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b) Regierungsbildung und Aufbau des Kanzleramtes

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Die Kanzlerwahl im Bundestag gewann Adenauer mit nur einer Stimme Mehrheit – seiner eigenen, wie er später gern hervorhob. Zwar hätte ein Scheitern kaum gravierende Folgen gehabt, da sich Adenauers Chancen im zweiten oder dritten Wahlgang eher verbessert als verschlechtert hätten. Dennoch bleibt der Umstand bemerkenswert, dass immerhin fünf Abgeordnete aus dem eigenen Lager gegen ihn gestimmt hatten – ein Indiz dafür, dass Teile der Union keineswegs begeistert von ihrem Kanzler waren. Hier deutete sich bereits an, wie schwierig die Bildung der Regierung und die Besetzung der anderen obersten Staatsämter zu werden drohte. Adenauer musste auf vielfältige Empfindlichkeiten und Ansprüche Rücksicht nehmen. Es galt nicht nur, die Forderungen der kleineren Koalitionspartner FDP und DP zu bedenken, sondern auch die Balance zwischen den verschiedenen Flügeln der CDU zu wahren, das konfessionelle Gleichgewicht zwischen Katholiken und Protestanten im Auge zu behalten und regionale Aspekte, insbesondere die Empfindlichkeiten der bayrischen Schwesterpartei CSU, einzuberechnen.

FDP Adenauers wichtigster Koalitionspartner neben der CSU war die Freie Demokratische Partei (FDP), die im Dezember 1948 als ein Zusammenschluss liberaler Landesverbände in Heppenheim gegründet worden war. Damit war es den deutschen Liberalen – anders als im Kaiserreich und während der Weimarer Republik – gelungen, in einer einzigen Partei zusammenzufinden. Das bedeutete freilich nicht, dass die verschiedenen Strömungen des Liberalismus ihre Richtungskämpfe aufgegeben hätten. Die traditionellen Unterschiede zwischen Nationalliberalismus und Linksliberalismus bestanden weiter. Ihren Ausdruck fanden sie im Gegensatz zwischen den eher „fortschrittlich-linksliberalen“ Landesverbänden v.a. im Süden und den stärker „nationalliberal-konservativ“ geprägten Gruppierungen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Es ist deswegen nicht immer leicht die FDP in das Links-rechts-Schema der Parteipolitik einzuordnen, zumal sie in kulturpolitischen Fragen traditionell links von der Union stand, während sie wirtschafts- und sozialpolitisch mehrheitlich rechts von CDU/CSU anzusiedeln war.

Mehrmals wurde Adenauers Personalplanung durchkreuzt. Nur mit Mühe setzte er Heuss’ Wahl zum Bundespräsidenten durch. Ehards Ambitionen auf das Amt des Bundesratspräsidenten scheiterten, weil sich kurzfristig eine große Koalition aus Sozialdemokraten und CDU-Ministerpräsidenten zusammenfand, die Arnold zur Mehrheit verhalf. Sowohl im Arbeits- wie im Landwirtschaftsministerium musste der Kanzler ungeliebte Kandidaten für die Ministerposten akzeptieren. Am schwersten aber fiel ihm die Ernennung des Essener Oberbürgermeisters und Präses der Evangelischen Kirche Deutschlands Gustav Heinemann (1899–1979) zum Innenminister. Sie erfolgte auf Drängen des evangelischen Teils der Union, um das konfessionelle Ungleichgewicht zugunsten der Katholiken nicht allzu augenfällig werden zu lassen.

Die Freien Demokraten, die mit Heuss bereits den Bundespräsidenten stellen durften, konnte der Kanzler bei der Postenvergabe härter anfassen als die eigene Partei, zumal Heuss’ Nachfolger als FDP-Vorsitzender, Franz Blücher (1896–1959), keine großen Schwierigkeiten bereitete und sich mit dem Amt des Ministers für Angelegenheiten des Marshall-Plans und dem folgenlosen Titel des Vizekanzlers zufrieden gab. Potentiell konfliktträchtiger war die Ernennung des kämpferischen Thomas Dehler (1897–1967) zum Justizminister.

Das Kabinett war noch nicht vereidigt, da begann Adenauer bereits mit dem Aufbau seines persönlichen Stabs. Seit längerem war Herbert Blankenhorn (1904–91) sein engster Mitarbeiter und Berater. Ihn hatte Adenauer erst zum Generalsekretär der CDU in der britischen Zone gemacht und später, als Präsident des Parlamentarischen Rats, zu seinem persönlichen Assistenten ernannt. Blankenhorn entstammte einer wohlhabenden Weinhändler- und Winzerfamilie aus dem Badischen. Er war mit 25 Jahren, noch zu Weimarer Zeiten, in den diplomatischen Dienst eingetreten und hatte während des „Dritten Reiches“ in den Botschaften in Athen, Washington, Helsinki und Bern eine unauffällige, aber ungebrochene Karriere gemacht. Als ehemaliges NSDAP-Mitglied und als Diplomat in Hitlers Außenministerium war Blankenhorn politisch angreifbar, was jedoch der späteren diplomatischen Karriere des tüchtigen und kontaktbegabten Badeners u.a. als Botschafter bei der NATO, in Paris, Rom und London nicht im Wege stand. In den Anfangsjahren war Blankenhorn für Adenauer ein unverzichtbare Helfer. Er machte den Politiker nicht nur mit den Feinheiten des diplomatischen Geschäfts vertraut, sondern half auch, wertvolle Verbindungen zu den Besatzungsmächten zu knüpfen.

