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Historische Dimension These 3 Alle Hochkulturen waren Stadtkulturen: Metropolen sind ein uraltes Phänomen. 3.1 Metropolen und Megastädte im Altertum

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Gemessen an der jeweiligen territorialen Gesamtbevölkerung hat es nicht nur Metropolen (griech.: Hauptstädte), sondern auch Megastädte (griech.: Riesenstädte) schon weit vor unserer Zeitrechnung gegeben. Voraussetzung für ihre Entstehung war die Existenz von Hochkulturen in Verbindung mit der Herausbildung von größeren Regionalreichen mit erheblicher Bevölkerungszahl. Daher gilt obige These besonders für das Asien der vorchristlichen Zeit. Als Wiege von drei der vier Hochkulturen – Mesopotamien, Indien, China – blickt Asien auf die ältesten Stadtkulturen der Menschheit zurück. Auch wenn Zweifel an den zum Teil recht hohen Bevölkerungsschätzungen angebracht sind, so seien hier einige Zahlen aus dem Werk von Chandler/Fox wiedergegeben. Sie bestätigen die Feststellung, dass außerhalb der (mit Ägypten) vier Hochkulturen nur Athen und Syracus, später Rom und Karthago in der Liste der seinerzeit zehn größten Städte der Erde auftauchen (Tab. 7).

Werfen wir zunächst einen Blick auf Indien: Auch hier markiert die Stadt den Beginn der historischen Entwicklung. Als der indische Archäologe Banerji 1922 im unteren Sind (heutiges Pakistan) unter Besiedlungsschichten einer buddhistischen Klosteranlage des 2. Jh.s n. Chr. Zeugnisse einer sehr viel früheren Stadtkultur fand, die man später Industalkultur nannte und deren Blütezeit man mit Hilfe der C-14-Methode (Radiokarbonmethode) auf die Zeit zwischen 2400 und 1700 v. Chr. (Bronzezeit) datierte, bedeutete diese Entdeckung zugleich einen Umbruch des bisher gültigen, auf Europa fixierten Geschichtsbildes.

Mit der 1922 erfolgten Entdeckung der Stadt Mohenjodaro („Hügel der Toten“) hatte man eine der größten der inzwischen über 1000 Siedlungen der bis ins 7. Jahrtausend v. Chr. zurückreichenden Industalkultur gefunden. Die beiden bekanntesten Städte Mohenjodaro und Harappa (daher auch: Harappa-Kultur) liegen im heutigen Pakistan. Die heutige Staatsgrenze verläuft mitten durch das ehemalige Siedlungsgebiet der Harappaner (Abb. 7).

Die Harappa-Kultur hat Siedlungen großstädtischen Zuschnitts hervorgebracht (Mohenjodaro maß 60 ha), wiewohl die Mehrheit ihrer Siedlungen wesentlich kleiner war. Die Städte im Industal können mit großer Wahrscheinlichkeit als die seinerzeit wohl am höchsten entwickelten Städteplanungen angesehen werden: mit N–S und O–W verlaufenden, etwa 10 m breiten Hauptstraßen, einem vortrefflich ausgebauten Abwassersystem, an das die Häuser, die häufig über einen eigenen Brunnen verfügten, direkt angeschlossen waren. Zumindest die beiden größten Städte, Harappa und Mohenjodaro, besaßen große Versammlungshallen und kultische Bauten. Sie verfügten darüber hinaus über umfangreiche, ausgezeichnet belüftete Kornspeicher – 27 sind allein in Mohenjodaro nachgewiesen (Kulke/Rothermund 1982: 21f.). Die Städte waren planmäßig angelegt mit Zitadellen, Bädern und Kanalisation. Zusammen mit der schachbrettartigen Anordnung und proportionsgeregelter Breite ihrer Straßen lässt dies auf eine hoch entwickelte Stadtplanung und zentralisierte Verwaltung schließen.

