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3. Ludwig Erhard und das Wagnis der Marktwirtschaft a) Erhard und der Neo-Liberalismus

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Adenauer war vor seiner Wahl zum Bundeskanzler keineswegs der bekannteste Politiker des bürgerlichen Lagers. Er beschränkte sich zunächst auf das, was Heuss später einmal seine „Hintergrundfunktion“ genannt hat: Er knüpfte Kontakte, pflegte Verbindungen, zog Drähte. Die meisten Deutschen, so sie sich überhaupt für Politik interessierten, verbanden die christlich-liberale Koalition mit einem anderen Namen: Ludwig Erhard, dem Direktor der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung. Dieser exponierte sich als Befürworter einer Währungsreform sowie radikaler Wirtschaftsreformen, insbesondere einer weitgehenden Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung. Nur wenn die Preise sich, den Marktgesetzen gehorchend, wieder dem Warenangebot anpassten, könne eine Währungsreform dauerhaften Aufschwung bewirken, argumentierte er in seiner Antrittsrede vor dem Wirtschaftsrat im April 1947. Erhards Ideen waren weder neu noch originell. Sie lagen auf der Linie dessen, was Wirtschaftswissenschaftler wie Walter Eucken (1891–1950), Franz Böhm (1895–1977) oder Wilhelm Röpke (1899–1966) seit den dreißiger Jahren dachten und schrieben.

Ludwig Erhard (1897–1977) war im Gegensatz zu Adenauer und Heuss ein Seiteneinsteiger, der über keine politischen Erfahrungen aus der Zwischenkriegszeit verfügte. Der parteilose Franke mit der sonoren Bass-Stimme, der 1948 die fünfzig bereits überschritten hatte, konnte lediglich auf eine wenig bemerkenswerte Laufbahn als Wirtschaftswissenschaftler zurückblicken. Er verdankte seinen rasanten Aufstieg vom unbekannten Ökonomen zum Spitzenpolitiker, Bundeswirtschaftsminister (1949–63) und Bundeskanzler (1963–66) vor allem seinem massenwirksamen Eintreten für eine privatkapitalistische Ordnung. Nur die Kräfte des Marktes konnten nach Erhards Überzeugung den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands, soziale Stabilität und „Wohlstand für alle“ (so der Titel seines Bestsellers von 1957) herbeiführen. Vor 1945 hatte wenig darauf hingedeutet, dass Erhard einmal zur Gallionsfigur der marktwirtschaftlichen Kräfte in Deutschland werden könnte. Er hatte es 1925 irgendwie geschafft, nur mit einem Realschulabschluss und einem Fachhochschulstudium versehen zu promovieren. Eine spätere Habilitation scheiterte. Stattdessen erstellte Erhard seit 1934 am Institut für Wirtschaftsbeobachtung in Nürnberg empirische Studien über den Zusammenhang von Produktion, Absatz und Vertrieb von Konsumgütern. 1942 gründete er sein eigenes, mäßig erfolgreiches „Institut für Industrieforschung“. Erst nach Kriegsende begann Erhards eindrucksvolle politische Laufbahn – wenn auch mit Schwierigkeiten. Mehr oder weniger zufällig übertrug ihm die US-Militäradministration in Bayern das Wirtschaftsamt der Stadt Fürth. Wenig später wurde er ökonomischer Berater des amerikanischen Stadtkommandanten in Nürnberg und kurz darauf bayrischer Wirtschaftsminister. Im Dezember 1946 musste er allerdings nach gut einem Jahr wieder zurücktreten – teils wegen eigener organisatorischer und personalpolitischer Fehler, teils weil ihm die Unterstützung durch eine politische Partei fehlte. Das sollte sich erst ändern, als Erhard im März 1948 auf Vorschlag der FDP und mit den Stimmen der Union zum Direktor der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung gewählt wurde und Adenauer rasch erkannte, welch idealer Verbündeter ihm in Erhard erwachsen könnte.

Diese sog. Neoliberalen forderten keine schlichte Rückkehr zur Doktrin eines laissez-faire-Kapitalismus aus dem 19. Jahrhundert. Sie räumten ein, dass eine funktionierende Marktwirtschaft staatlicher Regelungen bedürfe, um Monopolbildungen und Kartellabsprachen zu verhindern. Außerdem befürworteten sie bestimmte sozialpolitische Maßnahmen zugunsten derjenigen, die wegen Alter, Krankheit oder Invalidität im freien Spiel der Marktkräfte nicht bestehen konnten. Der Nachtwächterstaat des Manchesterkapitalismus, dessen Aufgaben sich nur auf den Schutz der Person und des Eigentums erstreckten, war nicht das Ziel der Neoliberalen. Vielmehr setzten sie sich für einen innerhalb klar definierter Grenzen starken und effizienten Staat ein, der die marktwirtschaftliche Ordnung gegen die ihr innewohnenden selbstzerstörerischen Kräfte verteidigen sollte. Es ging ihnen nicht nur um die Überwindung der Planwirtschaft, sondern auch der „freien Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära“, wie Erhard formulierte. Der Münsteraner Ökonom Alfred Müller-Armack (1901–78), Freund und Berater Erhards, prägte den Begriff „soziale Marktwirtschaft“, unter dem die ordnungspolitischen Vorstellungen der neoliberalen Schule bald bekannt wurden.

Nicht nur die FDP begrüßte Erhards Vorstoß, auch in Teilen der Union stieß er auf Zustimmung. Insbesondere Adenauer erkannte, welche Chance ihm das Konzept einer „Sozialen Marktwirtschaft“ bot, von dem ungeliebten „Ahlener Programm“ aus dem Jahr 1947 abzurücken. Die CDU der britischen Zone hatte sich darin unter dem Eindruck der Notlage der unmittelbaren Nachkriegszeit für die Abkehr von der „kapitalistischen Wirtschaftsordnung“ ausgesprochen. Mit Erhards Hilfe gelang es Adenauer, seine Partei im Juli 1949 auf die „Düsseldorfer Leitsätze“ festzulegen, die eine privatwirtschaftliche Ordnung nach den Grundsätzen der „Sozialen Marktwirtschaft“ proklamierten. Der Arbeitnehmerflügel der Christdemokraten reagierte auf derartige Forderungen ähnlich skeptisch wie Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Man fürchtete, Erhards Programm bedeute die Rückkehr zum ungezügelten Kapitalismus der Zwischenkriegszeit, und glaubte, nur durch Beibehaltung planwirtschaftlicher Methoden könne ein allmählicher Übergang zur Normalität ohne Versorgungskrisen und Produktionsengpässe bewerkstelligt werden. Die Kritiker Erhards hatten Grund anzunehmen, dass ihre Bedenken von den Alliierten geteilt würden. In Großbritannien war erst knapp zwei Jahre zuvor eine Labour-Regierung gewählt worden, deren Modernisierungsprogramm die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und den Aufbau eines steuerfinanzierten staatlichen Gesundheitssystems umfasste. Auch die Amerikaner zeigten kein Interesse an einer eiligen Aufhebung der Bewirtschaftung, die in ihren Augen zu unkalkulierbaren Risiken führen konnte.

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