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[3] Doppelt hält besser
ОглавлениеAm Wochenende fand in unserem Dorf der jährliche Herbstmarkt statt. Es war zwar nichts sehr Aufregendes, aber Katie, Vanessa und ich beschlossen trotzdem hinzugehen. Ich trug selbstverständlich mein neues Outfit mitsamt den Accessoires, worauf ich in der Schule schon seltsame Resonanz vernommen hatte. Mein Politiklehrer hatte mich sarkastischerweise gefragt, ob ich nun Radfahrer sei. Nun ja, er hätte mich ja schlecht als Tucke diffamieren können.
Wir kamen von der Hauptstraße in eine kleinere Einbahnstraße, welche hinter den Geschäften entlang verlief und an einer Wohnsiedlung angrenzte, in welcher sich auch das hiesige Kinder- und Jugendheim befand. Auch betreutes Wohnen gab es in der Nähe. Es ist immer wieder ungewohnt die Umgebung unseres Marktplatzes derartig belebt vorzufinden. Überall sah man aufgebaut Stände und südländische Händler die (vermutlich gefälschte) Markenklamotten und den üblichen Schnickschnack von Kinderspielzeug bis Handyzubehör verkauften. Einmal habe ich mich dazu hinreißen lassen einen vermeintlichen Merchandising-Artikel in Form eines ACDC-T-Shirts bei einem zu kaufen und diesen trug ich an dem Tage auch. Am Ende der Straße kam man dem großen, weißen Festzelt entgegen, aus dem man eine Band proben hörte. Daran lehnten große Bilder mit Rahmen oder Prismenraster von niedlichen Katzen bis hin zu Totenköpfen. Von dort rechts ab und wir traten mitten ins Geschehen. Leider gab es den Break-Dancer nicht mehr, bei dem man in einer der 16 Gondeln über blau, rot, grün und gelb saß und sich um drei verschieden Achsen drehte. Dafür hatten wir nun den Booster: Eine sich überschlagende Mittelachse mit jeweils einer frei drehbaren Vierergondel auf einer Seite.
Wir schlenderten über den Platz, um uns weiter umzuschauen. Hier und da trafen wir auf flüchtige Freunde oder Bekannte, trotzdem freute ich mich ab und an auch bestimmte Leute wieder zu sehen, doch die größte Freude sollte erst noch kommen. Nach einiger Zeit suchten wir die Toiletten auf, welche sich am linken Seiteneingang des Rathauses befanden. Dort trafen wir auch auf alte Freunde, mit denen wir uns eine Weile verquatschten. Ich bekam Hunger und Bier hatten wir auch keines mehr, also gingen wir zum nähst gelegenen Supermarkt. Katie gab mir etwas Geld in die Hand und ließ mich allein reingehen, da die beiden noch Vanessas Freund erwarteten. Da stand ich nun also im Laden und konnte mich für keine Biersorte entscheiden, auch was ich essen wollte, war mir nicht so ganz klar. Dieses Problem habe ich oft beim Einkaufen, vor allem wenn ich in der Süßigkeitenabteilung stehe. Nach einiger Zeit des Suchens und Rücksprache über WhatsApp kam ich mit einem Sechserpack V+ und einem schokoladenüberzogenen Zitronenkuchen aus dem Laden. Freundlich empfing man mich, auch Vanessas Freund und seine Kollegen waren bereits eingetroffen und so stießen wir an, während ich mir den Kuchen schmecken ließ, welchen ich mit den anderen teilte. Ein paar Zigaretten später gingen wir wieder auf den Platz und fanden uns auf einer Fläche von Rollsplitt zwischen dem Toilettenwagen und ein paar Greifautomaten wieder.