Tab. 7: Die größten Städte im Altertum I


Etwa 1000 Jahre nach dem Untergang der Industalkultur etablierten die Mauryas (322–185 v. Chr.) nicht allein das erste gesamtindische Großreich, sondern auch eine neue städtische Kultur, deren Zentrum am mittleren Ganges lag.

Der Grieche Megasthenes, von 302 bis 288 v. Chr. Gesandter von Seleukos I. am Königshof, hinterließ eine detaillierte Beschreibung ihrer Hauptstadt Pataliputra am Zusammenfluss der beiden Flüsse Ganges und Son, westlich des heutigen Patna. Er beschreibt die Stadt mit einem 200 m breiten Stadtgraben und einer hölzernen Befestigungsanlage, die 570 Türme und 64 Tore besaß. Einige ausgegrabene hölzerne Abwasserkanäle belegen einen hohen hygienischen Standard. Seinen Angaben zufolge („80 Stadien Länge und 15 Stadien Breite“), die später als glaubwürdig nachgewiesen wurden, umfasste die Stadt eine Fläche von fast 26 km2 (Fischer/Jansen/Pieper 1987: 145ff.). Damit war Pataliputra dreimal so groß wie seinerzeit Alexandria und doppelt so groß wie das kaiserliche Rom innerhalb der aurelianischen Stadtmauer, d.h. seinerzeit die größte Stadt der Welt (s. Tab.7).

Auch in der altindischen Literatur wird der „Stadt“ breiter Raum gewidmet. So unterscheidet das Staatslehrbuch des Kautilya (um 300 v. Chr.) ganz im Sinne einer modernen, funktionalen Stadttypologie zwischen nagara (Residenzstadt), pattana (Handelsstadt) und pura (Festungsstadt) (Laping 1982: 2f.). Als Siedlungsnamen sind sie bis in die Gegenwart verbreitet (Ahmednagar, Machilipatnam, Kanpur). In den ungefähr gleichzeitig entstandenen Silpasastra-Schriften sind zudem detaillierte Anweisungen in allen wesentlichen Punkten der Stadtplanung bis hin zur Lage der Varna-Viertel enthalten (Abb. 8).


Abb. 7: Die Indus kultur (um 2000 v. Chr.) Quelle: Kulke/Rothermond 1982: 400 (verändert)

Vielleicht nicht so frühzeitig wie auf dem indischen Subkontinent, dafür aber über einen wesentlich längeren historischen Zeitraum, haben sich in China viele große Städte entwickelt. „Prämoderner Urbanismus ist weitgehend identisch mit chinesischer Stadtgeschichte. 2000 Jahre lang waren zumindest ein Drittel, wenn nicht die Hälfte aller Stadtbewohner dieser Erde Chinesen, wobei mit ‚Städten‘ hier Ansiedlungen von über 10.000 Menschen gemeint sind“ (Weggel 1988: 153). Diese nicht immer kontinuierliche großstädtische Hegemonialstellung des „Reiches der Mitte“ währte bis Ende des 18. Jh.s, ehe Europa, allerdings nur für kurze Zeit, diesen Platz einnahm. Ursache dieser lang währenden Dominanz waren die beiden eingangs genannten Voraussetzungen: Hier konzentrierte sich bereits vor 2000 Jahren mit seinerzeit etwa 60 Mio. Einw. ca. ein Viertel der Erdbevölkerung (berechnet nach: Witthauer 1969: 89) – im Übrigen ein Anteil, der sich bis heute nicht wesentlich verändert hat. Vor allem aber war es die Kontinuität großer Regionalreiche, die (mit kurzen Unterbrechungen) bis in die Gegenwart reichte, während in Indien das für lange Zeit letzte Großreich der Guptas bereits im 5. Jh. n. Chr. sein Ende fand. So stieg Chang’an, das heutige Xi’an, als Hauptstadt der Han- und Tang-Dynastie zur (für lange Zeit) größten Stadt der Erde auf: Mit Unterbrechungen war sie über 1000 Jahre lang die Hauptstadt Chinas, damit 200 Jahre länger als die heutige Hauptstadt Beijing (Peking). Bereits im 8. Jh. v. Chr. soll die Stadt etwa 2 Mio. Einw. gezählt haben (Schinz 1989: 14) – eine Bevölkerungszahl, die im Zuge der Industrialisierung von London erst zur Mitte des 19. Jh.s erreicht wurde. Diese Bevölkerungsschätzung entspricht ca. 3,3 % der seinerzeitigen Gesamtbevölkerung – eine Metropolisierungsquote, die von den fünf größten Metropolen Chinas erst nach der Jahrhundertwende erreicht wurde. Noch um 1100 n. Chr. war das „Reich der Mitte“ mit einem Anteil der in Städten von über 100.000 Einw. lebenden Bevölkerung mit ca. 6 bis 7 % die am meisten urbanisierte – nach heutigen Maßstäben müsste man sagen: metropolisierteste – Gesellschaft der Erde (Vogel 1998: 12). In den folgenden Jahrhunderten verlor China diesen Status; seine heute > 50 Millionenstädte machen zusammen nicht einmal 15 % der Gesamtbevölkerung aus. Mit dieser Metropolisierungsquote wird China inzwischen von mehr als 50 Ländern, so auch von Indien übertroffen.


