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New York, New York

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Nachdem wir den Samstag bei strahlendem Sonnenschein in der finsteren Halle der Spedition verbracht haben, gönnen wir uns am Sonntag einen Ausflug nach Manhattan. Wiederum nutzen wir den kostenlosen Shuttle-Bus von unserem Hotel zum Flughafen Newark. Dort finden wir einen Touristenbus, der uns ohne Zwischenhalt in die New Yorker Innenstadt bringt. Am Hauptbahnhof steigen wir aus und ich brauche eine Weile, bis ich mich orientieren kann. Immerhin sind 19 Jahre vergangen, seit ich in New York war.

1990 war ich auf meiner ersten längeren Alleinreise mit dem Motorrad fünf Monate in den USA unterwegs gewesen und hatte auch New York besucht. Eine Motorradfahrer-Familie hatte mich damals eingeladen, die außerhalb von New York wohnte. Von dort aus bin ich für einen Tag mit dem Zug in die amerikanische Metropole gefahren. Und genau deshalb kenne ich die Gegend um den Hauptbahnhof eigentlich ganz gut, denn von dort aus fuhr ich damals nach meinem Stadtbummel auch wieder zu meinen Gastgebern zurück.

Auf unserem Weg in Richtung Freiheitsstatue schwelgt auch Sjaak in Erinnerungen, weil wir in der Nähe des Hostels vorbeikommen, in dem er vor einigen Jahren übernachtet hatte. Und als wir Ground Zero erreichen, schweigen wir beide betreten. Bei meinem ersten Besuch in New York stand dort noch das World Trade Center. Nun klafft ein riesiges Loch in der Architektur von Manhattan und in den Herzen der Hinterbliebenen. Am berühmtesten Ort der Attentate vom 11. September 2001 wurde ein Bauzaun errichtet und steht dort acht Jahre später immer noch.

Ich würde mir wünschen, die Amerikaner fänden einen anderen Weg, mit der Trauer und dem Schmerz umzugehen, den die Terrorakte verursacht haben. Zäune zu errichten und wütend um sich zu schlagen und damit neues Leid auf der Erde zu verursachen, scheint mir keine gute Lösung zu sein. Aber vielleicht ändert sich diesbezüglich bald etwas. Immerhin haben die Amerikaner Barak Obama zu ihrem Präsidenten gewählt und ich hoffe sehr, dass er die Visionen, mit denen er die Wahl gewonnen hat, auch tatsächlich, wenigstens zum Teil, umsetzen kann.

Mit dem Wetter haben wir richtig Glück, die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel. Richtig bewusst wird uns das aber erst, als wir am Battery Park ankommen. Dort legt die Fähre zur Freiheitsstatue ab. Ich habe die Dame schon einmal besucht. Aber nach 19 Jahren kann man durchaus wieder einmal vorbeischauen, denke ich mir und begleite Sjaak, der Lady Liberty noch nicht persönlich kennt.

Alleine die Bootsfahrt ist für mich das Ticket wert. Ich liebe das Schaukeln des Schiffes, den Blick aufs offene Meer hinaus und den Seewind, der mir durch die Haare fährt. Und eigentlich gefällt mir Manhattan vom Schiff aus am besten: Die Skyline der Stadt kommt von dort aus erst richtig zur Geltung, und ich mache ein Foto nach dem anderen, mit der Kamera und mit meinem Gedächtnis.

Dann rückt Ellis Island in mein Blickfeld. Zwischen 1892 und 1954 kamen dort rund zwölf Millionen Menschen an, die in die USA immigrieren wollten. Sie nannten Ellis Island die Insel der Tränen, weil dort entschieden wurde, ob sie in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten einreisen durften oder nicht. Aber die Ängste und Zweifel, die Sorgen und Freuden der Menschen, die dort in den Schlangen standen, sie geraten allzu schnell wieder in Vergessenheit, als wir uns der Grande Dame der amerikanischen Nation nähern. Die Leute um mich herum beginnen wild zu knipsen, machen Bilder von der Statue, fotografieren sich gegenseitig und teilen untereinander ihre Begeisterung für dieses weltbekannte Symbol für die Freiheit der Menschen.

Verblüfft stelle ich fest, dass auch mich der Anblick dieser Sehenswürdigkeit stark bewegt. Sie hat mir damals schon gefallen, als ich mit gerade einmal 23 Jahren zu ihren Füßen lag und versuchte, der Dame unter den Rock zu fotografieren. Inzwischen bin ich 42, weiß eine ganze Menge mehr und bin vermutlich noch ein bisschen sensibler geworden für die Emotionen, die diese symbolträchtige Figur in den Menschen ausgelöst hat, die sie seit 1886 gesehen haben, als die Franzosen sie der jungen amerikanischen Nation zum Hundertsten Jahrestag ihrer Erklärung der Unabhängigkeit geschenkt haben. Die Statue soll die Amerikaner daran erinnern, dass sie ihre Unabhängigkeit unter anderem der Unterstützung durch die Franzosen verdanken. Dabei wollte der Ideengeber zu der Statue, der französische Rechtswissenschaftler Édouard René Lefebvre de Laboulaye, damit ursprünglich die Befreiung der Sklaven und den Sieg der Union über die Konföderierten des Südens feiern.

