Читать книгу Die Ära Adenauer - Dominik Geppert - Страница 19

4. Kurt Schumacher und die Grundlegung der parlamentarischen Opposition a) Der Weg der SPD in die Opposition

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Während Adenauer und Erhard in der Regierung wichtige Fundamente der Bonner Republik legten, prägte der sozialdemokratische Parteivorsitzende Kurt Schumacher den jungen Staat aus der Opposition heraus – ja man kann sagen, er erfand die parlamentarische Opposition, die es in Deutschland in dieser Form zuvor nicht gegeben hatte. In seiner Biographie über Kurt Schumacher hat der amerikanische Historiker und Soziologe Lewis Edinger den ersten Bundeskanzler mit einem Fuchs und den SPD-Parteivorsitzenden mit einem Löwen verglichen. Daran ist viel Wahres. Anders als Adenauer war Schumacher kein Mann taktischer Winkelzüge und kluger Kompromisse. Er verstand sich nicht aufs Brückenbauen und das Spinnen feiner Netze. Stattdessen pflegte er innerhalb seiner Partei einen autoritären Führungsstil. In der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner bevorzugte er die aggressive, mitunter schroff wirkende Frontalkonfrontation. Schumachers politischer Stil wie auch die Bereitwilligkeit, mit der sich seine Partei von ihm führen ließ, kann man nur vor dem Hintergrund seines Lebens- und Leidensweges verstehen.

Während Sozialdemokraten im Parlamentarischen Rat, allen voran Carlo Schmid, großen Anteil an der Formulierung des Grundgesetzes hatten, verweigerte sich die Partei oberhalb der Länderebene der Zusammenarbeit in Regierungskoalitionen. Mit dem maßgeblich von Schumacher herbeigeführten Entschluss vom Sommer 1947, im Frankfurter Wirtschaftsrat keine Koalition mit Union und FDP einzugehen, sondern sich in die Opposition zu begeben, war eine Weiche für die spätere Konstellation im Bundestag gestellt: einer bürgerlich-liberalen Regierungskoalition stand eine „intransigente Opposition“ (Theo Pirker) gegenüber, die in zentralen wirtschafts- wie außenpolitischen Fragen fundamentale Kritik an der Regierung übte und, bei Anerkennung eines gemeinsamen verfassungspolitischen Rahmens, für eine grundsätzlich andere Politik stritt. Damit verfügte das Land erstmals über eine demokratische Alternative, über eine Regierung im Wartestand, die eine grundlegende, gleichwohl jedoch systemkonforme Oppositionspolitik betrieb – ein wichtiger Stabilitätsfaktor und ein weiterer fundamentaler Unterschied zwischen Bonn und Weimar.

Kurt Schumacher (1895–1952), im westpreußischen Kulm geboren, meldete sich gleich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Freiwilliger und wurde wenig später schwer verwundet. Er verlor seinen rechten Arm, wurde aus dem Heeresdienst entlassen und konnte sich seinem politikwissenschaftlichen Studium widmen, das er mit einer Doktorarbeit zum Thema „Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie“ abschloss. Dieser Gegenstand war für Schumacher nicht nur von akademischem, sondern mehr noch von politischem Interesse. Er war seit 1918 Mitglied der SPD, seit 1924 Abgeordneter des Württembergischen Landtages, seit 1930 des Reichstages und gehörte zusammen mit Carlo Mierendorff (1897–1943), Julius Leber (1891–1945) und Theodor Haubach (1896–1945) zur Garde junger Sozialdemokraten, die Staat, Nation und die Republik von Weimar emphatisch bejahten und kämpferisch verteidigten. Die Nationalsozialisten hielten ihn deswegen unter grässlichsten Bedingungen zehn Jahre in Haft. Im Sommer 1943 wurde er entlassen, doch nach dem 20. Juli 1944 erneut für mehrere Wochen eingesperrt. Danach war Schumacher ein körperliches Wrack. Eine englische Zeitung schrieb im November 1946 über ihn: „Dünn wie ein Skelett, mit brennenden Augen in einem ausgemergelten Gesicht, scheint er das doppelte Leiden derer zu verkörpern, die zuerst Hitlers Opfer waren und nun für Hitlers Taten mitbezahlen müssen.“ Schumachers Willen jedoch hatten die Nationalsozialisten nicht brechen können. Bereits am 19. April 1945, Monate bevor die Militärregierungen offiziell deutsche Parteien zuließen, beschlossen er und eine Reihe anderer Sozialdemokraten bei einem Treffen in Hannover, ihre Partei neu aufzubauen und sich an die Spitze des demokratischen Neuanfangs in Deutschland zu stellen. Niemand konnte diesen Neuanfang glaubhafter verkörpern als Schumacher, der bis zu seinem Tod am 20. August 1952 Partei- und Fraktionschef der SPD blieb.

Schon Anfang Oktober war die Parteiorganisation der SPD in weiten Gebieten des untergegangenen Deutschen Reiches wieder hergestellt – zunächst v.a. in den Großstädten, zögerlicher in kleinstädtischen und agrarisch geprägten Regionen. Ein Jahr später zählte die SPD in den drei Westzonen und Berlin über 600.000 Mitglieder, bis zum Jahresende kamen weitere 70.000 hinzu. Anders als Adenauer in der CDU oder Heuss in der FDP hatte Schumacher sich früh, schon 1945, eine unanfechtbare Position an der Spitze der Parteiorganisation gesichert. Im Einklang mit der Tradition der SPD hatte er einen zentralistisch auf ihn als Parteichef ausgerichteten Apparat aufgebaut – oder vielmehr wiedererrichtet. Viel stärker als Adenauer konnte er von sich behaupten, für seine Partei zu sprechen. Seine ideologischen Überzeugungen bestimmten die weltanschauliche Ausrichtung der SPD. Seine strategischen Grundentscheidungen gaben ihr die politische Marschrichtung vor.

Die Ära Adenauer

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