Читать книгу Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis - Страница 16
3.1Das erste Auftreten bei Ignatius von Antiochien
ОглавлениеAls Attribut der Kirche sowie im christlichen Sprachgebrauch überhaupt tritt der Begriff „katholisch“ erstmals bei Ignatius von Antiochien auf. In seinem wohl um 110 n. Chr. verfassten Brief an die Gemeinde in Smyrna heißt es: „Wo der Bischof erscheint, da soll auch die Gemeinde sein, wie da, wo Christus Jesus sich befindet, auch die allgemeine Kirche ist.“25
Ignatius unterscheidet zwischen der allgemeinen Kirche („ἡ καθολικὴ ἐκκλησία“, „wo Christus Jesus sich befindet“) und ihren Ortskirchen („wo der Bischof erscheint“) und stellt zwischen beiden Größen eine Beziehung her. Die Entsprechung zwischen Bischof und Christus auf der einen und irdischer und himmlischer Realität der Kirche auf der anderen Seite ist für die ignatianische Theologie kennzeichnend. Es scheint unbestritten, dass Ignatius das im Kolosser- und Epheserbrief entfaltete soteriologisch-ekklesiologische Begriffsfeld von πλήϱωκα durch das bis dato nur im profanen Sprachgebrauch verwendete καθόλον ersetzte, ohne das dort Gemeinte abzumildern. Die Kirche im urbildlichen, transzendenten Sinne ist „katholisch“, das heißt heilsuniversal und heilsvollkommen, da Christus in ihr gegenwärtig ist. Katholische Kirche meint also hier primär die Universalkirche, die überall dort ist, wo Christus gegenwärtig ist.26 Die je geschichtlich-konkrete Kirche vor Ort bleibt als Abbild notwendig auf ihr Urbild, die Universalkirche, und damit auf Christus bezogen.27 „Katholisch ist die Kirche also letztlich von Christus her; in ihm ist ja Gott in seiner ganzen Fülle (πλήϱωκα) erschienen (Kol 1,19; 2,9) […]. Diese christologische Fülle ist in der vom Bischof geleiteten Ortskirche präsent. Damit gehört sowohl die christologische Begründung wie die bischöfliche Verfasstheit von Anfang an zur Katholizität der Kirche“28.
Gottes Heilswille setzt innergeschichtlich stets an einem Konkretum an. Immer richtet er sich zunächst auf eine partikuläre und sich von anderen Gruppen unterscheidende Heilsgemeinde, um durch sie und mit ihr seinem Heil universale Geltung zu verschaffen. Gottes Heilswille zielt immer schon darauf, die infolge der Sünde auseinander gebrochene Gemeinschaft aller Menschen mit ihm und untereinander wiederherzustellen. Daran mitzuwirken, ist Kirche gerufen und kraft der Katholizität auch befähigt. Die Entsprechung von partikulärer (örtlicher) Heilsgemeinde und dem universalen Heilswillen Gottes zeigt sich in der bereits bei Ignatius anklingenden universalen (katholischen) Weite der Kirche, die ihrerseits in einer unaufhebbaren Spannung zu ihrer strukturellen Form (Verhältnis von Universal- und Ortskirche) steht.29 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Begriff „Katholizität“ in seiner frühen christlichen Verwendung durch den Märtyrerbischof Ignatius eine geographische, anthropologische, soteriologische und vor allem christologische Bedeutung trägt.30 „Katholisch“ qualifiziert die Kirche als „universell“ und „umfassend“ im Sinne von „vollkommen“ und „ganz“.
Während diese Ansicht von einer Mehrheit der Theologen vertreten wird, meinen einzelne Vertreter31, bei Ignatius bereits eine offenbarungstheologische Bedeutung der Katholizität ausfindig machen zu können. Katholizität meine „die umfassende und (in der Wahrheit und in der Verbundenheit mit Christus) vollkommene Kirche, ja sogar die allein wahre Kirche“32 im Unterschied zu denjenigen Kirchen, die sich zwar Kirche nennen, aber keine im eigentlichen (orthodoxen) Sinne sind. Es bleibt herauszuheben, dass sich die Wissenschaft nicht einig darüber ist, ob der offenbarungstheologische Aspekt bereits bei Ignatius intendiert und somit seinem Begriff von „katholisch“ ein bereits polemischer Unterton gegen häretische Gruppen zu eigen ist. Peter Steinacker warnt davor, allzu voreilig spätere Füllungen des Begriffs „katholisch“ in das von Ignatius Gemeinte hineinzuinterpretieren.33 Unumstritten aber ist, dass die bei Ignatius grundgelegte Bedeutung von „katholisch“ eine „Fülle“ bzw. „Vollkommenheit“ der Kirche zum Ausdruck bringt, die sie nicht für sich behalten, sondern allen Menschen zuteil werden lassen soll: eine Fülle, die in Jesus Christus gründet und sich in der Weite der über den ganzen Erdkreis zerstreuten katholischen Kirche äußert.
Damit aber sind zwei wesentliche und in der Folgezeit an Bedeutung gewinnende Grunddimensionen der Katholizität vorgezeichnet: die quantitative (extensive) Dimension der Katholizität, die auf die universale „Weite“ und globale Ausbreitung der Kirche hinweist, sowie die qualitative (intensive) Dimension der Katholizität, die die christologisch begründete „Fülle“ und Heilsuniversalität der Kirche nach außen trägt.34 Beide Grunddimensionen zeigen sich auch im Bericht vom Martyrium des Bischofs Polykarp (um 160 n. Chr.). Dieser Bericht ist in Briefform an alle Gemeinden der (einen) heiligen katholischen Kirche an allen (vielen) Orten gerichtet.35 Da jede christliche Gemeinde in Christus ihren Hirten erkennt und an seiner Fülle teilhat, sind alle Gemeinden, so die Überzeugung des Verfassers, „katholisch“.36 Die in Christus begründete Fülle der katholischen Kirche korrespondiert mit ihrer sich über den ganzen Erdkreis erstreckenden Weite.37 Entsprechend kann Polykarp als Bischof der katholischen Kirche zu Smyrna bezeichnet werden.38 Wie sich beide Grunddimensionen der Katholizität zueinander verhalten, wird noch zu erörtern sein. Schon jetzt sei aber betont, dass das Adjektiv „katholisch“ von Anfang an eine der Kirche „in allen Verschiedenheiten sich überlegen durchsetzende[…] Identität, Kontinuität […][und] Universalität“39 anzeigt.