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c) Der historisch-moralische Führungsanspruch der SPD

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Die politische Integrität der SPD, ja ihre moralische Überlegenheit gegenüber allen anderen Parteien im Nachkriegsdeutschland, seien sie kommunistisch oder bürgerlich, war in Schumachers Augen ihr größtes Kapital. Die Sozialdemokratie war die Partei mit der ältesten ungebrochenen historischen Tradition. Sie war die einzige politische Kraft, die sich bis zum Schluss der nationalsozialistischen Tyrannei widersetzt und als einzige im März 1933 im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte. Für Schumacher repräsentierte sie das „andere Deutschland“, den Widerstand gegen Hitler, die positiven Aspekte preußisch-deutscher Tradition. Nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ kam der SPD in seinen Augen daher ein moralisch und historisch legitimierter Führungsanspruch zu. Diese Überzeugung hilft, den Rigorismus und das Selbstbewusstsein zu erklären, mit dem sich Schumacher der Kooperation mit anderen Parteien verweigerte, den Führungsanspruch der SPD formulierte und Forderungen im Namen eines neuen, demokratischen Deutschland gegenüber den Siegermächten anmeldete.

Die dreifache Frontstellung gegen den bolschewistischen Kommunismus, gegen die bürgerlich-marktwirtschaftlichen Vorstellungen der Bonner Regierungskoalition und gegen die westlichen Siegermächte beschnitt aber zugleich die politischen Handlungsmöglichkeiten der SPD. Schumacher versuchte auf doppelte Weise, diesem Dilemma zu entkommen. Zum einen wartete er auf das Scheitern von Erhards marktwirtschaftlichem Experiment, das sehr rasch seinen unsozialen Charakter sowie seine Ineffizienz enthüllen und zum Einsturz kommen würde. Dann, so glaubte er, sei die Zeit für eine populäre sozialistische Wirtschaftspolitik gekommen – ähnlich derjenigen, welche die Labour-Partei in Großbritannien seit 1945 verwirklichte. Kernstück dieser Politik war die Sozialisierung weiter Teile der Wirtschaft. Der Katalog reichte von den Schlüsselindustrien des Bergbaus, über Eisen und Stahl, die Energiewirtschaft, die Großchemie, die großen Versicherungsgesellschaften bis hin zu denjenigen Monopolbetrieben, bei denen die Überführung in Gemeineigentum der Monopolkontrolle vorzuziehen sei, wie es der zuständige Referent auf dem SPD-Parteitag 1950 formulierte.

Zum anderen setzte Schumacher auf die Bedeutung der Außenpolitik. Hier präsentierte er die SPD als Kämpferin für die deutsche Einheit. Die nationale Haltung des SPD-Chefs hatte mehrere Gründe. Sie stand zum einen in der patriotischen Tradition der rechten Sozialdemokratie. Zudem wollte er national-kommunistischer Propaganda aus der SBZ entgegenwirken. Schumachers Nationalismus entsprach aber auch seiner preußischen Prägung sowie einer Weltsicht, die stark von den Weimarer Erfahrungen bestimmt war. Der Politiker mochte glauben, einen geschickten Rollenwechsel vollzogen zu haben. Nach 1918 war der SPD als Regierungspartei in der Weimarer Koalition von der politischen Rechten vorgeworfen worden, eine demütigende „Erfüllungspolitik“ gegenüber den Siegermächten betrieben zu haben. Nun sollte die CDU diese Last schultern und darunter zusammenbrechen.

In Wirklichkeit unterschied sich die Situation jedoch derart grundlegend von der Weimarer Konstellation, dass Schumachers Rechnung nicht aufging. Jetzt, da sich die bürgerliche Rechte internationalistisch und die gemäßigte Linke nationalistisch gebärdete, profitierte das bürgerliche Lager von dem Rollentausch. Adenauer hatte es nicht mehr mit einer nationalen, antidemokratischen Opposition von rechts, sondern mit einer demokratischen, antikommunistischen, nationalen Opposition von links zu tun. Das war eine geradezu ideale Konstellation für den Bundeskanzler, der sich gegenüber den Siegermächten als gemäßigter, vertrauenswürdiger Partner profilieren konnte und zugleich skrupellos genug war, die Sozialdemokratie als marxistische Bedrohung mit den Kommunisten in einen Topf zu werfen – wohlwissend, dass Schumachers Antikommunismus seinem eigenen in nichts nachstand.

Die Ära Adenauer

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