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2. Die Anfänge von Adenauers Kanzlerdemokratie a) Adenauers Weg an die Macht
Оглавление„Im Anfang war Adenauer.“ Mit diesem Satz begann der Historiker Arnulf Baring seine 1969 erschienene Studie über die Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. Baring und andere, die die Rolle des ersten Bundeskanzlers und die Radikalität des politischen Neuanfangs in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg betonten, sind später kritisiert worden, ihre Interpretation sei allzu sehr auf die Person Konrad Adenauers fixiert und vernachlässige wichtige Kontinuitätslinien, welche die Bundesrepublik mit der deutschen Geschichte vor 1945 verbänden. Man verwies auf den Faktor der „Volkskontinuität“ (Lutz Niethammer) und den Umstand, dass nach 1945 das Leben der Deutschen nicht bei null begann, sondern dass zahlreiche Einstellungen, Vorurteile und Werthaltungen den Zusammenbruch überlebt hätten. Diese Einwände sind bedenkenswert, zumal wenn man wirtschafts-, sozial- und kulturhistorische, alltags- und mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen in den Blick nimmt. Betrachtet man jedoch den engeren Bereich der Politik, so kommt man bis heute nicht an Barings Befund vorbei.
Konrad Adenauer (1876–1967) war 72 Jahre alt, als er 1948 zum Präsidenten des Parlamentarischen Rats gewählt wurde – schwerlich eine gute Ausgangsposition für eine große politische Karriere im neuen Staat. Adenauer, der 13 Jahre älter war als Adolf Hitler (1889–1945) und 19 Jahre älter als der SPD-Vorsitzende Schumacher, galt vielen als Mann von gestern, ja von vorgestern. Er verkörpere nicht das zukünftige, immer noch rätselhafte Deutschland der Nach-Hitler-Generation, schrieb im August 1949 der Publizist Sebastian Haffner (1907–99) im britischen Observer, sondern das alte Deutschland der Vor-Hitler-Zeit, dessen überlebende Tugenden und auch dessen Beschränkungen. Haffner hielt den Rheinländer für den besten „Taktiker auf der politischen Bühne Deutschlands. Er besitzt zwei bei deutschen Politikern seltene Vorzüge: Er ist offen für Kompromisse und er hat Humor. Er weiß, wie man aus festgefahrenen Situationen herauskommt und peinlichen Prinzipienfragen aus dem Weg geht.“ Adenauer hatte seine politische und weltanschauliche Prägung im Kaiserreich erfahren, als er aus kleinen Verhältnissen durch harte Arbeit und eine reiche Heirat ins rheinische Großbürgertum aufgestiegen war und es 1917 zum Kölner Oberbürgermeister gebracht hatte. Er war gläubiger Katholik, ohne ein Klerikaler zu sein. Das katholische Milieu und der Kölner Klüngel wirkten nachhaltiger auf seine Weltsicht als päpstliche Enzykliken oder der Gehorsam gegenüber der Amtskirche. In der Weimarer Republik erwies er sich als energischer und ideenreicher Stadtvater, der 1926 von seiner Partei, dem Zentrum, einmal gar als möglicher Reichskanzler ins Gespräch gebracht wurde. Gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor er sein Amt als Bürgermeister und musste kurzfristig fürchten, dass man ihm den Prozess machte. Später lebte er bis Kriegsende zurückgezogen in seinem Haus in Rhöndorf in der inneren Emigration, ohne sich mit dem NS-Regime einzulassen, aber auch ohne Kontakte zu Widerstandskreisen. 1945 setzten ihn die Amerikaner wieder als Kölner Oberbürgermeister ein. Die Briten enthoben ihn jedoch wenig später unter etwas verworrenen, für Adenauer demütigenden Umständen wieder seines Amtes. Das gab Adenauer den Freiraum, sich in den folgenden Monaten und Jahren dem Aufbau der CDU in der britischen Besatzungszone zu widmen und seine politische Karriere vorzubereiten, die über alles Erwarten hinaus erfolgreich werden sollte: von 1950 bis 1966 war er Vorsitzender der CDU, von 1949 bis 1963 amtierte er als Bundeskanzler.
