen. Rike schaute zu Boden, biss sich auf die Unterlippe und sprach mit versagender Stimme:

„Laura, es tut mir so leid. Aber ich kann nicht mitkommen. Aus unserer gemeinsamen Reise wird leider nichts!“

Für Laura war es ein heftiger Schlag. Sie wurde bleich, ihr Mund stand offen, ein Schauer durchlief ihren Körper.

„Was ist das denn? Sag mir, dass das ein böser Scherz ist. Ich kann dir das nicht glauben! Warum ist das so?“

Rike ergriff Lauras Hände, blickte fest in ihre Augen und sagte:

„Ich kann wirklich nicht mitkommen, denn ich bekomme von meinem Chef keinen Urlaub genehmigt. Da hilft weder Bitten noch Betteln, er sträubt sich hartnäckig dagegen. Einfach wegbleiben kann ich auch nicht. Das hieße für mich: ‚Job ade‘ und das möchte ich auch nicht. Glaube mir, in meinem Innersten brodelt es. Ich bin so was von wütend. Denn du lädst mich zu der angesagtesten Reise in meinem bisherigen Leben ein. Und was mache ich? Ich kann nichts anderes tun, als abzusagen.“

Bei Laura liefen Tränen die Wangen herunter, als sie sagte: „Das ist schade, ich habe mir so sehr gewünscht, mit dir zusammen diese Reise zu erleben. Was hast du nur für einen blöden Chef, ich mag den Kerl überhaupt nicht. Warum macht der so etwas? Warum genehmigt der dir deinen Urlaub nicht?“

„Ich habe alles versucht, ich habe ihn gebeten, ihn angefleht. Aber der blieb hart, weil er angeblich für den besagten Zeitraum nicht auf seine Sekretärin verzichten kann. Und ich bin machtlos, denn einen Rechtsanspruch auf Urlaub habe ich nicht, außer ich hätte ihn rechtzeitig in die Urlaubsliste der Firma aufnehmen und genehmigen lassen.“

Laura holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte damit ihre Tränen von der Wange, sie sagte:

„Rike, ich sehe es ein, du kannst definitiv nichts dafür, denn bis vor zwei Tagen wusstest du ja gar nichts von einer Kreuzfahrt. Und dass dein Chef voll unnachgiebig handelt, müssen wir wohl oder übel hinnehmen. Es ist jammerschade! Aber gibt es wirklich keine Möglichkeit mehr für dich, doch noch mitzukommen? Mir ist klar: Ich kann nicht verlangen, dass du wegen einer Reise deinen Job aufgibst. Andererseits könnten wir nicht noch ein letztes Mal versuchen, deinen Chef umzustimmen? Aber dazu fällt mir so spontan nichts ein. Ich weiß nicht wie.“

Rike biss sich auf ihre Lippen und sagte hiernach:

„Das ist bei dem völlig zwecklos, wenn der sich was in den Kopf gesetzt hat, bleibt er stur. Und als einzige Möglichkeit, mich in Urlaub gehen zu lassen, hat er mir Folgendes empfohlen: Ich muss ihm einen adäquaten Ersatz als Sekretärin besorgen. Aber woher nehmen – und wir haben nur noch drei Tage Zeit bis zur Anmeldung.“

Beide starrten die Tischplatte an. War da nicht noch ein Hoffnungsschimmer? Adäquater Ersatz?

„Kannst du denn nicht mit einer Kollegin tauschen?“

„Nein, das geht nicht. Das Problem liegt darin, dass die andere Sekretärin zur gleichen Zeit Urlaub eingereicht hat und der ist bereits genehmigt. Sie selbst will auf keinen Fall mit mir tauschen.“

Die Mädels blickten sich wieder an. Ihre Mienen waren ernst, ihre Blicke traurig. In diesem Moment kam das Essen.

„Ich habe keinen Hunger mehr“, sagte Laura und schob ihren Teller zur Seite. Dann, nach einer Denkpause, hellte sich ihr Blick wieder um eine Nuance auf:

„Ich habe da noch eine Idee“, sagte sie. „Wie wäre es mit einer Sekretärin aus einer Leihfirma?“

Rike schluckte ihren Bissen hinunter, zog die Stirn kraus und sagte:

„Sekretärin aus einer Leihfirma, ja! Ich könnte mir das schon vorstellen, aber es würde nur funktionieren, wenn mein Chef dies als adäquaten Ersatz anerkennt.“

„Wir werden es versuchen und gleich morgen früh legen wir los. Wann musst du in der Firma sein?“

„Um zehn Uhr beginnt in Siegen unsere Kernzeit, spätestens zu diesem Zeitpunkt muss ich da sein.“