Theodor Heuss (1884–1963) war anders als Adenauer ein Mann des Wortes und nicht der Tat: gebildet, im persönlichen Umgang gutmütig-zurückhaltend, ein würdiger hommes de lettres. In vielerlei Hinsicht schien der Schwabe schlecht in eine Welt der Massendemokratie, der Berufspolitiker und des beginnenden Medienzeitalters zu passen. Er ähnelte eher dem Typus des bürgerlichen Honoratiorenpolitikers, den das „Professorenparlament“ der Frankfurter Paulskirche von 1848/49 hervorgebracht hatte. Es war kein Zufall, dass Heuss im September 1949 bei seiner Antrittsrede als Bundespräsident den liberalen Gedanken der Männer von 1848 seine Reverenz erwies und erklärte, diese Ideen müssten in Deutschland erst noch verwirklicht werden: „Damals wäre es eine geschichtliche Leistung gewesen. Heute ist es die Voraussetzung für eine lebendige Demokratie.“ Heuss wusste, wovon er sprach. Er hatte von 1924 bis 1928 und von 1930 bis 1933 für die DDP im Weimarer Reichstag gesessen und die Selbstaufgabe der ersten deutschen Republik aus nächster Nähe erlebt. Zusammen mit seiner gesamten Fraktion hatte er sich im März 1933 dem nationalsozialistischen Druck gebeugt und dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt, ohne je ein Anhänger des NS-Regimes gewesen zu sein. Danach beschränkte er sich auf seine Tätigkeit als Publizist und historischer Schriftsteller. Er arbeitete an Biographien, vor allem am Lebensbild seines politischen Mentors Friedrich Naumann (1860–1919). Nach 1945 gehörte Heuss zu den Begründern der FDP und wirkte im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes mit. Als Bundespräsident widmete er sich vor allem den repräsentativen Aufgaben des Amtes. Es lag ihm daran, über den Parteien stehend, durch sein Beispiel einen neuen politischen Stil und bessere Umgangsformen im öffentlichen Leben zu schaffen. Welche Möglichkeiten sein Amt bot, inhaltlich auf die Innen- und Außenpolitik Einfluss zu nehmen, lotete Heuss nie ernsthaft aus – teils weil er mit der von Adenauer vorgegebenen Richtung übereinstimmte, teils weil er selbst keine ausgeprägten Ansichten oder eigene konkrete Konzeptionen besaß. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – genoss er über die eigene Partei hinaus hohes Ansehen, so dass er nach Ablauf seiner ersten Amtszeit 1954 von einer Mehrheit der Bundesversammlung wiedergewählt wurde.

Zur Machtzentrale Adenauers wurde das Kanzleramt, das ihn über die aktuellen Probleme der allgemeinen Politik und über die Arbeit der einzelnen Ministerien auf dem Laufenden halten sollte. Um möglichst effiziente Kontrolle zu gewährleisten, wurde jedem Ministerium und jeder Bundesbehörde ein Referat im Kanzleramt zugeordnet. Zum Leiter der im Mai 1950 ins Leben gerufenen „Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten“ ernannte Adenauer Walter Hallstein (1901–82). Dieser hatte als Rechtsprofessor in Rostock und Frankfurt gelehrt, ehe er Staatssekretär wurde – zunächst im Bundeskanzleramt, von 1951 bis 1958 im Auswärtigen Amt. Wie Blankenhorn war Hallstein überzeugt, dass die Zukunft der Bundesrepublik – und später vielleicht einmal des wieder vereinigten Deutschlands – nur in Verbindung mit Westeuropa gesichert werden konnte. Dennoch unterschieden sich die Ansätze des außenpolitischen Beraters und des Staatssekretärs voneinander. Der Diplomat war der pragmatischere, flexiblere der beiden. Der Jurist legte mehr Wert darauf, einmal gefundene Regelungen in feste rechtliche Formen zu gießen. „Blankenhorn sieht Kraftfelder“, hat der Historiker Hans-Peter Schwarz treffend bemerkt, „Hallstein Institutionen und Paragraphen“. Beides sollte sich für Adenauers Außenpolitik als wichtig und hilfreich erweisen.

