Читать книгу Die Ära Adenauer - Dominik Geppert - Страница 9
1. Deutschland und der Kalte Krieg a) Von der Potsdamer Konferenz zur Bizone
ОглавлениеDie Bundesrepublik war ein Kind des Kalten Krieges. Ihm verdankte sie ihre Entstehung 1949, als der Ost-West-Konflikt seinem ersten Höhepunkt zustrebte. Auch zu der folgenden raschen Konsolidierung des Weststaates und zu seiner – in der jüngeren deutschen Geschichte außergewöhnlich langen – Stabilitätsphase hat der Systemgegensatz maßgeblich beigetragen. Erstaunliches wirtschaftliches Wachstum, die Etablierung einer parlamentarischen Demokratie, die Anfänge einer zivilen Kultur und der Ausgleich mit den westeuropäischen Nachbarn prägten in den fünfziger und frühen sechziger Jahren die westdeutsche Geschichte. Sie wären unter anderen weltpolitischen Bedingungen, wenn überhaupt, dann nur unter größeren Mühen und Unwägbarkeiten möglich gewesen. Die Konfrontation der beiden Supermächte USA und UdSSR war aber auch für die Grenzen der Bonner Republik verantwortlich – im geographischen wie im übertragenen Sinne. Wo die Bundesrepublik endete, war keine Entscheidung der Deutschen, sondern ein Ergebnis des amerikanisch-sowjetischen Gegensatzes. Was in Westdeutschland in der Ära Adenauer politisch machbar und gesellschaftlich akzeptabel war, was öffentlich gesagt werden konnte und was mit Denkverboten belegt war, hing ebenso sehr von der weltpolitischen Konstellation ab wie von überkommenen deutschen Traditionen und Mentalitäten. Wer die Geschichte der Bundesrepublik verstehen will, muss daher zunächst einen Blick auf die Entwicklung des amerikanisch-sowjetischen Gegensatzes werfen.
Dessen Wurzeln reichten bis zur russischen Oktoberrevolution zurück. Erst nach dem gemeinsamen Sieg über Nazi-Deutschland jedoch spitzte sich der Antagonismus derart zu, dass er alle anderen politischen Erwägungen überlagerte. In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre wurde immer deutlicher, dass die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion unvereinbare Schlussfolgerungen aus der neuen Lage in Europa zogen. Die Amerikaner hatten im Verlauf des Zweiten Weltkriegs ihre traditionelle außenpolitische Strategie aufgegeben, sich nicht in europäische Angelegenheiten einzumischen. An die Stelle des Isolationismus trat die Überzeugung, jede Macht, die ganz Europa dominiere, bedrohe auch die USA tödlich. 1941 führte diese Überlegung zu einem informellen, später zu einem förmlichen Bündnis mit Großbritannien und Russland gegen das nationalsozialistische Deutschland. Nach dem Sieg über Hitler zog die US-Führung aus den gleichen Prinzipien andere Konsequenzen. Nun sah sie in der Eindämmung des ehemaligen sowjetischen Verbündeten zunehmend das wichtigste Ziel amerikanischer Politik. Die Bedrohung, die man in den USA wahrnahm, ging freilich nicht allein von der Sowjetunion aus, sondern ebenso sehr von den Folgen des Krieges in Europa. Die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen, die Zersplitterung von Familien und andere soziale Auflösungserscheinungen bereiteten nach amerikanischer Ansicht den Boden für eine Ausbreitung des Sozialismus nicht nur in Ost-, sondern auch in Mittel- und Westeuropa. Dem galt es durch die Errichtung stabiler politischer und ökonomischer Verhältnisse entgegenzuwirken.
Die bolschewistische Führung unter Stalin leitete aus dem Sieg über Deutschland andere Schlussfolgerungen ab. In ihrer Sicht hatte die UdSSR den größten Beitrag zum Sieg über den Nationalsozialismus geleistet. Sie hatte allein in der Schlacht um Stalingrad so viele Soldaten verloren, wie die USA im gesamten Kriegsverlauf. Insgesamt waren etwa 27 Mio. sowjetische Soldaten und Zivilisten im Krieg ums Leben gekommen. Das verlangte nach Schutzmaßnahmen für die Zukunft und nach Zeit zum Wiederaufbau. Hinzu kam, dass den westlich-kapitalistischen Verbündeten in Stalins ideologischer Weltsicht langfristig nicht zu trauen war. Der Gegensatz zwischen Kommunismus und Kapitalismus bestimmte seiner Meinung nach weiterhin die Außenpolitik der Staaten. Dies legte den Gedanken nahe, nicht nur die Gebietsverluste, die Russland im Ersten Weltkrieg vom Baltikum bis Bessarabien erlitten hatte, rückgängig zu machen, sondern auch eine eigene Einflusszone in Ost- und Ostmitteleuropa zu schaffen und sie mit Hilfe pro-sowjetischer Regime abzusichern. Eine sowjetisch dominierte Zone im europäischen Osten würde nicht nur Sicherheit vor Deutschland gewähren, sondern langfristig, nach dem erwarteten Abzug der USA, auch Einflussmöglichkeiten in Mittel- und Westeuropa eröffnen.
