Читать книгу Winterreise nach Alaska - Doris Wiedemann - Страница 16
Frühling in Virginia
ОглавлениеSjaak hat am Vorabend die Videos unserer Packaktion gesichtet und via Internet zu Marcus in den Niederlanden geschickt. Dieser macht aus dem Material einen kleinen Clip und stellt ihn ins Internet. Ich habe währenddessen die Adresse von Rusty‘s Motorradladen Triangle Cycle North in Danville herausgesucht und mit Hilfe eines kostenlosen Internet-Routenplaners ein kleines Roadbook zusammengestellt. Die Notizen und Sjaaks Erinnerungsvermögen bringen uns ohne Umwege ans Ziel. Rusty ein bisschen verblüfft, weil er uns aufgrund von Sjaaks letzter E-Mail erst in ein paar Tagen erwartet hat. Aber nach einer kleinen Schrecksekunde heißt er uns herzlich willkommen.
Wir dürfen seine Werkstatt benutzen, um ein bisschen an unseren Motorrädern zu schrauben. Wir haben beispielsweise die Xenon-Lichter von Touratech noch nicht an unsere Bikes montiert. Mit den Lampen haben wir bei geringem Strombedarf exzellente Sicht. Und das kann im kalten und dunklen Norden ein großer Vorteil sein. Ich bin mir nämlich keineswegs sicher, ob die Lichtmaschine so viel Strom liefert, dass ich alle Heizklamotten, von den Socken bis zum Visier, gleichzeitig nutzen kann.
Zum Übernachten stellt uns Rusty auf seiner Ranch ein komplett eingerichtetes Farmhäuschen zur Verfügung. Ich verliebe mich sofort in das kleine Schmuckstück. Es empfängt uns mit traditionellem Flair und modernem Komfort, ganz ohne Kitsch. Und so plumpse ich nach einer wunderbaren heißen Dusche mit einem Jubelschrei auf das hölzerne Himmelbett mit der handgenähten Steppdecke, dem bekannten amerikanischen Quilt. Sämtliche Zimmer werden mit einer Zentralheizung angenehm temperiert. Und im Wohnraum gibt es als kleines Extra noch einen Holzofen. Den lassen wir jedoch kalt und besuchen stattdessen Rusty und seine Frau Helen im Haupthaus, wo wir vor einem schrankgroßen offenen Kamin beisammensitzen. Während wir uns angeregt unterhalten, dreht ein Teil unserer Klamotten ein paar Runden, zunächst in der Waschmaschine und danach im Trockner.
Ich mag Rusty und Helen und ihre Farm und würde gerne länger bleiben. Trotzdem bin ich diejenige, die ungeduldig wird, denn Sjaak schraubt eineinhalb Tage lang an seinem Motorrad herum. Wir sind nun bereits seit neun Tagen in Amerika und haben noch nicht einmal Florida erreicht. Eigentlich wollten wir mit dem Flug nach New York Zeit gewinnen. Stattdessen habe ich inzwischen das Gefühl, wir verlieren so viel Zeit, dass wir den echten Winter im Norden verpassen werden. Abgesehen davon haben wir nur zwei Monate für die Reise geplant. Das habe ich so auch mit meinen Auftraggebern in Deutschland abgesprochen, und mir gefällt der Gedanke nicht, dass ich die nach meiner letzten Reise neu aufgebauten Geschäftsbeziehungen nun schon wieder wegen einer Reise verliere.
Am nächsten Tag klettert die Quecksilbersäule des Thermometers über die 20 Grad-Markierung. Wir bekommen von Rusty T-Shirts mit dem Logo seines Ladens geschenkt und machen uns damit wieder auf den Weg in Richtung Süden. Ich überrede Sjaak, eine Nacht auf einem Campingplatz zu verbringen. Dort haben wir keinen Internet-Anschluss und können deshalb keine Videos verschicken. Aber ich hatte sowieso nicht damit gerechnet, dass wir jeden Tag ein Video ins Internet stellen können, und das auch Sjaak gegenüber so geäußert. Diesen Punkt haben wir jedoch offensichtlich vor der Abreise nicht ausreichend geklärt.
Das Aussortieren und Versenden der Videos erweist sich als großer Zeitfresser. Sjaak lässt sich dabei weder in die Karten schauen noch helfen. Und der Mac kommt mit den Videos der Canon-Kamera auch nicht zurecht. Er macht unendlich große Dateien daraus und ich kenne mich momentan weder mit Videos noch mit dem Mac aus. Aber von Sjaak bekomme ich auch keine echten Anreize, mich damit auseinanderzusetzen. Denn eine Diskussion darüber, wie wir das Ganze effizienter gestalten könnten, ist völlig ausgeschlossen. Sjaak hat seinen Plan und ist darin so gefangen, dass er jede davon abweichende Idee wie einen persönlichen Angriff abwehrt. Vielleicht treffe ich auch ganz einfach nicht den richtigen Ton. Auf alle Fälle habe ich bereits in New York aufgegeben, mich einzumischen. Eigentlich finde ich das schade, weil ich glaube, dass wir unsere gegensätzlichen Denkweisen auch als Vorteil nutzen könnten, um kreative Lösungen zu finden. Aber es gelingt uns leider nicht.
Zudem macht sich Sjaak auf dem Campingplatz Sorgen wegen seinem Gepäck. Er kann zwar den Deckel seiner Topbox mit Vorhängeschlössern abschließen, die Kiste selbst kann man aber theoretisch komplett mitnehmen, wenn man weiß, wie das geht. Und die Zega-Boxen haben gar keine Schlösser. Sie können jedoch nur dann geöffnet werden, wenn die Topbox abmontiert oder zumindest verschoben wird. Deshalb sehe ich das Ganze etwas gelassener. Wir sind auf einem Campingplatz in einer ländlichen Gegend in Nordamerika, also dort, wo die Leute zum Teil sogar die Türen ihrer Häuser unversperrt lassen. Unglücklicherweise bringt meine Gelassenheit Sjaak nur noch mehr in Rage, anstatt ihn zu beruhigen. Also versuche ich, den lauen Abend unter dem Sternenhimmel für mich alleine zu genießen. Die anderen Gäste des Campingplatzes leben in zwei großen Wohnmobilen und kommen erst, als wir bereits in unsere Schlafsäcke gekrochen sind. Schade. Ich hätte mich gerne noch ein bisschen nett unterhalten.