„Also kannst du ja bei mir übernachten. Wir stehen morgen früh auf und sondieren mal die Bedingungen von Leihfirmen. Locker kannst du bis um zehn Uhr in Siegen sein.“ Am nächsten Morgen googelten die Freundinnen per Smartphone, suchten Agenturen für Personalvermittlung und schon bald riefen sie die erste an. Dann kam der Schock, Personal gab es nur für mindestens einen Monat und eine Sekretärin würde monatlich 3200 Euro kosten. Bei der zweiten und dritten Agentur ein ähnliches Bild. Die Stimmung der beiden Mädels war auf den Nullpunkt angelangt:

„Bockmist! Das war es jetzt für mich“, sagte Rike. „Die Reise auf dem Traumschiff kann ich mir in die Haare schmieren. Mein Chef würde niemals eine solche Summe für eine Aushilfe locker machen und ich selbst kann mir das nicht leisten. Also es bleibt dabei, dass ich definitiv nicht mitkommen kann. – Liebe Laura, ich danke dir nochmals, dass du an mich gedacht hast, aber es sollte nicht sein.“

Sie schüttelte ihren Kopf, es war Zeit, nach Siegen zu fahren. Traumschiff ade! Jedenfalls für sie. Mit Wehmut im Blick verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg in ihre Firma.

Laura ließ fassungslos ihren Kopf hängen. Sie und ihre Freundin hatten alles versucht, aber die gemeinsame Reise sollte nicht gelingen. Zudem war Rike soeben abgereist und deshalb musste sie jetzt alles alleine planen und entscheiden. Niemand war da, der ihr Mut und Trost zusprechen konnte. Vor allem stellten sich bei ihr Bedenken ein, ob sie ohne Begleitung überhaupt Spaß haben könnte. Beinahe wäre sie zu dem Entschluss gekommen, lieber zu Hause zu bleiben. Aber nach reiflicher Überlegung riss sie sich zusammen.

In ihrer Küche fand sie einen Rest Tee vom Frühstück. Diesen goss sie sich ein, setzte sich wieder an den Tisch, las noch einmal den Brief der Redaktion und fasste dann ihren Entschluss:

‚Diese fantastische Kreuzfahrt habe ich gewonnen. Ja, ich werde sie auf jeden Fall wahrnehmen. Denn wenn ich auch allein verreisen sollte, wird sie für mich ein nie da gewesenes Erlebnis werden. Obendrein ist für mich bereits alles arrangiert. Im schlimmsten Fall muss das Ticket für die zweite Person verfallen. Schade drum! Aber vielleicht finde ich trotz allem noch jemanden, den ich mitnehmen kann. Da kommt mir als Erster mein Bruder in den Sinn. Vielleicht hat er Lust auf eine Kreuzfahrt. Das kann er aber nur, wenn er sich schon gut auf sein Examen vorbereitet hat. Allein unter der Voraussetzung kann er sich diese Auszeit gönnen. Ich glaube zwar nicht daran, aber Versuch macht klug.‘

Sie wählte die Nummer von Kai und hörte bald seine Stimme und begann mit den Worten:

„Ich habe ein Kreuzworträtsel gelöst, das war ein Preisausschreiben und ich habe gewonnen. Du wirst es nicht glauben, ich habe den Großen Preis geholt. Es handelt sich um eine 14-tägige Kreuzfahrt in den vorderen Orient für zwei Personen. Hast du Lust mit mir mitzukommen?“

„Na klar, Schwesterherz, wann soll es denn losgehen?“

„Am 14. Mai.“

Sie hatte gerade den Brief in die Hand genommen, um ihrem Bruder die Reisedetails bekannt zu geben, da hörte sie seine Worte:

„Stopp, Laura, Stopp! Gerne ein anderes Mal, aber nicht am 14. Mai. Nein, das geht gar nicht. Für mich ist kein Denken daran, zu diesem Zeitpunkt eine Reise zu unternehmen. Ich stecke mitten in der Vorbereitung für mein Examen und das ist für mich absolut wichtiger als eine noch so schöne Kreuzfahrt. Kannst du denn nicht deine Freundin Rike mitnehmen?“

Laura hatte schon mit einer Absage gerechnet und das da war die Bestätigung: Also Kai auch nicht. Der Brief glitt ihr aus den Händen und segelte weit weg zu Boden, halb unter einen Schrank. Sie sagte:

„Das, mit Rike habe ich bereits versucht, aber sie bekommt kein frei in ihrer Firma. Es sei denn, sie kann eine Vertretung für die Zeit ihrer Abwesenheit finden. Und diese muss adäquat sein, wie der Chef sich ausdrückt. Was er auch immer unter adäquat versteht, sie ist nicht so leicht zu finden. Schließlich hatten wir die Idee, eine Sekretärin von einer Leihfirma zu engagieren, aber deren Honorare sind derart hoch, dass wir uns das nicht leisten können.“

„Ich glaube, ich habe die Lösung für euer Problem. Vielleicht kann Hannah, meine Freundin, euch helfen. Sie geht momentan zur Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung und sie braucht dringend ein Praktikum in einer Firma. Sie könnte doch Rike vertreten.“