Die Spannungen zwischen den Siegermächten hatten Auswirkungen auf ihre Deutschlandpolitik. Zunächst überwog die Auffassung, das besiegte Deutschland aufzuteilen, unter strikte Kontrolle zu stellen und als machtstaatliches Zentrum auszuschalten. Auf der Konferenz von Teheran 1943 sprachen sich sowohl Stalin als auch US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945) und der britische Premierminister Winston Churchill (1874–1965) für eine Zerstückelung des Landes aus. Frankreich unter Charles de Gaulle (1890–1970), das zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Kreis der Siegermächte angehörte, machte sich für eine Abtrennung der Rheinlande und des Ruhrgebiets sowie für eine Dezentralisierung Restdeutschlands stark.
Nicht zuletzt aufgrund des zunehmenden Misstrauens unter den Alliierten wurden diese Pläne in den Folgejahren revidiert. V.a. Churchill und die britische Regierung begannen schon 1944 von den Aufteilungsplänen Abstand zu nehmen, weil sie zu der Einsicht gelangt waren, dass ein einheitliches Deutschland vonnöten sei, um das zu erwartende Übergewicht der Sowjetunion auf dem Kontinent auszubalancieren. Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 hintertrieb Großbritannien die von Stalin vorgeschlagene Diskussion über eine Zerstückelung des Kriegsgegners. Der sowjetische Diktator selbst schwenkte wenig später ebenfalls auf eine gesamtdeutsche Lösung um. Auf diese Weise wollte er vermeiden, dass die Westmächte einen dominierenden Einfluss in der Mitte Europas gewännen. Zugleich galt es aus seiner Sicht, den Zugriff auf das Ruhrgebiet und dessen Industrie zu sichern, was für die Lösung der enormen sowjetischen Wiederaufbauprobleme wichtig war.
Stalin (1878–1953), eigentlich Iossif Wissarionowitsch Dschugaschwili, stammte aus Georgien und gehörte seit 1917 dem Politbüro der russischen Bolschewiki an. Nach Lenins Tod gelang es ihm, seine Konkurrenten einen nach dem anderen auszuschalten und unumschränkte Macht als Diktator zu gewinnen. Er sicherte seine Position durch rücksichtslose Vernichtung tatsächlicher und vermeintlicher Gegner in allen Bereichen der Gesellschaft. Diese fand ihren Höhepunkt im Ausbau eines verzweigten Netzes von Straf- und Arbeitslagern und in den „Säuberungen“ der dreißiger Jahre, in deren Verlauf Millionen Menschen ermordet wurden. Stalins erbarmungsloser Industrialisierungspolitik fielen ebenfalls Millionen Sowjetbürger zum Opfer. In der Außenpolitik schloss er im Sommer 1939 einen Nichtangriffspakt mit Hitler ab, der auf der Aufteilung Polens beruhte und den deutschen Angriff im September 1939 erleichterte. Nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR 1941 ging er ein Bündnis mit Großbritannien ein und kämpfte im Verein mit den Westmächten gegen Deutschland. Der Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ ermöglichte Stalin den weiteren Ausbau des Kults um seine Person. In den Jahren 1945 bis 1953 befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Macht.
Im Sommer 1945 vereinbarte man auf der Konferenz von Potsdam eine Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen und einigte sich mühsam auf Grundregeln einer gemeinsamen Besatzungspolitik. Die Ansichten über die Konkretisierung dieser Bestimmungen sowie die generelle Ausrichtung der Politik im besetzten Deutschland liefen jedoch in der Folgezeit immer weiter auseinander. Anfangs schien Frankreich, das an der Konferenz nicht teilgenommen, den Potsdamer Beschlüssen aber im Nachhinein zugestimmt hatte, der größte Störfaktor zu sein. Es hielt an der Idee einer Aufteilung Deutschlands fest, beharrte auf Grenzkorrekturen im Westen, die Abtrennung des Rheinlands, Westfalens sowie des Ruhrgebietes und arbeitete auf eine Angliederung des Saargebiets an Frankreich hin. Die französischen Vertreter widersetzten sich zunächst konsequent der Errichtung zentraler deutscher Verwaltungsstellen.