Noch ehe es das Grundgesetz oder eine Bundesregierung gab, hatte sich Adenauer bereits in eine Schlüsselposition in der deutschen Politik manövriert. Als Präsident des Parlamentarischen Rates übte er nicht bloß, wie die meisten vermuteten, ein machtloses Ehrenamt aus. Er repräsentierte vielmehr den entstehenden westdeutschen Staat nach außen. Auf die eigentliche Verfassungsarbeit, die in den Ausschüssen geleistet und von dem SPD-Politiker Carlo Schmid dominiert wurde, nahm Adenauer kaum Einfluss. Doch nutzte er sein Amt, um Kontakte mit den führenden Militärs und Zivilisten der Siegermächte anzuknüpfen. Als einziger Deutscher konnte er von sich behaupten, für die Gesamtheit seiner Landsleute in den Westzonen zu sprechen, während etwa die Ministerpräsidenten jeweils nur die Bevölkerung eines Landes repräsentierten und meist lediglich Kontakte zu den Befehlshabern ihrer eigenen Besatzungszone pflegten. Adenauers herausgehobene Stellung gegenüber den Alliierten wirkte auch auf seine innenpolitische Position zurück. Er wurde zur Anlaufstelle für viele, die hofften, im kommenden, von den Besatzungsmächten maßgeblich geprägten Staat Einfluss auszuüben.
Zum Zeitpunkt der ersten Wahlen auf Bundesebene am 14. August 1949 war Adenauer zu einem der einflussreichsten deutschen Politiker avanciert. Er hatte im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt und war Parteivorsitzender in der britischen Zone, wo er über eine starke Hausmacht verfügte. Er war jedoch nicht der einzige, ja nicht einmal der nächstliegende Kandidat seiner Partei für das Amt des Kanzlers. Viele vermuteten, er strebe eher das repräsentative Amt des Bundespräsidenten an, das besser zu seinem Alter und seiner Position im Parlamentarischen Rat zu passen schien. CDU-Politiker wie Karl Arnold (1901–58), der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Erich Köhler (1892–1958), der Präsident des Frankfurter Wirtschaftsrats, oder Friedrich Holzapfel (1900–69), Fraktionschef der CDU/CSU im Wirtschaftsrat, konnten sich ebenfalls Hoffnungen auf das Kanzleramt machen.
Zusätzlich kompliziert wurde die Lage dadurch, dass das Wahlergebnis selbst keine endgültige Entscheidung über die Ausrichtung der Regierung vorgab. Zwar hatte die CDU/CSU mit 31 % der Stimmen und 139 Mandaten ein etwas besseres Ergebnis erzielt als die SPD, die 29,2 % und 131 Sitze erreichte. Daneben jedoch gab es eine ganze Anzahl kleinerer Parteien, die für die Mehrheitsbeschaffung wichtig waren: die FDP kam auf 52, die DP auf 17, die Kommunisten auf 15, die Bayernpartei auf 17, das Zentrum auf zehn und die nationalsozialistische DRP auf fünf Mandate. Selbst die auf Bayern beschränkte Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung, die bei den nächsten Wahlen 1953 nicht mehr antrat, stellte zwölf Abgeordnete. Diese Verteilung ließ mehrere Koalitionsmöglichkeiten zu. Die beiden wahrscheinlichsten Varianten waren eine Große Koalition aus Union und Sozialdemokraten oder eine bürgerliche Regierung, die CDU, CSU und Liberale umfasste. Für beide Möglichkeiten gab es in der Union, der als Wahlsiegerin die Regierungsbildung oblag, Fürsprecher. Viele CDU-Ministerpräsidenten, unter ihnen Arnold, machten sich für eine Koalition mit den Sozialdemokraten stark, wie sie auf Länderebene schon mehrfach zustande gekommen war. Ihr Vorbild war die Weimarer Koalition von 1919. Politiker wie Köhler und Holzapfel plädierten für ein Bündnis von Union und Liberalen, wie sie es im Frankfurter Wirtschaftsrat bereits praktizierten.
In dieser Situation ergriff Adenauer die Initiative. Er machte sich den Umstand zunutze, dass die CDU im August 1949 noch keine normale Partei mit innerem Zusammenhalt, einer die drei Westzonen umfassenden Parteiorganisation und einem dominierenden Parteiführer war. Eingespielte Prozesse innerparteilicher Meinungsbildung auf der Führungsebene gab es ebenso wenig wie routinemäßige Verständigung über Sach- und Personalfragen. Die CDU-Bundestagsfraktion, der satzungsgemäß die Entscheidung über die Koalitionsbildung und den Kanzlerkandidaten oblag, konstituierte sich erst am 1. September. Eine derartige Situation bot ideale Voraussetzungen für Ränke und taktische Winkelzüge, auf die sich Adenauer wie kein Zweiter verstand. Er verfolgte zwei Ziele: Zum einen wollte er seine Partei auf einen anti-sozialdemokratischen Kurs und ein Bündnis mit der FDP festlegen; zum anderen strebte er nach dem Amt des Bundeskanzlers. Um dies zu erreichen, traf er eine Woche nach der Wahl zunächst mit dem bayrischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Hans Ehard (1887–1980) in Frankfurt zusammen. Es gelang ihm, den Bayern davon zu überzeugen, dass die CSU unmöglich einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen könne, da sie gegen das Grundgesetz votiert hatte. Ehard stimmte stattdessen der Bildung einer bürgerlichen Koalition unter Adenauer zu. Auch in weiteren Personalfragen war man sich einig. Der Liberale Theodor Heuss sollte Bundespräsident werden, um das Bündnis mit der FDP abzustützen, Erich Köhler war als Bundestagspräsident vorgesehen, während Ehard für sich und die CSU das Amt des Bundesratspräsidenten erhalten sollte.