Laura war wie elektrisiert, holte einmal tief Luft und befreite sich von ihrer Niedergeschlagenheit. Sodann tauchte sie ab, angelte nach dem Brief und sagte:

„Das ist die Lösung! Ja, das ist genau das, was eine Kreuzfahrt zusammen mit Rike retten könnte. Deine Idee ist Gold wert. Danke Bruderherz! Und deiner Hannah hilft es auch weiter – eine klassische Win-win-Situation. Ich werde sofort nach unserem Gespräch Rike anrufen, ihr alles berichten und danach ist es ihr Part, ihren Chef zu überzeugen. Es wäre nur zu schön, wenn er mit Hannah als Praktikantin einverstanden wäre. Danke! Danke!“

Kaum hatte Laura das Gespräch mit ihrem Bruder beendet, wählte sie schon Rikes dienstliche Telefonnummer. Sie berichtete ihr über das Telefonat mit Kai und vor allem von Hannahs Suche nach einem Praktikum.

Rike war von der neuerlichen Wendung ganz angetan. Jetzt würde sie ihren Chef überzeugen können und der müsste ihren Urlaubsantrag genehmigen. Sie eilte in den Vorraum zur Damentoilette, korrigierte Frisur und Rouge und besprühte sich mit einem dezenten Duft. Sie zog ihre Kleidung zurecht, knöpfte den obersten Blusenknopf auf und so wagte sie sich in das Büro ihres Chefs hinein. Sie glaubte auf naive Weise, ihn mit den Waffen einer Frau überzeugen zu können. Momentan war ihr jedes Mittel recht, um ihn zu beeinflussen. Vor allem sollte er Hannah als Praktikantin einstellen und als Urlaubsvertretung akzeptieren. Der Chef schaute sie mit offenem Mund an, und ehe er ein Wort sagen konnte, redete sie mit Engelszungen auf ihn ein. Aber trotz aller Mühen erreichte sie nur, dass er sich das Ganze bis zum nächsten Morgen durch den Kopf gehen lassen wollte. Noch ein Tag voller Ungewissheit, geduldig musste sie abwarten.

Es war früh am nächsten Morgen. Hin und her hatte sich Rike in ihrem Bett gewälzt. Sie hatte kaum geschlafen und war jetzt stark angespannt. Immer noch quälte sie der Gedanke, wie sich der Chef entschieden haben könnte. Hineingehen und plump fragen wollte sie nicht. Um nicht aufdringlich zu wirken, würde sie ihm erst einmal einen Kaffee aufbrühen und in sein Büro bringen. Sie hoffte, dass er sie von sich aus zu dem Thema ansprechen würde.

Sie klopfte an seine Bürotür, öffnete sie mit ihrem Ellenbogen, denn sie hielt ein Tablett mit Kaffee und Geschirr in den Händen. Sodann näherte sie sich damit seinem Schreibtisch und beobachtete angespannt jede seiner Reaktionen.

Der Chef betrachtete sie mit einem freundlichen Lächeln und sagte:

„Einen schönen guten Morgen, Frau Schobert und nehmen sie bitte Platz“, einen Augenblick später folgte die Überraschung: „Ich habe bereits telefonischen Kontakt mit dieser besagten Hannah aufgenommen. So wie sie es mir geschildert hat, hat sie offensichtlich eine fundierte Ausbildung genossen und ich habe keine Veranlassung, an ihren Fähigkeiten zu zweifeln. Und sie sucht eine Praktikumsstelle.“

Er goss sich einen Kaffee ein, rührte in der Tasse herum und sagte:

„Liebe Frau Schobert, sie können sich freuen. Ich habe mich diesmal breitschlagen lassen, aber nicht bedingungslos. Ich werde das Wagnis eingehen, diese Praktikantin als ihre Urlaubsvertretung einzustellen. Aber Ihnen erteile ich die Auflage, sie in den letzten 14 Tagen vor Ihrem Urlaub in die Geschäfte der Firma einzuweisen. Sie muss zum Zeitpunkt ihrer Abreise top fit sein.“

Rike strahlte den Chef an und sagte:

„Das werde ich gerne machen, Sie werden zufrieden sein.“

„Wenn das funktioniert, können Sie in Ihren Urlaub gehen. Verraten Sie mir mal, was Sie denn für eine genialer Reise vorhaben, dass Sie hier in der Firma alles umkrempeln?“

„Meine Freundin hat mich zu einer Kreuzfahrt in den vorderen Orient auf einem Traumschiff eingeladen, das ist für mich völlig kostenlos, da möchte ich nur ungern verzichten.“

„Na, dann wünsche ich Ihnen, dass Ihre Vertretung keine Enttäuschung ist und Sie ihre Glücksreise verwirklichen können.“

Verschollen in Somalia

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