Der eigentliche Bruch verlief jedoch zwischen den drei Westmächten und der Sowjetunion. Diese nutzte den Hinweis auf die französische Obstruktionspolitik, um in ihrer eigenen Zone Veränderungen durchzusetzen, auf die man deutsche Exil-Kommunisten in Moskau vorbereitet hatte. Im September 1945 führte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) mit Hilfe der deutschen Kommunistischen Partei (KPD) eine Bodenreform durch, die allen Großgrundbesitz über hundert Hektar entschädigungslos enteignete. Es folgten der Aufbau einer bewaffneten „Volkspolizei“, die Verstaatlichung der Schwer- und Schlüsselindustrien, eine Schulreform zur „Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs“ sowie schließlich im April 1946 die Zwangsfusionierung der KPD mit der sozialdemokratischen Partei (SPD) zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Obwohl ein Mehrparteiensystem, das demjenigen in den Westzonen ähnelte, offiziell erhalten blieb, erfolgte unter dem Deckmantel der antifaschistischen Einheitsfront eine allmähliche Gleichschaltung der Parteien und die Etablierung einer Parteidiktatur der SED.
Diese Entwicklung erschien den USA und Großbritannien umso bedrohlicher, als sie zum Verhalten der Sowjetunion in Ost- und Südosteuropa zu passen schien. Besonders wichtig für die beginnende strategische Umorientierung der Vereinigten Staaten wurde das Lange Telegramm, das der Botschaftsrat an der US-Botschaft in Moskau, George F. Kennan (geb. 1904), im Februar 1946 an das amerikanische Außenministerium schickte.
Langes Telegramm In seinem Langen Telegramm beschrieb Kennan, der sich seit Anfang 1945 für ein Ende der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ausgesprochen hatte, die UdSSR als eine von ihrer polizeistaatlichen Struktur und ihrer asiatischen Tradition her notwendigerweise misstrauische und aggressive Macht. Sie sei darauf aus, „die innere Harmonie unserer Gesellschaft, unsere traditionellen Lebensgewohnheiten und das internationale Ansehen unseres Staates zu zerstören“. Moskau bediene sich dabei sowohl militärisch-politischen Drucks als auch der subversiven Agitation kommunistischer Parteien oder – wenn die Aussichten auf Erfolg groß genug erschienen – offener militärischer Intervention. Kennans Schlussfolgerung lautete, dass Kompromissbereitschaft von der Sowjetführung als Einladung zur weiteren Ausdehnung ihrer Macht verstanden werde. Nur eine Politik der Stärke würde respektiert. Die westliche Welt müsse deswegen unter amerikanischer Führung stabilisiert werden. Zwei Wochen später dehnte der Diplomat seine Analyse in einem zweiten Telegramm auf die sowjetische Deutschlandpolitik aus. Als deren Ziel glaubte er den Aufbau einer „antifaschistischen deutschen Republik“ und langfristig eines sozialistischen deutschen Staates nach sowjetischem Vorbild zu erkennen.
Kennans Ausführungen legten den Grundstein zur amerikanischen Politik der Eindämmung der UdSSR, die unter der Bezeichnung containment policy bekannt wurde. Auch in Großbritannien bereitete man sich inzwischen auf die Möglichkeit einer Teilung Deutschlands in eine sowjetisch dominierte und eine westliche Zone vor. Lediglich US-Außenminister James F. Byrnes (1897–1972) hielt zunächst an der Idee einer gemeinsamen Besatzungspolitik fest und bemühte sich, Kompromisslösungen mit der UdSSR zu erreichen. Erst nach dem Scheitern dieser Pläne auf der Pariser Außenministerkonferenz im Frühjahr 1946 schwenkte auch er auf die neue Linie ein. Bestärkt wurde dieser Entschluss durch eine Denkschrift, die der stellvertretende US-Militärgouverneur in Deutschland, Lucius D. Clay (1897–1978), in Paris vorgelegte. Darin hieß es, nach einjähriger Besatzung seien die verschiedenen Zonen „zu luftdichten Territorien geworden, nahezu ohne jeden Austausch von Waren, Personen und Ideen“. Es könne jeden Moment „zu einer galoppierenden Inflation mit einer Lähmung des Wirtschaftslebens kommen“. Als Ausweg schlug Clay die wirtschaftliche Vereinigung der amerikanischen mit der britischen Zone vor.
Der US-Vorschlag zur wirtschaftlichen Vereinigung der Besatzungszonen, den Byrnes noch vor Ende der Konferenz unterbreitete, richtete sich formal gesehen an alle Besatzungsmächte – in der Praxis kam jedoch nur eine Fusion mit der britischen, später womöglich auch mit der französischen Zone in Betracht. Ende Juli nahm die britische Regierung das amerikanische Angebot an. Zum 1. Januar 1947 trat die Bizone, die Keimzelle der späteren Bundesrepublik, ins Leben. In einer programmatischen Rede in Stuttgart im September 1946 legte der US-Außenminister dar, welche Implikationen die Gründung der Bizone mit sich brachte: die baldige Bildung einer „vorläufigen deutschen Regierung“ und den Aufbau der „notwendigen deutschen Zentralverwaltungskörper“. Das amerikanische Volk wolle dem deutschen Volk die Regierung seines Landes zurückgeben, schloss Byrnes: „Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen, seinen Weg zurückzufinden zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt.“