Abb. 8: Silpasastra-Plan: Gliederung der Stadtviertel nach Kasten


Abb. 9: Größenvergleich: Rom (republikanisch) – Rom (kaiserlich) – Chang’an (Han u. Tang Dynastie)

Die Städte Chinas sollten, gemäß der konfuzianischen Lehre, Abbilder der kosmischen Ordnung sein. Demzufolge waren sie nach geomantischen Prinzipien genau in Nord-Süd-Richtung angelegt. Am Stadtplan von Chang’an (Abb. 9) sind diese Prinzipien klar zu erkennen (u.a. Böhn 1987: 295f.; Weggel 1988: 153f.; Schinz 1989: 14f.):

Anlage der Stadtmauern im Quadrat, da auch die Erde als viereckig galt.

Die Hauptachse der Stadt hatte in genauer Nord-Süd-Richtung zu verlaufen, „wobei der Norden (die Yin-Seite) die negative Welt (Feinde aus der Steppe, kalte Winde usw.) symbolisierte, der Süden (Yang) dagegen die warme und positive Seite. Der Palast des Herrschers blickte nach Süden; das Südtor (Nanmen) war stets das repräsentativste der Stadt und kann vielerorts in seiner architektonischen Schönheit auch heute noch bewundert werden“ (Weggel 1988: 154) – und zwar nicht nur in China, sondern in einer ganzen Reihe ostasiatischer Städte. Die große Nord-Süd-Achse Chang’ans ging vom Kaiserpalast aus und war 7,5 km lang.

Der geometrischen Stadtanlage entsprach ein Schachbrettmuster der Straßen. Dementsprechend waren die sechs Stadtbezirke und die insgesamt 108 Häuserblocks rechteckig angelegt und mit Mauern umgeben, so dass die überwiegend eingeschossigen Häuser von der Straße aus nicht zu sehen waren. In die Ziegel-, zumeist aber Lehmmauern waren 2 bis 4 Tore eingelassen, die nachts geschlossen wurden: Der Sicherheitsmaßnahme entsprach gleichzeitig die Kontrolle der Stadtverwaltung über ihre Untertanen.

Wie in Indien und später auch in den europäischen Städten des Mittelalters lebten die einzelnen Berufsgruppen räumlich in den einzelnen Stadtteilen zusammen – ein Muster, das heute in den Metropolen und Megastädten, außer in Indien, kaum noch Verbreitung findet.