So langsam ging es mit meiner Laune bergab, vor allem wenn ich sah, wie Vanessa mit ihrem Freund rumknutschte. Ich hasste das Singledasein, ich fühlte mich einsam. Komischerweise war mir das in diesem Moment nicht klar, denn ich hatte mich schon so sehr dran gewöhnt, dass ich es für hormonelle Stimmungsschwankung hielt. Katie fragte mich was los sei, aber wie von mir typisch in solchen Momenten schwieg ich entweder oder sagte es sei nichts, oder nichts was der Rede wert sei. Ich wusste ihre Sorge durchaus zu schätzen, aber ich kam mir immer sehr bescheuert dabei vor über etwas zu reden, was mich angreifbar machte, da fühlte ich mich immer so schwach und erbärmlich. Sie blieb eisern und kannte ihre Tricks mich zu fobben, also aufmunternd zu ärgern. Leider nahm der Effekt nach einigen Minuten wieder ab. Nachdem ich diesmal auf Kathrin nicht reagierte, (so leid mir das tat, aber es fiel mir sehr schwer zu reden), nahm mich Vanessa unter ihre Fittiche und ging mit mir ein Stück weiter weg.
„Dominik, was ist los?“, ich schwieg…
„Dir fehlt ´ne Freundin, stimmt´s?“
Ich muss zugeben, dass sie mir damit ziemlich Salz in die Wunde streute, doch war es auch sehr heilsam diese Worte des Verständnisses zu hören. Sie hatte mich wahrgenommen und in mein Herz geschaut.
„Mach dir keine Sorgen, wir sind für dich da. Heute Abend gehen wir ins Zelt und finden ein nettes Mädel für dich.“
„Ich steh‘ nicht so auf One-Night-Stands und selbst wenn; so wie die meisten Mädels hier sind, gäbe es für mich nicht mal Resteficken. Du weißt doch selber, wie der Hase hier läuft.“
„Mann Domi, das war mein Ernst. Ich werde dir doch nicht irgendeine Bitch an‘ Bauch binden. Du hast Besseres verdient. Selber schuld, wenn die nicht auf dich stehen.“
„Ja dann gucken wir mal, was draus wird.“
(Sie versprach mir ihre Hilfe nicht zum ersten Mal, nur meistens ergab sich später, dass sie doch ein Miststück war, so dass Vanessa mir doch von ihr abriet.)
„Mach dir nicht so viele Gedanken, das wird schon.“
Wir umarmten uns und die Intensität meines Griffes machte ihr klar, wie dankbar ich ihr für ihre Zuversicht war. Zurück in unserer Gruppe schien das Schicksal seinen ersten Schritt auf mich zuzugehen. Während ich mit Vanessa redete, hatten sich drei weitere Leute zu uns gesellt. Die eine kannte ich nicht, aber Kai war mir durchaus bekannt, er ist zwar arrogant und etwas hedonistisch, aber eigentlich ein netter Geselle. Die Homophobie der Leute nur kotzte mich an, sie hatten ein Problem damit, dass er schwul ist.
Was nun jedoch passierte war beinahe schon magisch. Vor mir stand eine äußerst hübsche, blonde Dame, komplett in schwarz gekleidet, mitsamt Lederjacke, Springerstiefeln und passender Hose. Sie in Gothic, ich als Emo; doch als sei das nicht genug, kam sie mir doch sehr bekannt vor. Ich schaute sie mir noch eine kurze Weile an, während meine Freunde irritiert waren, und als mir so allmählich dämmerte wer da vor mir stand, hatte ich Mühen die Augen trocken zu halten. Es war fast so, als wäre ich aus einem langen Schlaf erwacht. Ihre blaugrauen Augen schimmerten im Lichte der Festbeleuchtung, es war ein strahlender Blick der sagte: Hallo, ich bin die Liebe deines Lebens. Wie von ihrem Blicke beseelt sprach ich sie an:
„Hey, warte Mal! Ich kenn‘ dich doch. Du heißt Kathrin, oder?
„Ja, ich heiße Kathrin.“
Ihr Blick war geheimnisvoll.
„Die Kathrin?!“, ich wurde euphorisch.
