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Interview mit meinem Bauch

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Da über meinen Bauch derzeit ziemlich viel geredet wird, habe ich beschlossen, ihn zum Gespräch zu bitten und selbst einmal zu Wort kommen zu lassen. Hier lesen Sie das vollständige, wahrheitsgemäß und ungeschönt wiedergegebene Interview.

Ich: Ich nenne dich einfach Bauch, ist das in Ordnung? Oder hast du einen anderen Namen?

Bauch: Bauch ist okay. Du kannst aber auch Abdomen oder Chiquita oder Rollmops zu mir sagen.

Ich: Hm. Nein. Dann also Bauch. Du bist in letzter Zeit sehr ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, wie geht es dir damit?

Bauch: Ja, es geht so. Da ich im Privatbereich bereits eine sehr wichtige Position innehabe und mehrmals täglich begutachtet werde, insbesondere dann, wenn ich zuweilen etwas mehr Platz als üblich beanspruche, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Öffentlichkeit für mich interessieren würde. Dass das Echo allerdings so enorm sein würde, damit hätte ich nicht gerechnet. Vor allem, seitdem ich zu einem richtigen Babybauch geworden bin.

Ich: Schmeichelt dir das?

Bauch: In gewisser Weise schon. Andererseits frage ich mich, ob das Blitzlichtgewitter nur von vorübergehender Dauer ist. Mir fällt auch auf, dass überwiegend meine Größe Anlass zu Diskussionen gibt und dazu extrem unterschiedliche Meinungen und Positionen vertreten werden. Die einen meinen, ich sei eher klein, die anderen behaupten, ich sei schon ziemlich beachtlich, mindestens aber unübersehbar, und die Dritten meinen, ich solle nicht zu früh allzu sehr auseinander gehen, wegen später. Das verwirrt mich ein bisschen.

Ich: Mhm. Das ist in der Tat sehr beunruhigend.

Bauch: Aber es tut gut, darüber zu reden.

Ich: Es ist doch keine Art, so über dich zu sprechen und dich im Unklaren zu lassen, wie nun deine Außenwirkung tatsächlich ist.

Bauch: Ja. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich eine Identitätskrise über kurz oder lang nicht ausschließen kann. Manchmal fühle ich so eine innere Leere…

Ich: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich hoffe aber, dir mit diesem Gespräch ein Forum zu bieten, damit du selbst zu den widersprüchlichen Aussagen Stellung beziehen kannst.

Bauch: Danke. Das weiß ich sehr zu schätzen. Ich möchte dazu sagen, dass meine Größe nur bedingt Auskunft über meinen wahren Zustand gibt. Ich bin eben nicht jeden Tag gleich, wer ist das schon. Auch gibt es in meinem Wachstum keine Linearität, es ist also nicht immer kontrollierbar. Ich selbst kann nicht immer vorhersehen, wie sich mein Innenleben verhält, und ich muss in aller Deutlichkeit hier zur Kenntnis geben, dass es sich bei meinem Innenleben durchaus um ein hochkomplexes handelt. Man darf sich das Zusammenspiel der Organe nicht als etwas Statisches vorstellen. Sie sind zuweilen sehr zickig und durchaus nicht leicht zu kontrollieren, wenn ich überhaupt so etwas wie Kontrolle über sie habe.

Ich: Du bist ja mehr so ein Gefäß, oder?

Bauch: Gefäß? Durchaus nicht! Also das ist doch eine unverschämte Aussage. Ich bin ein lebendiges Wesen und nicht irgendein Ding.

Ich: Verzeihung, ich hatte das eher bildlich gemeint.

Bauch: Das ist genau die Ursache für die ganze Polemik! Dass geglaubt wird, ich sei so ein Ding, das man herumschubsen und formen kann, wie es einem so passt. Ich verwehre mich ganz entschieden so einer Bezeichnung!

Ich: Ja. Ich bitte um Entschuldigung. Kommen wir auf deinen derzeitigen Zustand zu sprechen.

Bauch: Ich bekomme ein Kind.

Ich: Ja. Diese Sichtweise ist zwar ein bisschen abdomozentrisch, schließlich ist die Gebärmutter ja die Hauptverantwortliche, aber ich will deine Bedeutung gar nicht in Frage stellen.

Bauch: Naja, es ist doch so: Ich trage so ein wachsendes Ding in mir. Aber glaube nicht, ich bin nur eine Hülle. Ich als Abteilungsleiter sozusagen bin verantwortlich für alle mir unterstellten inneren Organe und somit auch für die Gebärmutter.