Auch Sjaak begeistert sich für die Freiheitsstatue und die Skyline von Manhattan und wir filmen und fotografieren beide, sowohl die beiden als auch uns beide. Mit der letzten Fähre kehren wir auf das Festland zurück und Sjaak ist müde. Er setzt sich im Inneren des Schiffs auf eine Bank, während ich mir noch einmal an der Reling die Seeluft um die Nase wehen lasse. Es dämmert bereits und ich bewundere die dunkle Silhouette der Freiheitsstatue, die sich wie ein Scherenschnitt vom hellen Himmel abhebt.

Als ich mich zum Festland umdrehe, stockt mir der Atem: Die untergehende Sonne lässt die Skyline von Manhattan in den Farben des Abendlichts aufleuchten. Ich reiße die Kamera hoch:

»Diesen Effekt kann keine Bildbearbeitungs-Software herstellen«, denke ich bei mir, und drücke schnell mehrere Male auf den Auslöser. Meine Befürchtung, die Farben würden bald verlöschen, erfüllt sich nicht. Also laufe ich los und hole Sjaak, damit er das Spektakel ebenfalls miterlebt. Unsere Augen leuchten bei dem sagenhaften Anblick beinahe ebenso wie die Fassaden der Wolkenkratzer.

Wir wollen unseren Tag in Manhattan in einem gemütlichen Lokal ausklingen lassen. Aber wir laufen bis zum Times Square, ohne ein passendes Restaurant zu finden. Inzwischen ist es dunkel und die Leuchtreklamen an dem berühmten Platz stürmen mit voller Kraft auf uns ein. In den Bauvorschriften der Stadt New York ist festgelegt, dass jede neue Fassade am Time Square mit hell erleuchteten Werbetafeln zu versehen ist. Mir wird fast schwindlig beim Anblick der vielen Laufschriften und bewegten Bilder auf den Anzeigentafeln. Aber mein Blick wird immer wieder vom One Time Square angezogen.

Das Gebäude wurde 1907 als Verlagshaus der New York Times Magazins errichtet und dominiert die Anzeigenwelt des Platzes. Bereits 1928 wurde dort eine Nachrichten-Laufschrift in Betrieb genommen, die die Passanten mit Neuigkeiten versorgte. Inzwischen ist oberhalb davon ein riesiger Bildschirm montiert, auf dem Nachrichten ausgestrahlt werden. Aber der Straßenlärm um mich herum passt nicht zu den Bildern, die dort gezeigt werden, und ich wende mich verwirrt ab, fühle mich von der mich umgebenden, überdimensionalen Multimediawelt wie erschlagen.

»Lass uns zur Bushaltestelle gehen« schlage ich vor und Sjaak nickt zustimmend. Als ich ein McDonalds Schild entdecke, möchte ich dort kurz auf die Toilette gehen, weil deren Sauberkeits-Standard weltweit hoch ist und von mir überall sehr geschätzt wird. Während wir auf das markante Schild zu schlendern, erzähle ich Sjaak, dass ich bei meinem ersten Besuch in Manhatten im Finanzdistrikt dieselbe Idee hatte, bis ich plötzlich vor einer Glastüre stand, die mir von einem Türsteher in schwarzem Frack aufgehalten wurde. Hatte ich mich von einer Werbetafel täuschen lassen? Nein, im Inneren entdeckte ich die gewohnte Theke mit den bunten Bildern der verschiedenen Gerichte. Der Mann am Eingang hielt mir weiter mit weißen Handschuhen die Türe auf und erklärte mit freundlichem Lächeln:

»Wir feiern heute Neueröffnung.« Drinnen spielte ein Pianist an einem großen, schwarzen Flügel und ich beschloss spontan, dass dies der richtige Platz sei, um meinen Pflicht-Hamburger in den USA zu essen.

Inzwischen haben wir die Türe unter dem bekannten rot-gelben Schriftzug erreicht. Die Glasscheiben sind dunkel getönt und erlauben keinen Blick ins Innere des Lokals. Und wir müssen die Türe selbst öffnen um einzutreten. Plötzlich versetzt laute Technomusik die Trommelfelle unserer Ohren in Schwingung.

»Was ist das?« rufe ich Sjaak zu, der als Antwort nur selbst verwundert mit den Schultern zuckt. Grinsend blicken wir uns um. Die Theke mit den Bildern ist da, aber ansonsten hat das Ambiente des Lokals nichts mit dem guten alten Familien-McDonalds alter Tage zu tun.

Der Boden ist schwarz, die Wände sind grau und die Fenster verdunkelt. Auf einer riesigen Leinwand werden Musikvideos gezeigt und die Beleuchtung übernehmen große Studioscheinwerfer und kleine LED-Leuchtkörper. Die Einrichtung wird von gebürstetem Edelstahl dominiert und in einem langen Gang kann man vor einzelnen kleinen Bildschirmen Platz nehmen, um alleine oder in einer kleinen Gruppe während des Essens Musikvideos anzusehen. Auf den Straßen des Broadway flimmern die bunten Kulissen der Theater, und Mc Donald‘s versucht in diesem Lokal, die Stimmung im Bereich hinter der Theaterbühne zu erzeugen.

Wir haben das passende Lokal gefunden, um unseren Tag in New York ausklingen zu lassen. Sjaak bestellt sich einen Hamburger, ich nehme Pommes mit Cola. Dann setzen wir uns auf der Empore an einen Tisch und überlassen es dem Rhythmus der Musik, unseren Kreislauf weiter anzutreiben – wir sind in Amerika.

Winterreise nach Alaska

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