Читать книгу Präluzid - Dominik Paolo Labocha - Страница 10
[6] Ein Schlüssel ohne Schloss
ОглавлениеIch fuhr durch die dunklen Straßen meiner Heimat, sofern man dieses Kuhkaff eine Heimat nennen konnte. Es war ganz praktisch, dass sie im selben Ort wohnte wie ich, immerhin war ich schon weitere Wege gefahren, um Freunde zu besuchen und diese, welche auch gerne meine Freundin hätten werden können, doch so wie es aussah hatte ich nun ein Eisen im Feuer.
An unserer Einfahrt angekommen öffnete ich die Garage und stellte mein Fahrrad darin ab. Beim Schließen klemmte das blöde Tor immer ein wenig, wenn man versuchte es an den seitlichen Balken zu zuziehen. Folglich nahm ich den Schlüssel, welchen ich stets mit einem Karabinerhaken an meiner Hose befestigte, aus meiner Gesäßtasche und schloss die Tür auf. Das Schloss im Übrigen war auch ganz gerne mal widerspenstig. Ich schaltete das Licht im Hausflur ein und ging die Treppe hoch, während ich das laute Knacken des Stromstoßrelais im Sicherungskasten deutlich hören konnte. Es schien mir, als wäre ich wacher denn je.
Als ich die Wohnungstür aufschließen wollte, bemerkte ich, dass der Schlüssel von innen steckte, sodass ich klingeln musste. Meine Mutter öffnete die Tür und war etwas verwundert, wo ich die Zeit über gewesen war. Scheinbar war ich so versessen darauf dieser Liebe nachzueifern, dass ich an dem Tage kaum noch mit jemandem sprach. Meine Mutter schloss hinter mir die Tür wieder ab und legte sich zurück ins Bett, doch ich konnte einfach noch nicht schlafen, also setzte ich mich vor meinen Computer.
Ich surfte ein wenig durch YouTube und entdeckte einen Kanal Namens Klare Traeume. Ich war zumindest flüchtig mit diesem Phänomen vertraut und hatte es bis dato selbst schon erlebt. Es lief nur irgendwie immer darauf hinaus, dass sobald ich wusste, dass ich träumte, mir ein hübsches Mädel griff und versuchte mit ihr zu schlafen, da ich ja nun wusste, dass es nur ein Traum ist, doch wie zu erwarten brach der Traum folglich in sich zusammen.
Ich begann mir ein paar Videos anzugucken und war durchaus fasziniert davon, wie intensiv sich Menschen damit auseinandersetzten. Das Abo hatten die Jungs sicher und ich fing an mir Notizen zu machen. Da es mich sehr interessierte, fiel es mir leicht dem Ganzen trotz meiner einschleichenden Müdigkeit zu folgen. Dies sollte vorerst eine gute Voraussetzung für meinen ersten luziden Traum sein, denn unmittelbar nachdem ich mich damit befasst hatte, ging ich ins Bett.
Die Induktion eines solchen Traumes gelang mir jedoch erst später, da man auf Anhieb weder in den Tiefschlaf noch in die REM-Phase fällt. Zunächst fällt man in den Hypnoseschlaf, welcher sich bereits bei starker Müdigkeit im Wachzustand bemerkbar macht, indem man sich trotz Wachheit auf einmal wieder an seine Träume erinnern kann. Während man einschläft sieht man, wie die Erlebnisse des Tages ein einem vorbeirauschen. Das ist in etwa so zu verstehen, wie als wenn man bearbeitete Dokumente aus dem RAM-Speicher auf die Festplatte speichert, also Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis überträgt. Einmal hatte ich eine Einschlafphase, in der ich mich an das Badminton-Spiel aus dem Sportunterricht an diesem Tag erinnerte. Der Ball kam auf mich zu, doch ich traf ihn mit dem Schläger nicht. Er traf mich am Kopf und ich wachte zuckend auf. Manchmal sehe ich nicht nur Bilder, sondern höre auch unwillkürlich irgendwelche Musik in meinem Kopf, bei der ich mir meistens nicht mal sicher bin, ob es diese Lieder schon gibt, doch meistens klingen sie echt super.
Wie dem auch sei. Neuronale Mechanismen wie diese sind eine wichtige Grundlage für Traum-erlebnisse. Ich schlief nun also die Nacht über, doch konnte ich mich, als mein Wecker klingelte, an keinen Traum erinnern. Bislang hatte ich sechs Stunden geschlafen und ich war drauf und dran sofort wieder einzuschlafen. Da ich den Wecker immer eine halbe Stunde früher stellte, hatte ich Zeit unter diesen, für einen Klartraum perfekten, Voraussetzungen noch ein Mal einzuschlafen. Ich drehte mich um und schloss meine Augen, während ich mit meiner inneren Stimme zu mir sagte:
„Ich träume jetzt einen Traum, einen Traum, in dem ich weiß, dass ich träume. Ich träume jetzt einen luziden Traum.“
Auf einmal fühlte ich mich tonnenschwer. Es fühlte sich an als, würde ich schwächer und etwas riss mich förmlich in eine andere Sphäre. Ich sah ein schwarzes Nichts, darin ein paar Quadrate in etwas hellerem Schwarz als eine Art Helix oder Spirale angeordnet, welche sich schraubenartig drehten und mich mit einem Sog in den Traum hineinzogen.
