Читать книгу Präluzid - Dominik Paolo Labocha - Страница 6

[2] Ein schwarzes Schaf kommt selten allein

Оглавление

Es begann alles in der letzten Septemberwoche vergangenen Jahres. Zu der Zeit machte ich zumindest einen vorrübergehenden Image-Wandel durch. Seit vielen Jahren habe ich mich lyrisch betätigt uns sah mich gewissermaßen auch als Künstler. Ich agierte schlussendlich als Rapper unter dem Namen Domeo. Meine Texte zeichneten sich vor allem durch ein sozialkritisches, aber auch romantisches Bild aus. Insgeheim war Rap für mich immer eine Notlösung gewesen. Viel lieber wäre ich Mitglied einer Rockband gewesen; die Zeit in unserer Schülerband-AG auf meiner alten Schule habe ich geliebt und geschätzt. Auch wenn die Lieder nicht ganz meinen Geschmack trafen war es für mich ein Gefühl von Freiheit singen zu dürfen. Ich hätte gerne gelernt ein Instrument zu spielen, doch bot sich mir einfach nie die Gelegenheit.

Jedoch stellte ich früh fest, dass ich rhetorisch relativ begabt war. Es fiel mir immer recht leicht meine komplizierten Gedanken in Worte zu fassen, wenn auch meine Sätze meist ziemlich geschwollen waren. Mit meinem ADS und einigen Zügen eines Aperger-Autisten war soziale Unbeholfenheit in meinem Leben vorprogrammiert. Ich entpuppte mich als ein Individualist, welchem es schwer fiel sich in die hierarchisierten Facetten einer normativen Gesellschaft zu etablieren, geschweige denn mich in dieser zu integrieren ohne zu provozieren. Dementsprechend war ich bis dato auch nicht in der Lage eine stabile Beziehung in Form einer intimen Partnerschaft zu führen, welche meistens nur von einer Woche bis maximal drei Monate gedauert hatten. All das und noch viel mehr gab mir den nötigen Stoff, um meine Werke zu dem zu machen, was sie waren. Es mag zynisch klingen, doch ich kenne keinen Musiker, welcher nur fröhliche Liebeslieder schreibt. Es gehörte einfach dazu, zumal mir diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, dass es nicht nur viel schlimmer hätte kommen können, sondern auch war.

In den letzten Jahren meiner Realschulzeit trat eine gute Freundin Namens Kathrin B. in mein Leben, welche mich dazu animierte mich meiner inneren Einstellung zu bekennen. (Im Übrigen hasste sie ihren Namen und wollte lieber Katie genannt werden.)

Ich war zwar immer noch Rapper, doch das Genre des Emotional Punks (kurz: Emo) faszinierte mich, wenn ich auch so selbstironisch war Witze über Emos zu machen. Mein Humor war ohnehin schon immer ziemlich flach. Damals standen wir immer zusammen in der hintersten Ecke des Schulhofs, nahe der Mensa. Ich hatte sie vorher bereits gekannt; in der fünften Klasse war ich ihr schon einmal auf dem Schulhof begegnet. Ich war neu auf dieser Schule und im Grunde ein Außenseiter, wodurch ich mich später eher zum Eigenbrötler entwickelt hatte. So derartig nonkonform wie ich den anderen Schülern mit meinem Verhalten gegenüber war, konnte man sich kaum drüber wundern. Sie stand an der Wand und schaute finster drein, was mich trotz meiner autistischen Züge empathisch stimmte. Ich sprach sie an und fragte: „Was ist mit dir?“

Sie blickte auf, schaute mich verachtungsvoll an und grummelte: „Klappe!“

Ich war eingeschüchtert und suchte das Weite, sie tat mir leid, aber ihre Reaktion machte mich hilflos. Im Laufe der Jahre, nachdem wir doch noch Freunde wurden sagte sie mir, sie habe mich aus irgendeinem Grund zu Anfang nicht leiden können, doch auch dahin war es ein langer Weg. Ich erinnere mich noch, wo ich sie zum ersten Mal umarmt hatte. Nach wie vor hatte sie eine Abneigung mir gegenüber, weshalb sie mir mit Schmackes eine klebte. Doch ich nahm es ihr nicht übel, ich war einfach nur verletzt. Während ich sie umarmte sagte ich ihr, auch wenn sie so böse immer zu mir sei, wüsste ich, dass sie ein gutes Herz habe und sich doch eigentlich nur nach Liebe und Vertrautheit sehnte, welche ich bereit war ihr als guter Freund zu geben. Ihr damaliger fester Freund lachte mich für die Schelle natürlich lautschallend aus. Dafür sieht man aber, was für ein Versager bis heute aus ihm geworden ist.

