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b) Währungsreform und Marshallplan

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Einig waren sich die Westalliierten mit Erhard in einem anderen Punkt. Auch sie hielten eine rasche Reform der Währung für notwendig, um die Inflation zu stoppen und die deutsche Wirtschaft auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Das NS-Regime hatte Aufrüstung und Krieg mit Hilfe der Notenpresse finanziert, und nach Kriegsende ließen sich die Folgen der Geldvermehrung nicht mehr verbergen. Deutschland wurde zu einem Land mit vielen Währungen: Löhne und Steuern zahlte man weiter in Reichsmark, zwischen deutschen und alliierten Instanzen gab es das „Besatzungsgeld“, im übrigen herrschte Natural- und Tauschwirtschaft. Für Reichsmark bekam man so gut wie nichts, für amerikanische Zigaretten fast alles. „Mit einer Packung Chesterfield machst du meine Schwester wild“, lautete ein geflügeltes Wort. Das Chaos störte die Besatzer wenig, solange sie an einer wirtschaftlichen Gesundung Deutschlands nicht interessiert waren. Die Lage änderte sich jedoch, als nach dem Debakel der Moskauer Außenministerkonferenz im März und April 1947 der Bruch der Siegerkoalition offen zutage trat und die Bedeutung der Westzonen als Verbündete wuchs. In amerikanischen Besatzungsdirektiven war jetzt weniger von Strafe und mehr vom deutschen Beitrag zum Wohlstand Europas zu lesen.

Im Oktober 1947 ließ die US-Regierung in Washington und New York heimlich Deutsche Mark produzieren und nach Frankfurt schaffen. Dort lagerte man das Geld im Keller der Reichsbankhauptstelle, bis es Anfang Juni unter militärischer Bewachung auf Lastwagen zu 200 Zweigstellen der westdeutschen Landesbanken transportiert wurde. Obwohl die Vorbereitungen streng geheim abliefen, sickerten Gerüchte über eine Währungsreform durch. Die Industrie produzierte auf Halde. Händler horteten ihre Waren, um sie später für hartes Geld verkaufen zu können. Gleichzeitig versuchte jeder, der Reichsmark besaß, sie loszuwerden. In den Apotheken verlangten Kunden für Hunderte von Mark Kopfwehpulver, Badesalz oder Rattengift. Am 20. Juni 1948 war es so weit. Die Reichsmark wurde ungültig. Jeder konnte 40 DM im Verhältnis 1:1 umtauschen. Im August gab es noch einmal 20 DM. Erhard wirkte bei der Aktion nur am Rande mit. Zwar hatte er vor seiner Berufung zum Wirtschaftsdirektor seit Herbst 1947 die „Sonderstelle Geld und Kredit“ beim Wirtschaftsrat geleitet, die helfen sollte, die Währungsreform vorzubereiten. Seine Kompetenzen auf diesem Posten waren jedoch begrenzt. Die Alliierten wollten die Fäden in der Hand behalten und erwarteten von den Deutschen lediglich Zuträgerdienste. Nicht einmal den Termin für den Tag X wollte man preisgeben.

Auf dem Feld der Preispolitik verfügte der Wirtschaftsdirektor über größeren Spielraum. Er erarbeitete in aller Stille mit einem kleinen Kreis von Vertrauten ein Gesetz über die „Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“. Diese Bestimmung gestattete es ihm, Produkte und Dienstleistungen von den bislang herrschenden Preisvorschriften freizustellen. Nachdem der Termin der Währungsreform durchgesickert war, paukte Erhard alle drei parlamentarischen Lesungen seines Gesetzes am 17. und 18. Juni innerhalb von 18 Stunden durch den Wirtschaftsrat. Nach einer spannungsgeladenen Nachtsitzung wurde das Gesetz in namentlicher Abstimmung mit den 50 Stimmen von Union, FDP und DP gegen die Voten von SPD und KPD verabschiedet. Außer dem Wirtschaftsdirektor hatte diesem Gesetz zufolge nur dessen für die Landwirtschaft zuständiger Kollegen Hans Schlange-Schöningen (1886–1960) bei der Preispolitik ein Wort mitzureden. Da Schlange-Schöningen aber ein Gegner der Liberalisierungspolitik war und von den Möglichkeiten, die das Gesetz ihm bot, keinen Gebrauch machte, oblag es in der Praxis allein Erhard, die Umstellung von der Plan- auf eine weitgehend freie Marktwirtschaft vorzunehmen. Noch am Tag der Währungsreform verkündete er im Rundfunk, die Bewirtschaftung von 400 Produkten und die Preisbindung für 90 % aller Waren werde aufgehoben. Der einzige Bezugsschein, so Erhard, sei jetzt die Deutsche Mark.