Nun fand ich mich in einem weißen Raum wieder und fand wieder klare Gedanken:
„Alles klar! Ich bin drin. Jetzt muss ich hier irgendetwas modellieren, um Stabilität zu schaffen. Fangen wir an mit einem süßen Kätzchen.“
Siehe da, ich fand ein kleines Katzenbaby auf dem Boden mit einem flauschigen Fell in verschiedenen Orangetönen gestreift. Ich nahm die Katze auf den Arm und streichelte sie. Hier erfolgte ein abrupter Szenenwechsel. Vermutlich hatte ich mich zu sehr von der Katze ablenken lassen.
Ich lag auf dem Boden am Tor vor meiner alten Schule. Komischerweise war ich aber davon überzeugt, es sei meine jetzige. Ein Typ mit einem schwarzen Kapuzenpulli und orangenen Haaren kam zu mir und fragte mich, wo er seinen Müll entsorgen konnte (statt mir erst mal hoch zu helfen). Ich sagte ihm, ich habe keine Ahnung und er warf es stumpf über den Zaun.
Von dort an kam ein weiterer Szenenwechsel und ich fand mich plötzlich im Gebäude wieder. Ich wurde wieder klar, als ich unverhofft einen RC durchführte, indem ich mir die Nase zuhielt und schnaubte. Es begeisterte mich, dass diese Traumtechnik direkt beim ersten Mal funktionierte und so wiederholte ich die Technik des Öfteren, um meine Klarheit nicht wieder zu verlieren. Dabei musste ich lachen, weil ich mir vorstellte, dass jemand, der nun neben meinem Realkörper stünde, miterleben würde, wie ich unergründlich im Schlaf schnaubte. Es fühlte sich auch ziemlich seltsam an, wie die Luft aus meiner geschlossenen Nase strömte.
Auch das Innere des Gebäudes entsprach größtenteils meiner alten Schule. Vom Eingang aus bog ich nach links in den Korridor ab, an dem sich wohl neuerdings brusthohe Podeste mit Treppen befanden. Ich war von meiner Traumerkenntnis begeistert und wollte die Traumfiguren grade drauf ansprechen, als ich merkte, dass all diese Schüler meine Kommilitonen vom Gymnasium waren. Die Konstellation der Schüler entsprach keinem Kurs, den ich belegt hatte. Meine Deutschlehrerin kam zu uns und redete irgendetwas. Das regte mich ziemlich auf, weil ich eigentlich grad allen erzählen wollte, dass sie Teil meines Traumes seien (Wäre ich klarer gewesen, hätte ich die Kontrolle behalten können, indem ich sie einfach unterbrochen hätte; immerhin hätte ich mir im Traum alles erlauben können).
Komisch war auch, dass wir vor der Schulküche standen, wo in der Regel kein Deutsch unterrichtet wurde. Ich entfernte mich von meinem Kurs, anstatt am Unterricht teilzunehmen. Welch lustiger Gedanke, dass ich im Traum nicht darauf kam.
Ich ging zurück in den Flur und fand dort einen weiteren schwänzenden Schüler. Ich erinnerte mich an mein Ziel eine Traumfigur zu fragen, welche Bedeutung sie für den Traum habe. Also hielt ich den Schüler auf und fragte ihn:
„Hey Wenzel, sag mal wieso bist du in diesem Traum? Hast du eine Bedeutung?“
Die Antwort war leider nicht sehr hilfreich, aber dafür eher verstörend:
„Ich mache eine Feenwoche an dieser Schule.“
Er sagte dies mit einer schrägen Frauenstimme, während er wie eine Tucke durch die Gegend hüpfte. Ich ignorierte es einfach und sprach weiter:
„Hey du, das hier ist ja mein Traum. Das heißt ich kann ihn steuern und dahin wo immer ich will. Gibt es einen Ort, wo du schon immer mal hinwolltest?“
Daraufhin nannte er mir den Namen einer scheinbar berühmten Brücke in Frankreich, den ich jedoch nicht verstand, schließlich kannte ich nicht eine einzige französische Brücke. Ich nahm komischerweise einen Duden zur Hand, um den besagten Namen nachzuschlagen. Ich blickte auf den vorderen Einband mit einem Schulstempel und ab da an fror der Traum ein.
Passend dazu schellte der Wecker nach grade mal zehn Minuten. Ich war erstaunt wie viel gefühlte Zeit in diesem Traum vergangen war. Ich freute mich, dass ich direkt beim ersten Versuch einen Klartraum induzieren konnte. Den ganzen Morgen versuchte ich meine Erinnerung daran möglichst gut beisammen zu halten, denn ich musste neben einem kritischen Bewusstsein auch mein Traumgedächtnis trainieren, um weitere Erfolge zu erzielen.
Blöderweise war ich so damit beschäftigt, dass ich an diesem Morgen den Bus verpasste. Ich hatte aber keine Lust meiner Mutter das zu sagen, geschweige denn sie zu bitten, mich zur Schule zu fahren, so dass ich beschloss auf den nächsten zu warten und lieber die ersten beiden Stunden dadurch zu versäumen. Ich setzte mich in den kleinen Park, der gegenüber von der Bushaltestelle war und versuchte dort mit eingestelltem Timer weiterzuschlafen, in der Hoffnung den Traum weiterführen zu können. Es gelang mir zwar leider nicht, doch ich hatte immerhin diesen ersten bewussten Erfolg zu verbuchen und es sollte weiß Gott nicht der letzte sein.