Mit ihr als beste Freundin habe ich trotz aller Schwierigkeiten einen heilsamen Prozess durchlebt – man nennt ihn Freundschaft. Ich weiß noch wie sehr ich mir das Weinen verkneifen musste, als sie sagte, sie wolle wegziehen. Doch nicht nur sie, auch Vanessa war mir lange Zeit später ans Herz gewachsen, immerhin kannten die beiden sich von früher, dabei war unser Start auch nicht einfach, während sie mit den falschen Leuten Umgang hatte und mich deshalb wie Dreck behandelte, hatte ich sie immer wegen ihres Nachnamens gemobbt. Doch diese waren nicht die einzigen Beispiele, die mir klarmachten, dass Glück oft da zu finden ist, wo man es am wenigsten erwartet. Jeder hat sein eigenes persönliches Konstrukt von Glück, ob nun als Gedanke oder in mehreren Personen. Es war jedoch viel mehr als das. Es war Schicksal.

Während ich nun diesen Image-Wandel vollzog, ging ich in den Laden und kaufte mir Accessoires, welche meine feinfühlige Gefühlswelt als Emo zum Ausdruck bringen sollten, dabei scheute ich auch keineswegs das Risiko von homophoben Leuten als schwul abgestempelt zu werden. Ich kam also nach Hause mit schwarzrot karierten Chucks, dazu einen passende Schal, ein paar Gothic-Armbändern und netzgeflochtenen Handstulpen, wodurch sich insgesamt ein feminin angehauchtes Bild ergab, vor allem die Stulpen hatten es mir angetan. Bis auf meine Frisur, dessen Haare einfach nicht wachsen wollten, war ich recht zufrieden mit meiner Erscheinung.

Meine Mutter war ihrerseits sehr tolerant mir gegenüber, selbst dann, wenn ich wirklich schwul gewesen wäre, sie hatte lediglich Sorge, dass die Leute über mich reden würden; das hatte sie immer. Trotzdem hatte sie nichts gegen diesen Stil und gab mir, Tage vor meinem kleinen Einkauf, sogar Klamotten, als sie am Aussortieren war. Es waren zum Großteil zwar Damenklamotten, doch es fiel nie jemandem auf. Röhren-Jeans konnte ich jedoch aufgrund meiner Beinkonturen nicht anziehen, das sah unmöglich an mir aus. Darunter war jedoch eine Jeans, die enger war, als die Hosen, die ich sonst trug, aber unglaublich bequem war. Zusammen mit einer langärmligen Bluse trug ich diese Hose eines Abends und ging die beiden Mädels besuchen. Katie war begeistert, sprang mich armumschlingend an und sagte mir, ich sähe unglaublich niedlich aus. So hatte ich es mir auch erhofft.

Umso mehr waren beide begeistert, als ich mit meinen neuen Errungenschaften am Leibe zu Besuch kam. Das hinderte Katie jedoch nicht daran mich auf die Ungereimtheiten in meinem Outfit aufmerksam zu machen. Sie hatte ohnehin ein keckes Mundwerk, doch auch ich war nicht ohne. Wir nahmen uns immer gegenseitig auf die Schippe, aber immerhin waren wir stets ehrlich zueinander. Ich hasste es eh zu lügen, wobei ich es ihr zu Liebe ab und an tat.

Unsere Freundschaft hatte viele Hürden überwunden. Die meisten Beziehungen, die ich von ihr mitbekam, konnte ich nicht gutheißen und das meist nicht nur aus Eifersucht. Um ehrlich zu sein, war ich selbst schon mal in sie verliebt, während sie vergeben war. Ich hatte ihr sogar einen dreiseitigen Liebesbrief von Hand geschrieben, nur leider konnte sie meine Sauklaue nicht lesen. Heute fragt sie mich noch immer verhöhnend: „Wie konntest du nur!?“, woraufhin wir immer lachen müssen. Später jedoch würde sich herausstellen, dass dies kein Zufall war. Ich sagte dennoch im Nachhinein zu ihr: „Sollte ich jemals ein Mädchen finden, das so ist wie du, werde ich mich erneut verlieben.“ Das klang zunächst absurd, denn seitdem sehe ich sie schlicht als meine beste Freundin, doch nicht nur hier würde sie eine elementare Rolle in meinem Leben spielen.

Präluzid

Подняться наверх