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Fortbildungsgymnastik

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Schwangerschaft bildet. Im Gegensatz zu verbreiteten Behauptungen, dass im Kampf der Hormone vor allem die kleinen grauen Zellen auf der Strecke bleiben, Anekdoten über plötzliche Vergesslichkeit und Verwirrtheit oder wissenschaftlichen Berichten zur Verminderung der Gehirnmasse, der grauen Substanz, die zuständig für Denken und Intelligenz sein soll, kann ich nun mit Sicherheit sagen: Unsinn. Schwangerschaft bildet. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Wenn Sie jetzt glauben, ich meine soziale oder emotionale Kompetenzen wie Empathie oder Beziehungsfähigkeit, dann irren Sie sich. Ich meine handfeste Bildung. Allgemeinbildung.

Erstens: Man liest wieder mehr. Babybücher, Internetseiten, Zeitungsartikel, Testberichte, Aufbauanleitungen für Kinderbetten – alles, was einen als werdenden Elternteil eben so anspringt. Lesen bildet. Wer würde das bestreiten?

Zweitens: Der Fremdwortschatz potenziert sich sozusagen entsprechend dem Voranschreiten der Schwangerschaftswochen. Auch die Nicht-Lateiner werfen binnen kürzester Zeit mit Fachtermini um sich. Hatte man im ersten Trimenon der Graviditas von Tuten und Blasen noch gar keine Ahnung, ist man spätestens nach der Halbzeit Experte. »Die Amniozentese wird in der Regel ab der fünfzehnten Schwangerschaftswoche durchgeführt.« Wie man sieht, ein Kinderspiel. »Die nächste Untersuchung? Invasives oder non-invasives Verfahren?« »Gebärmutterhalsschwäche? Bemühen Sie sich nicht, das heißt doch Zervixinsuffizienz.« »Zur Vermeidung des Vena-Cava-Syndroms immer schön auf der Seite liegen.« »PDA – Periduralanästhesie. CTG – Kardiotokographie« Übung macht den Meister. »Die Symptome deuten auf eine Symphysenlockerung hin.«

Es ist ganz klar: Je weniger Sie beim Gebrauch eines dieser Wörter nachdenken müssen, desto näher rückt Ihr Geburtstermin.

Drittens: Man bekommt unbezahlbare Praxiserfahrung. Und dass grau alle Theorie ist und Berichte von der eigenen Geburt, die uns immerhin ins vergangene Jahrtausend zurückführen, auch nicht unbedingt den ›State of the Art‹ repräsentieren, ahnt man zwar, aber wirklich greifbar wird doch alles erst, wenn man am Ort des Geschehens ist und sich aus sicherer Distanz schon mal selbst ein Bild machen kann – beim Elterninfoabend im nächstgelegenen Klinikum zum Beispiel.

Mein äußerst dürftiges Wissen über Geburten, über dem lediglich die vage Hoffnung hing, dass es nicht so wie im Fernsehen ablaufen werde, wurde an jenem Abend innerhalb von nicht ganz einer Stunde völlig kostenlos totalüberholt. Für ein »individuelles, persönliches Geburtserlebnis« seien die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe zuständig, übrigens ein Perinatalzentrum Level 1, so der freundliche Chefarzt, und über der Powerpoint-Präsentation prangte unübersehbar die Zeile: »Geburt – sanft und sicher«. Allein damit, dass im Zusammenhang mit einer Geburt das Wort »sanft« auftaucht, hätte ich nicht gerechnet. Ein Kreißsaal ist kein Saal, sondern vielmehr ein schnuckeliges Gebärzimmer, wo man sich in Ruhe und Abgeschiedenheit unter den wohlwollenden Augen einer Hebamme seiner sanften Entbindung hingeben kann. Gymnastikbälle verleihen dem ganzen Ambiente einen Touch von Vitalität und Lebensfreude. Dass es ein Wehenzimmer gibt, wusste ich, dass darin sogar ein Fernseher steht, hat mich dann doch etwas überrascht. Idyllische Impressionen von der Wochenbettstation zogen vor meinen erstaunten Augen über die Leinwand, die Hebamme persönlich macht die ersten vier Fotos vom Neugeborenen direkt nachdem es das Licht der Welt erblickt hat, und wenn man es wünscht, kommt eine professionelle Fotografin dann auch noch ans Wochenbett und knipst weiter. Ein Klinikum? Ein Servicebetrieb! »Wir sind da, um Ihnen Ihre Wünsche zu erfüllen.«