Im Februar 1952 kam Felix von Eckardt (1903–79) als Leiter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung hinzu, nachdem sich herausgestellt hatte, dass in den ersten Regierungsjahren die Kontakte zu den Medien nicht genügend gepflegt worden waren. Der charmante und schlagfertige von Eckardt erwies sich als der richtige Mann, um dem Missstand abzuhelfen. Mit einer kurzen Unterbrechung leitete er das Presseamt bis 1962, ehe er zum Bundesbevollmächtigten für Berlin ernannt wurde und 1965 als Abgeordneter in den Bundestag einzog. Adenauers verlässlichster Helfer innerhalb der Bundestagsfraktion war Heinrich Krone (1895–1989), der wie der Kanzler vor 1933 der Zentrumspartei angehört hatte und deren stellvertretender Generalsekretär gewesen war. Im Bundestag vertrat er zunächst den Fraktionschef Heinrich von Brentano (1904–64), der aus der hessischen CDU kam, während dessen häufiger Auslandsreisen. Bald avancierte Krone zur Schaltstelle der Fraktionsarbeit. 1951 wurde er Parlamentarischer Geschäftsführer und 1955 als Brentanos Nachfolger Vorsitzender der Unionsfraktion.

Der wichtigste Mitarbeiter und Vertraute des Kanzlers war jedoch Hans Globke. Adenauer hatte ihm schon im Herbst 1949 die Aufgabe übertragen, für den Aufbau und das reibungslose Funktionieren des Kanzleramtes zu sorgen. Wegen dessen Verstrickung ins NS-Regime berief er Globke zunächst lediglich als Ministerialdirektor ins Kanzleramt. Staatssekretär wurde nach längerem Suchen Anfang 1951 der Rechtsanwalt Otto Lenz (1903–57). Wie Globke und Krone hatte auch Lenz zu Weimarer Zeiten dem Zentrum angehört, war in jungen Jahren Pressereferent und persönlicher Referent des Ministers im preußischen Justizministerium geworden, ehe er im „Dritten Reich“ Verbindung zu katholischen Widerstandskreisen aufnahm. Anders als der trockene, akkurate Administrator Globke war der quirlige, finten- und ideenreiche Lenz kein Beamtentyp, sondern ein Macher mit Organisationstalent. Als Lenz 1953 ausschied, avancierte Globke auch nominell zum Staatssekretär.

Hans Globke (1898–1973) war von 1932 bis 1945 Ministerialrat im Reichsinnenministerium. Dem Bundeskanzler war schon 1949 bekannt, dass Globke in dieser Funktion 1936 am Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen mitgearbeitet hatte, der Juden diskriminierte und zu Bürgern minderen Rechts herabwürdigte. Wichtiger scheinen jedoch in Adenauers Augen die fachliche Kompetenz und Effizienz Globkes, seine Loyalität gegenüber dem Kanzler sowie die Fürsprache geachteter Hitler-Gegner gewesen zu sein, die versicherten, Globke sei ein Mann des inneren Widerstands und eine Stütze der katholischen Kirche im Innenministerium gewesen. Obwohl sich Globke von Anfang an mit heftiger Kritik wegen seiner Vergangenheit konfrontiert sah, hielt Adenauer bis zum Ende seiner Regierungszeit an ihm fest.

Der entscheidende Faktor bei Globkes Ernennung war aus Adenauers Sicht nicht der innenpolitische Protest, sondern die Haltung der Besatzungsmächte. Nur weil diese nichts gegen Globke einzuwenden hatten, konnte der Kanzler dessen Bestallung wagen. Denn die Hohen Kommissare übten weiterhin die Ober-Regierung in der Bundesrepublik aus, auch wenn die Generäle Lucius D. Clay, Pierre Koenig und Brian Robertson bald von den Zivilisten John J. McCloy (1895–1989), André François-Poncet (1887–1978) und Sir Ivone Kirkpatrick (1897–1964) abgelöst wurden. Atmosphärisch war die Erinnerung an den Krieg in der Anfangszeit allgegenwärtig. Symbole spielten eine wichtige Rolle. So hatte die Alliierte Hohe Kommission im oberhalb Bonns gelegenen Hotel Petersberg ihren Sitz genommen, wo der britische Premierminister Neville Chamberlain (1869–1940) bei seinem Bittgang zu Hitler im September 1938 abgestiegen war, um einen europäischen Krieg zu verhindern. Ganz selbstverständlich nahmen die Vertreter der Besatzungsmächte zunächst oft die Pose der Sieger ein, wenn sie mit deutschen Politikern zu tun hatten. Berühmt geworden ist die Zeremonie anlässlich der Übergabe des Besatzungsstatuts am 21. September 1949: Die Hohen Kommissare standen auf einem Teppich und erwarteten, dass der Bundeskanzler und sein Kabinett protokollgemäß davor stehen blieben. Adenauer berichtete später, wie er selbstbewusst auf den Teppich getreten sei, um auf diese Weise die Gleichrangigkeit mit den Vertretern der Siegermächte zu betonen. Wenn die Hohen Kommissare diesen Protokollbruch bemerkten, so gingen sie schweigend darüber hinweg. Aus Adenauers Sicht handelte es sich jedoch um einen Triumph, um einen ersten kleinen Schritt auf dem Weg zur deutschen Souveränität.

Die Ära Adenauer

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