Diese städtebauliche Konzeption blieb für alle chinesischen (Groß-)Städte auch in der Folgezeit verbindlich. Das gilt für die späteren Kaiserstädte Luoyang und Kaifeng, deren Bevölkerungszahl in ihrer Blütezeit auf 0,5 bis 1 Mio. geschätzt wird (Vogel 1998: 13), ebenso wie für Beijing, das 1403 Hauptstadt Chinas wurde und dies mit wenigen Unterbrechungen bis heute blieb. Der kulturelle Einfluss Chinas über seine Grenzen hinaus manifestierte sich auch im Städtebau; so wurden die japanischen Kaiserstädte Nara und Kyoto nach dem Vorbild Chang’ans angelegt. Das rechtwinklige Schachbrettmuster in der Straßenführung hat sich, soweit es das Relief zuließ, bis in die Gegenwart fortgesetzt – auch in den Großstädten, die erst im 20. Jh. unter chinesische Kontrolle gerieten (für Lhasa: Bronger 2001: 59ff.).

Insgesamt war Asien Heimat der Mehrzahl der Megastädte während der vorchristlichen Zeit. Das gilt neben den erwähnten Chang’an und Pataliputra sowie den übrigen chinesischen und indischen Metropolen für Babylon ebenso wie für das medische Ekbatana. Erst mit Beginn unserer Zeitrechnung, nach der endgültigen Etablierung des Römischen Reiches als „Weltreich“, stieg das kaiserliche Rom (nach Chang’an) zur bevölkerungsreichsten Stadt auf. Für das erste nachchristliche Jh. wird seine Einwohnerzahl auf 850.000 geschätzt (Stöwer 1976: 270; Tab.6). In ihrer Blütezeit maßen Babylon ca. 9 km2, Luoyang 11,7 km2 und Rom gerade einmal 13,05 km2, was für Letztere eine Einwohnerdichte von fast 50.000 pro km2 bedeutete (diese Angaben beziehen sich auf das von der Aurelianischen Mauer umfasste Gebiet; bei der Umwandlung der Stadt unter Augustus ergibt sich eine Fläche von gut 16 km2, woraus sich eine Dichte von über 50.000 Einw./km2 errechnet). Bereits knapp 1000 Jahre früher war Chang’an mit einer Fläche von fast 84 km2 – die Seitenlängen der rechteckig angelegten Megastadt maßen 8,6 × 9,7 km (Schinz 1989: 14) – weit vor Pataliputra auch in dieser Hinsicht die mit Abstand größte Stadt. Hierin wurde es ebenfalls erst von den Metropolen des 19. Jh.s übertroffen.

Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit hat wirtschaftlich und gesellschaftlich nur eine kleine Minderheit an der/den Hochkultur(en) partizipiert, während die große Mehrheit der Bewohner ein überaus bescheidenes Leben fristete, wenn sie nicht sogar als Sklaven gehalten wurden (zu den Einkommensdisparitäten in Indien zur Zeit des Maurya-Reiches s. Bronger 1996: 42ff.). Dieser hier zwangsläufig nur angedeutete Rückblick auf den Zusammenhang von „Hochkultur“ und „Entwicklung“ zeigt, dass der viel verwendete Begriff „Hochkultur“ doch differenzierter und kritischer überdacht werden sollte.

Dabei konnte sich die Metropolisierungsquote (MQ) der Metropolen des Altertums mit der heutiger Megastädte durchaus messen. Diese Städte hatten bereits, auch demographisch, durchaus Megastadtcharakter. Bei einer geschätzten Bevölkerungszahl Italiens von 6 Mio. um 100 n. Chr. (Witthauer 1969: 38) belief sich die MQ Roms auf > 10 % – sie war damit deutlich höher als heute. Bei 8 Mio. Einw. Ägyptens zur gleichen Zeit (ibid.: 35) wird der 5 %-Anteil des auf eine Einwohnerzahl von 400.000 geschätzten Alexandria erst in der jüngsten Gegenwart wieder erreicht. Bereits 500 Jahre früher dürfte die MQ von Babylon und Ekbatana, gemessen an der Gesamtbevölkerung des neubabylonischen bzw. medischen Reiches, bei eindeutig über 10 % gelegen und ähnliche Werte erreicht haben wie heute London und Paris, Bagdad oder Teheran.

Tab. 8: Die größten Städte im Altertum II


Tab. 9: Die größten Städte im Mittelalter


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