Dass mir an diesem Abend aber meine Ignoranz zum Thema Geburt so dermaßen deutlich vor Augen geführt wurde, dass ich mich fast schämte, hatte mit der Anwesenheit einer jungen Dame zu tun, die sich zu Beginn der Präsentation neben Chefarzt, Kinderärztin und Hebamme als Zuständige für das Marketing des hiesigen Fußballclubs vorgestellt hatte. Ihr Beitrag kam ganz am Schluss. Kurz gefasst ging es darum, dass sich der FC XY schon mehr als rechtzeitig um seine Zukunft kümmern will und es seinen Fans und solchen, die es noch werden sollten, ermöglicht, im vereinsgeschmückten Kreißsaal zu gebären bzw. geboren zu werden. »Bonding« bekommt hier eine ganz neue Dimension. »Die werdende Mutter schaut genau auf ein riesiges Bild des Stadions.«

Die Einrichtung ist in den Vereinsfarben gehalten, und auf den Jalousien prangen die Rückenansichten der Spieler, die, diskret abgewandt, sozusagen moralisch unterstützend wirken, wenn sich ihr Fannachwuchs sanft ins Leben schiebt. Der werdende Vater kann das Vereinsmaskottchen im Arm halten, wenn ihm gar zu arg zumute wird. Wer noch vor der Geburt für sein Kind eine Jahresmitgliedschaft abschließt, bekommt ein Willkommenspaket im Wert von hundert Euro ausgehändigt, das eine Babybadewanne, eine Silikontrinkflasche, einen Milchpulverportionierer und weitere brauchbare Artikel enthält, selbstverständlich alle im passenden Design. Wichtiges Detail: Eine Entbindung in besagtem Kreißsaal ist auch ohne Mitgliedschaft möglich. Willkommenspaket kriegt man dann eben keines.

Was für einige von uns etwas befremdlich wirken mag, hat im Prinzip mit Identität zu tun. In Zeiten wie diesen, wo Initiationsriten, Religionsgemeinschaften oder der Familienstammbaum kaum mehr von Bedeutung sind, ist die Aufnahme in die Fußballfamilie ein Weg, gleich von Anfang an wo dazuzugehören. Dass den findigen Marketingstrategen einiger Clubs diese Idee gekommen ist, ist daher nur naheliegend.

Eltern wollen viel für ihre Kinder – einige einen Studienplatz an einer Eliteuniversität, andere eine Mitgliedschaft im Sportverein. Beides ist gleichermaßen legitim und sollte nicht spöttischen Urteilen von Besserwissern ausgesetzt sein. Die medizinischen Nachteile einer Geburt umgeben von Merchandisingartikeln eines Fußballvereins sind ebenso wenig erwiesen wie die psychischen Folgen einer pränatalen Inskription in Harvard oder Yale. Der Wille ist des Menschen Himmelreich.

Frappierend finde ich allerdings doch die Erkenntnis, wie sich, schon bevor ein Mensch geboren wird, andere darüber Gedanken machen, was sie ihm alles verkaufen könnten. Was das betrifft, konnte mir der Abend tiefe Einblicke vermitteln, die ich doch im Falle, dass der Nachwuchs bei mir ausgeblieben wäre, schmerzlich missen würde. Von nun an wird jedenfalls in meinem Curriculum Vitae unter der Rubrik »Fortbildungen« neben fachspezifischen Kursen und Zertifikaten auch noch »Schwangerschaft« zu lesen sein.

Mein Sohn Elisabeth

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