„Jup, wir kennen uns von früher.“
Ich grinste schier über beide Ohren und fiel ihr in die Arme:
„Oh Kathrin, ich freue mich so riesig dich wiederzusehen. Mir fällt erst jetzt auf wie sehr ich dich vermisst habe.“
Ich drückte sie noch fester an mich. Ich war so narkotisiert von ihrem Duft, dass ich gar nicht bemerkte, wie ich mich mit meinem Kopf in ihrem Dekolleté vergrub. Kai lachte:
„Gönn dir! Schön kuschlig, wa‘?“
Langsam erhob ich meinen leicht erröteten Kopf und lächelte sie peinlich berührt an. Ihre Resonanz war ein liebevoller Blick, voll von Verständnis und Geborgenheit. Er ging mir tief ins Herz und ich strahlte vor Glück.
„Ich freu mich auch dich zu sehen. Ich war neulich übrigens auch im Treffpunkt, aber du hast mich gar nicht bemerkt.“ Ich schaute etwas verwirrt.
„Ist wirklich so. Du kamst zu uns an den Tisch und fandest es total lustig, dass zwei Kathrins nebeneinandersitzen, dann bist du einfach weggegangen.“
Es wunderte mich arg, dass ich sie zwar wahrgenommen, aber gar nicht registriert hatte, welch Ironie des Schicksals.
Vanessa tippte mir auf die Schulter und sagte mir sie wollten nun weitergehen, ich solle mitkommen. Ich drückte sie noch einmal kräftig und gab ihr aus dem Affekt heraus einen dicken Kuss auf die Wange, dann verabschiedete ich mich von ihr mit einem Lächeln: „Bis später.“
Ein paar Meter weiter sprachen die beiden mich auf das kürzliche Geschehen an. Katie erzählte mir, dass sie sich aus dem Kindergarten kannten und sie immer von ihr gemobbt worden sei und ich ihr nicht trauen sollte. Vanessa schloss sich ihr an und sagte mir, sie sei ohnehin lesbisch. (Das stimmte beides nicht so ganz. Katie kannte sie eigentlich aus dem Mütterzentrum, wo ihre beiden Mütter mit ihnen früher hingegangen waren. Des Weiteren hatte sie zwar auch was mit Frauen, war aber bisexuell.)
Ich nahm mir das ernüchternd zu Herzen und diese schlechte Aussicht kränkte mich, so dass ich den euphorischen Gedanken schweren Herzens wieder verwarf, doch dabei sollte es nicht bleiben. Es dämmerte allmählich. Weiß der Geier, wo wir noch überall waren.
Nach einiger Zeit hatte ich die beiden wieder aus den Augen verloren und wollte eigentlich schon nach Hause gehen, doch da blickte ich in Richtung Festzelt und sah Kathrin dort an einem schwarzen Kübel mit einem Baumsetzling darin. Ich musste einfach dort hin und mit ihr reden. Kai hatte sie dort allein gelassen. Diese Enttäuschung von ihm war leider kein Einzelfall. Das Eis war längst gebrochen und wir redeten viel miteinander. Sie zeigte mir Fotos von sich auf ihrem Handy, wie sie in anderen Outfits und Makeups aussah. Jetzt, wo Katie und Vanessa mir die rosa Brille abgenommen hatten, muss ich zugeben, dass ich sie von dem Augenblick an ziemlich seltsam fand. Scheinbar versuchte mein Unterbewusstsein Gründe zu finden, mich nicht in sie zu verlieben.
Nach circa zehn Minuten sagte sie mir, sie wolle nun nach Hause gehen. Ich schlug vor sie zu begleiten, ich wüsste ja wie die Leute hier sind. Das war natürlich nur ein Vorwand für meine charmante Geste, ich war mir relativ sicher, dass ihr nichts passieren würde, selbst wenn ich nicht mitkäme. Sie behauptete ohnehin in Sachen Selbstverteidigung geübt genug zu sein. Trotzdem bestand ich darauf mitzukommen und das obwohl ich fast schon rennen musste, weil sie mit dem Fahrrad da war. Auf dem Weg redeten wir über unseren Musikgeschmack und spielten uns Lieblingslieder vor. Unsere Geschmäcker hatten durchaus passable Schnittstellen. Ich wusste noch immer wo sie wohnte, doch irgendwie kam ich sie nie besuchen. Ich hatte gar nicht mehr oder zumindest selten an sie gedacht. Warum eigentlich?