Durch diese Absprache sprengte Adenauer ein mögliches Bündnis der CDU/CSU-Ministerpräsidenten für eine große Koalition mit der SPD und sicherte sich Rückendeckung für seinen zweiten Schachzug, zu dem er am folgenden Tag ansetzte. Er bat eine Reihe von Gästen in sein Privathaus nach Rhöndorf, um informell über die Verhandlungsstrategie der Union zu beraten. Unter den Eingeladenen, die Adenauer auf eigene Kosten bewirtete, befanden sich die Vorsitzenden einiger Landesverbände der Union, Landesminister, Abgeordnete des Frankfurter Wirtschaftsrats sowie einige Freunde und Verbündete des Gastgebers. Aufschlussreich ist, dass Adenauers wichtigste potentielle Konkurrenten um das Kanzleramt nicht anwesend waren. Arnold war nicht eingeladen worden, Köhler fehlte ebenso wie Holzapfel, der Urlaub in der Schweiz machte. Adenauer nutzte seine Rolle als Gastgeber, um gleich zu Beginn seine Interpretation des Wahlergebnisses darzulegen: Der Wähler habe sich gegen die Sozialdemokratie und für die Fortsetzung der bürgerlichen Koalition des Wirtschaftsrates entschieden. Zunächst regte sich heftiger Widerspruch gegen diese Deutung, doch setzte sich Adenauers Konzeption im Laufe des Tages durch, so dass er später seinen Gästen erklären konnte, man habe ihn „dazu vermocht, [sich] für die Stellung des Bundeskanzlers zur Verfügung zu stellen“. Da keiner der Anwesenden widersprach, fiel an diesem Tage eine Vorentscheidung für die Besetzung des Kanzleramtes. Zwar blieb der förmliche Entschluss der Bundestagsfraktion der Union vorbehalten, aber seit der Zusammenkunft in Rhöndorf hielt Adenauer alle Fäden in der Hand. Wie selbstverständlich wurde er zum Fraktionsvorsitzenden gewählt, leitete die Sitzungen, dominierte die Fraktionsverhandlungen und wurde schließlich offiziell zum Kanzlerkandidaten seiner Partei gekürt.
CDU/CSU Zur dominierenden politischen Kraft während der Adenauer-Ära wurde die Christlich-Demokratische Union (CDU). Sie war als Neugründung nach 1945 an mehreren Orten beinahe gleichzeitig entstanden. Den Gründungsvätern ging es darum, eine überkonfessionelle christliche Partei zu schaffen und auf diese Weise die Schwäche des katholisch ausgerichteten Zentrums in der Weimarer Republik zu überwinden. Bereits die Bezeichnung „Union“ deutete auf den Charakter der CDU als „Sammlungspartei“ (Frank Bösch) hin. Im Dezember 1945 fand in Bad Godesberg ein erstes „Reichstreffen“ statt, auf dem sich die verschiedenen Landesorganisationen auf den gemeinsamen Parteinamen einigten. Eine einheitliche Parteiorganisation im Gebiet der drei Westzonen gab es noch nicht. Anfang 1946 vereinigte sich die CDU in der britischen Zone. Da in der amerikanischen und französischen Zone ein Zusammenschluss zunächst verboten blieb, entschloss man sich Anfang 1947, wenigstens eine „Arbeitsgemeinschaft“ zu bilden und so eine gewisse organisatorische Verbindung zu erreichen. Erst im Oktober 1950 schlossen sich die einzelnen Landesverbände auf dem 1. Bundesparteitag in Goslar zu einer Bundespartei zusammen. Eine ähnliche, aber gesonderte Entwicklung gab es in Bayern, wo 1945 unter dem Einfluss von Adam Stegerwald (1874–1945), dem ehemaligen Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften, und Josef Müller (1898–1979), dem späteren ersten Parteivorsitzenden, die Christlich-Soziale Union (CSU) gegründet wurde. Sie beschränkte ihren Wirkungsbereich auf Bayern, wo die CDU nicht antrat. Auch die Gründer der CSU wollten vermeiden, dass sich eine Entwicklung wie nach dem Ersten Weltkrieg wiederholte, als die Bayrische Volkspartei fast ausschließlich auf den katholischen Bevölkerungsteil orientiert gewesen war. Obwohl die CSU eine stärkere Betonung föderalistischer Elemente wünschte als die CDU, bildeten beide Parteien im Deutschen Bundestag eine gemeinsame Fraktion.