Allerdings war die Maßnahme von den Besatzungsmächten noch gar nicht genehmigt worden. Entsprechend verärgert reagierten sie. Erhard wurde zu Clay zitiert, der ihm vorwarf, er habe alliierte Vorschriften eigenmächtig abgeändert. Der Wirtschaftsdirektor antwortete: „Ich habe sie nicht abgeändert, ich habe sie aufgehoben.“ Auf Clays Hinweis, alle seine Ratgeber hätten Erhards radikale Vorgehensweise kritisiert, entgegnete der Franke entwaffnend offenherzig: „Sie stehen nicht allein da. Meine Berater sind auch dagegen.“ Zunächst schien es, als behielten die Kritiker Recht. In den Monaten und Jahren nach der Währungsreform herrschte weiterhin bittere Not. Die Misere verschärfte sich zum Teil sogar noch. Die Lebenshaltungskosten stiegen bis Ende 1948 um 18 %, die Löhne dagegen nur um 4,5 %. Nahrungsmittel wurden um ein Fünftel teurer. Für Eier musste man das Fünffache zahlen, Schuhe kosteten einen Wochenlohn. Dies traf die breite Masse der Bevölkerung hart, die wenig besaß und jeden Pfennig zweimal umdrehen musste, während gleichzeitig eine kleine Zahl Gutbetuchter von der Warenvielfalt profitierte und sich einen beträchtlichen Luxus leisten konnte. Sozialdemokraten und Gewerkschaften warfen Erhard vor, seine Politik begünstige die Reichen und stürze die Armen ins Elend. Ein anderer Vorwurf lautete, die Anreize, die von der Preisliberalisierung ausgingen, zielten in die falsche Richtung: Sie kurbelten die Konsumgüterproduktion an, während Investitionen in die Schwerindustrie oder in den Aufbau der Infrastruktur ausblieben.

Derartige Klagen mögen aus damaliger Sicht berechtigt erscheinen – in Wirklichkeit war Erhards Politik langfristig erfolgreicher, aber auch weniger radikal, als seine Kritiker wahrhaben wollten. Verglichen mit heutigen Standards verfügte Westdeutschland weiterhin über eine regulierte Volkswirtschaft. Die Preise für einige Hauptnahrungsmittel sowie für Kohle, Gas, Elektrizität, Eisen und Stahl blieben ganz oder teilweise unter staatlicher Kontrolle, um Hungersnöte und Massenelend zu vermeiden. Zudem konnte Erhard Erfolge vorweisen, die sich mit Händen greifen ließen. Die Schaufenster der Geschäfte füllten sich, die Schwarzmärkte verschwanden. Fehlzeiten in den Fabriken nahmen spürbar ab, weil die Arbeiter für das Geld, das sie verdienten, wieder etwas kaufen konnten. Die Produktionsziffern stiegen zunächst ebenso wie die Investitionen. Am besten kann man die positiven Auswirkungen der Reformmaßnahmen studieren, wenn man die Wirtschaftsentwicklung in der amerikanischen und britischen Besatzungszone mit derjenigen in der französischen Zone vergleicht, wo der Chef der Militärverwaltung, Koenig, sich einer Abschaffung der Preisbindungen zunächst verweigerte. Der deutsche Südwesten wurde zum Versuchsfeld für die Effekte einer Währungsreform ohne begleitende Liberalisierung – mit eindeutigen Folgen. Da die Produktion nicht annähernd so schnell wuchs wie in der Bizone, sahen sich die französischen Besatzungsbehörden bald gezwungen, dem Beispiel der beiden anderen Zonen zu folgen.

Ein wichtiger Grund für den Erfolg von Erhards Liberalisierungspolitik war das im Sommer 1947 verkündete und ab April 1948 in die Tat umgesetzte Marshallplanprogramm. Zu den 1,4 Mrd. $, die im Rahmen des Programms bis 1952 in die Westzonen und nach West-Berlin flossen, kamen noch einmal weitere 1,9 Mrd. $ für Lebensmittelzufuhren hinzu, die nicht Teil des Marshallplans waren und nicht zurückgezahlt werden mussten. Sie trugen dazu bei, die schlimmsten Hungerkatastrophen zu vermeiden und die Versorgungslage allmählich zum Besseren zu wenden. Insgesamt belief sich die amerikanische Gesamthilfe für Deutschland somit auf 3,2 Mrd. $. Einige Historiker haben die Bedeutung dieser Hilfe später relativiert, indem sie darauf hinwiesen, dass die US-Kredite spät anliefen und nur einen geringen Teil des westdeutschen Bruttosozialprodukts ausmachten. Dies ist insofern richtig, als der westdeutsche Wirtschaftsaufschwung bereits Ende 1947 einsetzte, noch vor der Währungsreform und ehe die ersten Marshallplan-Lieferungen eintrafen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Marshallplan in Deutschland seinen wirtschaftlichen Zweck erfüllte. Die Gelder aus Amerika beschleunigten den begonnenen Rekonstruktionsprozess und stellten in einigen Schlüsselbereichen die entscheidenden Anschubfinanzierungen bereit. Wenn die bereitgestellten Summen für andere Länder auch größer waren, im deutschen Fall, wo die USA als Besatzungsmacht direkt eingreifen konnte, wurden sie von Reformmaßnahmen und Interventionen begleitet, die ihre Wirkung multiplizierten. Wichtiger noch war der psychologische Effekt. Der Marshallplan signalisierte den Deutschen, dass sie weiterhin mit amerikanischem Engagement rechnen konnten und in Zukunft wirtschaftspolitisch nach den gleichen Maßstäben behandelt werden würden wie die anderen Westeuropäer. Außerdem konnten sie hoffen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis alle Kontrollen und Einschränkungen abgeschafft würden, die Deutschlands Wirtschaft behinderten.

Die Ära Adenauer

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