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Gazellen für Sisi

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Der Schah von Persien auf Staatsbesuch in Wien

Die Zeit der großen Staatsbesuche ist vorbei, und gar etwas so Bombastisches wie das Zehn-Tage-Spektakel vom Sommer 1873, als Nasreddin Schah, der »Herr des Morgenlandes«, das sechs Monate lang im Weltausstellungstaumel liegende Wien beehrt, kann sich heute nur noch vorstellen, wer über eine blühende Phantasie à la Tausend und eine Nacht verfügt. Es ist das erste Mal, daß Persiens Souverän seinen Fuß auf europäischen Boden setzt: Via Rußland, Deutschland, England, Frankreich, die Schweiz und Italien anreisend, trifft der Zweiundvierzigjährige am 30. Juli im Land der »ungläubigen« Österreicher ein.

Gewohnt, daß alles nach seinem Willen geht, ist er schon indigniert, daß er sich einem penibel eingehaltenen Fahrplan unterwerfen muß: Punkt 19 Uhr rollt der kaiserliche Hofzug im Bahnhof Penzing ein; dem hundertfünfzigköpfigen Gefolge fährt eine zweite Garnitur hinterdrein, die das Gepäck und die Menagerie heranschafft: Pferde und Hunde, Hammel und Hühner, dazu das Gastgeschenk für Sisi – vier Gazellen.

Die zahlreichen Schaulustigen, die der Begrüßung durch Kaiser Franz Joseph beiwohnen, kommen voll auf ihre Rechnung: Statt mit Knöpfen ist die Uniform des Schah mit Diamanten und Rubinen besetzt. Die persische Nationalhymne, die am Perron erklingt, ist allerdings österreichischer Eigenbau: Ursprünglich von Militärkapellmeister Leitermayer zusammenphantasiert (weil Persien zu dieser Zeit noch über keine eigene verfügt), fällt dessen »Persischer Marsch« so schaurig aus, daß Johann Strauß allerhöchsten Auftrag erhält, eilends einen zweiten zu komponieren.

Nach kurzem Aufenthalt geht’s weiter – mit der Verbindungsbahn nach Laxenburg. Im Blauen Hof, jenem Trakt des kaiserlichen Sommersitzes, den einst Maria Theresia für ihren Gebrauch hat adaptieren lassen (und der heute das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse beherbergt), soll Österreichs Staatsgast logieren. Kronprinz Rudolf, der hier vor 15 Jahren zur Welt gekommen ist, steht im vordersten Glied des Empfangskomitees: Wenn sich das Haupt des Erhabenen zum Stirnkuß über ihn beugt, muß sich der junge Thronfolger beherrschen, daß ihn nicht das Kitzeln des monströsen Schnurrbartes aus dem Konzept bringt.

Schlimmes bahnt sich derweil in den benachbarten Gemächern an: Die Dienerschaft des »Lieblings der Sonne« ist dabei, Schloß Laxenburg nach ihren Vorstellungen umzumodeln. Alle Pölster werden flachgetreten, alle Teppiche durch eigene ersetzt, in einem der Kabinette werden die fürs leibliche Wohl des »Königs der Könige« bestimmten Hammel nach mohammedanischem Ritus geschlachtet und nebenan bei offenem Feuer gebraten. Auch die drei Hühner, die der Schah allmorgendlich eigenhändig abzumurksen pflegt, hinterlassen Spuren – ganz zu schweigen von den Vorhängen, an denen sich die Domestiken die fettigen Finger abwischen. Ungeniert vor aller Augen (und stehend) verrichtet man die große Notdurft – in eigens mitgeführten Klosetts. Kaiserin Elisabeth, die anderntags beim Diner in Schönbrunn größte Mühe hat, angesichts all der barbarischen Faux pas der Gäste Haltung zu bewahren, nimmt Reißaus und fährt zu ihrer fünfjährigen Tochter Valerie auf die Rax.

Am vierten Tag – es ist der 2. August – begleitet Franz Joseph den ein Jahr Jüngeren in den Prater. Der von zehn Equipagen gefolgte sechsspännige Galawagen, mit dem die Strecke vom Südbahnhof zum Weltausstellungsareal zurückgelegt wird, hält zunächst vor dem Kaiserpavillon, wo gemeinsam das Déjeuner eingenommen wird; dann geht’s weiter zur Rotunde, bei deren Betreten Glockengeläut und Orgelspiel erklingen, dazu das tausendstimmige »Vivat!« der Besucher. Beim Durchschreiten der einzelnen Abteilungen – die persische ist ein nach Nasreddins eigenen Entwürfen errichtetes Prunkzelt – folgen ihm fünf Diener mit dem »Allernötigsten«: einem roten Sonnenschirm, einem brillantenbesetzten Operngucker, einer vergoldeten Teekanne, einer zinnernen Kohlenpfanne, einer Teppichtasche, einer Wasserpfeife sowie einem Behälter unbekannten Inhalts. Ermattet der gesegnete Leib, so werden ihm zum Ausrasten Sitzlager bereitet und Unmengen Gefrorenes gereicht.


Nasreddin Schah (hier bei einer Kahnpartie in Laxenburg) ist ein schlechter Schütze: Seine »Jagdbeute« hat einer der Diener heimlich auf dem Wochenmarkt erstanden …

Geldgierige Wiener Matronen drängen sich an den Gast heran, ihm ihre Töchter für seinen Harem feilzubieten, und gar der geschäftstüchtigen Kaufleute, Fabrikanten, Juweliere, Bankiers und Erfinder, die an den verbleibenden Tagen um Audienz ansuchen, ist und ist kein Ende. Aus ihren Träumen vom großen Geld werden sie erst später jäh erwachen, wenn sie erkennen müssen, daß orientalische Potentaten es gewohnt sind, geschenkt zu erhalten, was ihnen ins Auge sticht. Ein großer Teil der Lieferantenrechnungen bleibt unbeglichen, und die Diamanten der meisten vom Schatzmeister ausgestreuten Orden sind in Wirklichkeit aus Glas.

An der Ballettsoirée, zu der der Kaiser in die Hofoper lädt, interessieren den Schah nur die Beine der Tänzerinnen; Pferderennen und Hofjagd langweilen ihn; und zum Abschiedsempfang in Schönbrunn erscheint er mit zweistündiger Verspätung, weil sein Leibastrologe die offizielle Beginnzeit für »ungünstig« erklärt hat. Nur die Truppenparade auf der Schmelz, bei der zwanzigtausend Mann in Galauniform an ihm vorbeidefilieren und über hunderttausend Zaungäste jubeln, ist nach seinem Geschmack.

Am 8. August 1873 tritt Nasreddin Schah, von Kaiser Franz Joseph mit zwölf Kisten feinsten Porzellans beschenkt, die Heimreise an – in Laxenburg können die Reinigungs-, Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten beginnen …

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