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ОглавлениеKapitel 4
Conrad klopfte an die Tür der Schreibstube. Ein aggressives ›Was ist?‹ signalisierte, dass die Zeichen auf Sturm standen. Das war normal, denn Menne war immer schlecht gelaunt. Irgendwie verständlich, hatte er doch die wenig beneidenswerte Aufgabe, einen chronisch verschuldeten und defizitär wirtschaftenden Hof auf Vordermann zu bringen – was der Quadratur des Kreises gleichkam. Zudem war er von Natur aus ein Choleriker und hasste prinzipiell die ganze Welt.
Conrad Bargfeld wusste das. Auf das Unwetter vorbereitet, das über ihn hereinbrechen würde, stellte er schon einmal die Ohren auf Durchzug. »Bitte entschuldigt, dass ich Euch belästige, mein Herr«, begann er mit einem tiefen Diener. Das war übertrieben untertänig. ›Mein Herr‹ gebührte dem Freiherrn und nur ihm, aber Conrad dachte, dass es Menne gefiele und ihn milde stimmen könnte.
Weit gefehlt. »Wenn du keinen guten Grund hast, hier faul rumzustehen und mir auf die Nerven zu gehen, kannst du was erleben.«
Es war am besten, gleich mit der Sprache herauszurücken. »Johannes kann nicht arbeiten.«
»Wenn das ein Witz sein soll, mache ich dir Beine. Geh mir besser gleich aus den Augen!«
»Er ist krank.«
»Niemand ist krank während der Flachsernte.«
»Er sieht aus wie das Leiden Christi«, präzisierte Conrad. »Es steht schlecht um ihn, fürchte ich.«
Menne sah von seiner Kladde auf. Er legte die Schreibfeder zurück in den Halter, rückte seine Brille, ein randloses Drahtgestell, zurecht und starrte den Unruhestifter an, der es gewagt hatte, ihm mit einem solchen Mist unter die Augen zu treten. Sein Bulldoggengesicht lief puterrot an, weshalb man ihn hinter vorgehaltener Hand ›Klatschmohn‹ nannte. »Soso. Der Junior ist unpässlich? Interessant.« Eine Lawine Beschimpfungen und Flüche rollte über Conrad hinweg, versehen mit einem Hinweis auf die Pferdepeitsche, mit der er, Theodor Julius Menne, zu gerne allen Querulanten die Flötentöne beibringen würde.
Conrad ließ es über sich ergehen. Er wartete, bis Menne sein Pulver verschossen hatte. Bevor der Verwalter nachladen konnte, umriss er, was geschehen war.
Menne lächelte süffisant, was aber nur so viel hieß wie ›Geschieht dem Bengel ganz recht!‹ – der Mann lächelte nämlich sonst nicht. »Ich bin es gewohnt, von Taugenichtsen und Faulpelzen umgeben zu sein, aber ihr Scheißbargfelds seid die Schlimmsten.«
Eine Kakerlake krabbelte über den tönernen Boden – der Raum diente einst als Spinnstube. Dankbar für die Ablenkung sah Conrad ihr nach.
»Wenn euer Bastard meint, faul im Bett liegen zu müssen, arbeitet ihr eben für ihn mit.«
Das schwarzbläulich schimmernde Insekt hielt auf eine schlecht verfugte Ecke zu.
»Die im Dorf sind zwar Idioten, aber in einem Punkt liegen sie ausnahmsweise richtig. Alle hassen euch.«
Es verschwand in einem Spalt.
Menne war noch nicht fertig. »Jeder, hörst du? Sieh dir euren Bengel an. Mit dem stimmt was nicht. Hatte er jemals einen Freund?«
Conrad zog es weiter vor zu schweigen. Was er auch sagte, es würde weitere Attacken nach sich ziehen.
Menne ließ nicht locker. »Nun?«
Schweigen war also keine Option. »Ich weiß nicht.«
»Hatte er nicht.«
»Wenn Ihr es sagt.«
»Ich sage, der Bengel ist nicht normal. Welches Kind hat keine Freunde?«
Eines, das seiner Eltern wegen ausgestoßen wird, dachte Conrad bitter. Weil die nicht fromm sind. Das das Wolfsrudel als Opfer auserkoren hat und mit Füßen tritt. Weil es immer ein Opfer geben muss, immer einen zum Treten. »Wenn Ihr gestattet, gehe ich wieder an die Arbeit«, sagte er in der Hoffnung, einigermaßen unbeschadet den Rückzug antreten zu können.
So billig soll er nicht davonkommen, dachte Menne. Sollen sie, die ganze Scheißbargfeldsippe, nicht davonkommen. Aber was konnte er ihnen noch aufbürden? Mehr als beinahe rund um die Uhr arbeiten ging nicht.
Es klopfte an der Tür. »Was ist?«
Heiner, der Pferdeknecht, betrat die Stube. »Der Freiherr möchte Euch sprechen, Herr Aufseher.«
»Ich bin beschäftigt. Und schlage gefälligst die Stiefel ab, bevor du reinkommst. Sieh dir die verdammte Scheiße an!«, bellte Menne.
»Oh, Verzeihung!«, sagte Heiner angesichts der Pferdeäpfel, die er im Raum verteilt hatte. Bevor es wieder einen Anschiss hagelte, lüftete er seinen Hut und verbeugte sich.
Menne verzog das Gesicht, als bereitete ihm der Anblick der wirren Haarpracht des Knechts körperliches Unbehagen. »Was will v. Weystedt?«, fragte er, bevor sich Heiner entfernen konnte.
»Es geht wohl um den Wilderer.«
Conrad, der auf Entlassung wartete, wurde hellhörig.
Nicht schon wieder, dachte Menne. Das war das Problem des Oberforstmeisters, doch nicht seins. »Und was haben wir damit zu tun?«
»Der Freiherr meint, wir müssten irgendwie helfen, ihn zu schnappen.«
Menne stöhnte auf. Das würde doch auch wieder an ihm hängen bleiben. »Hat der Freiherr möglicherweise auch verlauten lassen, was ihm konkret vorschwebt?«
»Ich glaube nicht«, sagte Heiner. »Vielleicht meint er, Ihr solltet das entscheiden.«
Garantiert meint er das, dachte Menne.
Conrad hatte genug gehört. »Ich gehe dann wieder an die Arbeit.«
»Verpiss dich endlich«, herrschte ihn Menne an. »Das hier geht dich überhaupt nichts an.«
Und ob mich das was angeht, dachte Conrad grimmig.
Er hatte Angst. Um Johannes.
Denn da war der Tag im Juni. Vor zwei Jahren.