Ich: Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.

Bauch: Durchaus. Nicht zu unterschätzen, vor allem in Zeiten der Expansion.

Ich: Kannst du uns noch etwas detaillierter deinen Verantwortungsbereich beschreiben?

Bauch: Sehr gerne. Wenn sich die Gebärmutter zunehmend ausbreitet, muss ich für Platz sorgen und darauf achten, dass dieses schwere Ding nicht irgendwohin rutscht, wo es nicht hin soll. Auf sie ist nicht immer so Verlass, man muss ihr zugute halten, dass sie im Moment nicht gerade unterbeschäftigt ist. Außerdem habe ich Tag und Nacht damit zu tun, den Verdauungsapparat bei Laune zu halten, da nun der ganze Ablauf hormonell etwas durcheinander geraten ist. Ich meine, womit ich es manchmal zu tun kriege, da würde ja kein Schwein seine Nase hineinstecken.

Ich: Was? Ich protestiere! Ich ernähre mich, äh, dich… wirklich sehr gesund.

Bauch: Ich sage ja nur. Mal ist es viel, mal ist es wenig, mal früh, mal spät. So unregelmäßig. Dann schläfst du mitten am Tag und in der Nacht stehst du ständig auf. Ich meine, ich muss das alles händeln!

Ich: Willst du dich beschweren?

Bauch: Nein! Äh. Ja.

Ich: Ach.

Bauch: Ja, wirklich. Gerade in meiner jetzigen Situation bräuchte ich etwas Unterstützung.

Ich: Also wir wollen jetzt aber bitte nicht streiten. Ich tue, was ich kann. Ich bin auch äußeren Gegebenheiten unterworfen. Ich kann nicht immer so, wie ich gerne möchte.

Bauch: Ich verstehe das. Es ist mir nur wichtig, darauf aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass das ständige Gerede über zu groß oder zu klein wirklich für die Fische ist.

Ich: Und das in der Nacht, bitte dafür ist meine Blase zuständig, die dir doch schließlich auch unterstellt ist.

Bauch: Ja. Das stimmt. Die Blase kommt mir schon täglich mit dem Personalrat und beschwert sich, dass die Gebärmutter so einen Druck auf sie ausübt. Ich weiß schon nicht mehr, was ich ihr noch für Zugeständnisse machen soll…

Ich: Wer ist Personalrat im Moment?

Bauch: Die Galle, dieses Jahr. Eine fatale Entscheidung, wenn du mich fragst. Aber ich hatte ja kein Mitbestimmungsrecht in der Generalversammlung.

Ich: Ich verstehe, dass dir das an die Nieren geht.

Bauch: Ja. Das kann man wirklich so sagen. Sehr spitzfindig. Jedenfalls hoffe ich, dass wenigstens der Druck von außen bald nachlässt, denn ich habe mit den inneren Angelegenheiten schon genug zu tun.

Ich: Was würde die Situation allgemein verbessern?

Bauch: Ein anderes Bewusstsein. Den Leuten muss klar werden, dass ich weder ein Arbeitssklave bin, noch dass die ständige Kritik etwas zu meinem Wohlbefinden oder zur Verbesserung meiner Funktionsfähigkeit beiträgt. Außerdem ist mir persönlich jeder Wettbewerbsgedanke fremd, mit wem sollte ich mich auch vergleichen. Die Anforderungen von außen werden immer höher, aber die innere Disposition verändert sich ja nicht oder nur unwesentlich. Wer nicht mehr hat, kann nicht mehr geben.

Ich: Würdest du deine Sensibilität als Stärke bezeichnen?

Bauch: Wie ist das gemeint?

Ich: Nun ja, du scheinst dir alles sehr zu Herzen zu nehmen.

Bauch: Das Herz hat damit nicht wirklich etwas zu tun…

Ich: Das Bauchgefühl vielleicht?

Bauch: Das Bauchgefühl ist, wie sich der Bauch fühlt. Mir ist es, ich wiederhole mich, wichtig, Bewusstsein zu schaffen. Wenn nötig, finde ich klare Worte. Und wenn es gar nicht anders geht, bin ich bereit, zum Äußersten zu gehen und in Streik zu treten.

Ich: Ist das eine Drohung?

Bauch: Nein.

Ich: Ein versöhnliches Schlusswort?

Bauch: Ja. Ich bin jederzeit dialogbereit.

Ich: Danke für das Gespräch!

Bauch: Ich habe zu danken.

Mein Sohn Elisabeth

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