Wir betraten den Hinterhof. Fünf Jahre war ich schon nicht mehr dort. Ich erinnerte mich noch an damals, wie mich die Jungen aus ihrer Nachbarschaft zu ihr mitgenommen hatten, um sie auf einen Geburtstag einzuladen oder wie wir zusammen auf einem Spielplatz waren und ich auch damals schon den Helden für sie gespielt habe. Süße 14 Jahre alt und wir waren damals schon ineinander verknallt gewesen. Wenn die Jungs mich darauf angesprochen hatten war ich natürlich so unreif zu sagen: „Ihh, nein! Wie kommst du denn darauf?“
Ich weiß bis heute nicht, ob es wirklich nur mangelnde Reife war, die mich dazu trieb oder einfach die Angst sie als Lückenfüller zu missbrauchen, schließlich war ich seit Kurzem von meiner damaligen Freundin Janine getrennt. Sie fühlte sich sicherlich nicht gut dabei, doch damals fiel es mir schwer mit ihrer verrückten Art zu Recht kommen. Doch nun würde ich lernen sie grade dafür so sehr zu lieben.
Wir gingen ins Haus und setzten uns in die Küche. Ohne es zu wissen setzte ich mich natürlich auf den Stammstuhl ihres Vaters.
Wir redeten lange miteinander, über unseren bisherigen Werdegang, unsere Sehnsüchte und Macken, all die Schwierigkeiten und Leiden, die wir bisher durchlebt hatten und vieles mehr. Mit jedem weiteren Gesprächsthema entdeckten wir mehr Kongruenzen bei denen ich irgendwann nur noch sagen konnte: „Du also auch!? Ich dachte es gäbe nur einen Freak wie mich.“
Sie hatte selbst ein ADHS und war ein sehr lebhafter und unsagbar liebevoller Mensch. Ich fragte mich ernsthaft wie man auch ihr nur so wehtun konnte; als sei es das Schicksal einer Kathrin derartiges Leid zu erfahren. Es sei nur so viel gesagt: Einer der besagten Jungen, nämlich Tim, und sein Bruder Olaf waren nicht grade sittlich mit ihr umgegangen, als sie noch kleiner war. Es brach mir das Herz und machte mich zugleich wütend. Ich hatte kurze Zeit zuvor in einer Pizzeria gearbeitet und ihm Essen geliefert. Ich wusste zwar, dass er ein Schwein war, aber hätte ich das gewusst, hätte ich ihm wahrscheinlich drauf gespuckt. Dafür würden die beiden nicht nur einmal büßen.
Als wir uns damals kennengelernt hatten waren diese Wunden noch frisch, doch ich hatte nichts geahnt. Noch heute bereue ich, dass ich den Kontakt damals einfach schleifen lassen habe, denn ich hätte verhindern können, dass sie daran innerlich so zu Grunde gehen würde. Wir beide hätten uns viel positiver entwickelt, doch verstanden wir beide nicht, was unsere Nachlässigkeit für die Zukunft bedeuten würde. Könnte ich die Zeit doch nur zurückdrehen. Ihren Eltern wollte sie es nie erzählen, da sie ohnehin keinen guten Draht zu ihnen hatte und deshalb keine Angriffsfläche zeigen wollte.
Wenn man vom Teufel spricht – Ihr Vater kam nach Hause, als wir in der Küche saßen. Ich wusste nicht wie er reagieren würde, wenn er einen vermeintlich Fremden mit seiner Tochter in der Küche sehen würde. Aber so voll wie er war, nahm er es ziemlich gelassen, nur dass er Kathrin am nächsten Tage mit Fragen gelöchert hat, wer ich denn sei.
Meine Freunde auf der Kirmes hatte ich schon ganz vergessen, sie machten sich Sorgen, als sie hörten, ich sei mit „irgendeiner Blonden“ mitgegangen. Bestimmt saßen wir dort gute zwei Stunden. Sie wurde allmählich müde und bat mich zu gehen. Sie brachte mich zur Tür. Ich drückte sie nochmal kräftig mitsamt Wangenkuss und ging zurück zur Kirmes.