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EINS –PADERBORN–

Kapitel 1

Libori anno 1792 stand unter keinem guten Stern. Ein Gerüst verstellte den Blick auf den Paderborner Dom, weil sich die Renovierung des Ostchors verzögert hatte. Das Domareal glich einer Großbaustelle – von feierlicher Aufgeräumtheit keine Spur. Und das Wetter spielte auch nicht mit. Als die versammelten Würdenträger durch das Paradiesportal der Kathedrale ins Freie treten wollten, öffnete der Himmel seine Schleusen. Zuerst kleckste es nur ein wenig aus dem Düstergrau, bald aber prasselte es in einem fort. Hagelkörner hüpften auf dem Kopfstein. Dazu pfiff ein Wind, der wenigstens die Schwüle fortjagte, die seit Tagen auf der Stadt lastete.

Franz Egon v. Fürstenberg bedeutete seinem Gefolge zu warten. Er trat einige Schritte vor, nur um festzustellen, dass keine Besserung in Sicht war. Im Gegenteil: Im Westen rollte schon der Donner, und Blitze zuckten über das Firmament. Seine Miene blieb unbewegt. Dabei schwankte er zwischen Verdruss und Amüsiertheit, dass etwas so Profanes wie das Wetter das Protokoll durchkreuzte, das einschließlich des eben begangenen Pontifikalamts minutiös eingehalten wurde. Aber weder das eine noch das andere wollte er offenbaren, denn kaum jemand in seinem Umfeld teilte seinen Sinn für Humor. Sein Blick fiel auf die Petrusfigur zu seiner Rechten – ausgerechnet Petrus –, und ein Schwarm Lachfältchen zerknitterte das fünfundfünfzig Jahre alte Gesicht des Fürstbischofs. Er sah dem Apostel tief in die steinernen Augen. Wenn es stimmte, was der Volksglaube besagte, könnte er vielleicht ein Einsehen haben und den Wetterkapriolen Einhalt gebieten. Aber der Regen trommelte weiter auf Straßen, Dächer und Plätze der Paderstadt. Es wurde immer finsterer. Wie an einem Novembernachmittag, dabei war es Ende Juli und eigentlich die schönste Zeit des Jahres. Der Domplatz verwandelte sich in eine Seenlandschaft, und in den Pfützen schwamm Unrat – nicht gerade ein erhebender Anblick.

Das Murmeln in seinem Rücken drängte zu einer Entscheidung, aber Paderborns Landesherr konnte sich nicht aufraffen.

Und so standen sie da.

Und warteten.

Husten. Schniefen. Tuscheln. In der Vorhalle des Paradiesportals sprangen die Geräusche von Wand zu Wand.

Klangen nicht sogar die Kirchenglocken ein wenig lustlos? Ach, könnte er sich doch auf der Stelle in sein Wasserschloss in Neuhaus verfügen! Im selben Moment schalt sich der Fürstbischof für den Frevel und richtete wieder einen hoffenden Blick nach oben. Dort standen die Zeichen noch immer auf Regen und Sturm. Zwar verlor sich das knüppelharte Stakkato des Wolkenbruchs allmählich in etwas sanfterem Geplätscher, dieses aber würde so schnell nicht weichen. Ein ordentlicher Paderborner Landregen hatte bekanntlich die gleiche Sturheit, die man den Einwohnern des geistlichen Stifts nachsagte.

Was tun? Wo blieb die göttliche Eingebung?

Endlich gab sich Franz Egon einen Ruck. Der Schrein mit den Gebeinen des heiligen Liborius musste präsentiert werden. Das war wichtig für Paderborn und seine viereinhalbtausend Einwohner – was sonst hatte ihnen das westfälische Provinzmauerblümchen zu bieten? Ein Blick über die Schulter fing den spöttischen, die Grenze zur Respektlosigkeit streifenden Ausdruck von Domdechant Heinrich v. Canstein ein. Und da waren noch mehr hochmütige Gesichter. – Na wartet, ewige Nörgler, ihr werdet auch nass!

Noch ein korrigierender Griff an die Kopfbedeckung, eine juwelenbesetzte, mit Goldfäden bestickte Mitra aus dem 11. Jahrhundert, und es kam das Kommando: »Procedamus in Domino!«

Kaum hatte der Zug die Kathedrale verlassen, warf sich ihm der Westwind entgegen. Bö um Bö zerrte an den Gewändern der Abgeordneten von Kirche und Stadt, und das Tuch des über den Fürstbischof gehaltenen Baldachins flatterte wie ein schlecht getrimmtes Segel. Der Regent kniff die Augen zusammen. Flankiert von Hofknaben, Lakaien und seiner Leibgarde stapfte er voran, als führte er einen Kreuzzug gegen die aufmüpfigen Elemente, die dem Heiligen und ihm selbst den gebotenen Respekt versagten. Mit beiden Händen hielt er die mit bunten Glassteinen besetzte Monstranz, in der das Sanctissimum, die geweihte Hostie, zur Schau gestellt war. Viel zu schnell zerstieb hinter ihm der Weihrauch, den ein Kirchendiener in einer Schale trug. Und das Flabellum, ein liturgischer Fächer aus Pfauenfedern, drohte zu zerfleddern, bevor die Gaukirche erreicht war, die erste Station der Prozession.

Der Festzug betrat sie durch das barocke Westtor. Er defilierte durch das Mittelschiff des innen schlichten Gotteshauses und verließ dieses im Norden. Nach einem Rundgang über den Bogen, die Spirings- und Kampstraße nahm er Kurs auf das Rathaus.

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