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Vorwort und Einleitung

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„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“

Joachim Ringelnatz

Überall, wo unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten oder sich begegnen, entstehen positive Effekte wie Kollegialität, Freundschaft, ein Gemeinschaftsempfinden und ein Miteinander. Aber zum menschlichen Zusammenleben gehören auch negative Dynamiken aufgrund solcher Aufeinandertreffen. Ausufernde Streitigkeiten, Drohungen, Übergriffigkeit und sogar körperliche Gewalt sind hierfür Beispiele. Findet dies am Arbeitsplatz statt, spricht man von Workplace Violence.3

Und längst betreffen Kriminalität und abweichendes Verhalten nicht nur Polizei- und Vollzugsbeamte. Auch Beschäftigte in Jobcentern, Finanzämtern, (Hoch)Schulen und diversen kommunalen Einrichtungen sehen sich zunehmend mit Aggressionen und Gewalt konfrontiert, obwohl gerade sie ihren Dienst für den Bürger versehen. Selbst Rettungskräfte der Feuerwehr und medizinischer Ersthilfe werden zunehmend zum Ziel entladender Aggressionen im öffentlichen Raum. Betroffene und Beobachter berichten von einer Zunahme, die mittlerweile auch die Politik auf den Plan ruft, um die Helfer im Berufsalltag besser zu schützen.4

In der Öffentlichkeit wird das Thema von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst meist nur dann registriert, wenn es zu Tötungsdelikten kommt. Am 16. Januar 2020 attackierte ein 58-Jähriger eine 50-jährige Mitarbeiterin im Jobcenter in Rottweil mit einem Messer und verletzte sie schwer. Die Tat kündigte er zuvor auf Twitter an und kommentierte sie nach Beendigung ebenfalls.5 Doch längst nicht nur in Deutschland finden Gewaltattacken in Tötungsabsicht statt. Am 31. Mai 2019 schockierte ein Amoklauf im US-Bundesstaat Virginia die Öffentlichkeit: Freitagnachmittag stürmte ein 40-jähriger Angestellter in ein Gebäude der Stadtverwaltung von Virginia Beach und tötete zwölf Menschen, vier mussten in Krankenhäusern operiert werden. Elf der Opfer waren Angestellte der Stadt. Augenzeugen berichten von Schüssen, Panik und Todesangst der Anwesenden.6

Im Rahmen der seit April 2016 laufenden dbb-Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ kann man sich einen beinahe tagesaktuellen bundesweiten Überblick über gewaltsame Übergriffe gegen im Öffentlichen Dienst tätige Personen verschaffen.7 Tatsächlich kann einem in sämtlichen öffentlichen Einrichtungen, vom Einwohnermeldeamt bis hin zu einer Hochschulverwaltung alles an Gewalt und abweichendem Verhalten begegnen. Reichsbürger, Extremisten, Menschen mit Suchtproblemen oder psychischen Störungen oder auch organisiert-kriminelle Strukturen sind behördliches Gegenüber und sie stellen eine enorme Herausforderung und unter Umständen sogar eine Bedrohung für das eigene Leben dar. Zudem können Mitarbeiter von sexueller Gewalt bedroht oder sie können Häuslicher Gewalt und Stalking ausgesetzt sein und Hilfe bedürfen, um weiter ihrer Arbeit nachgehen zu können. Doch auch innerhalb der Dienststellen kann es zu Auseinandersetzungen und Belästigungen kommen, die ein akzeptables Maß überschreiten und in die eingegriffen werden muss, um den Frieden am Arbeitsplatz wiederherzustellen.

Es sind nicht nur besonders exzessive Gewalttaten, die wir in Deutschland beispielsweise durch Amokläufe in Schulen wie in Erfurt und Winnenden bereits erleben mussten.8

Auf die Gefährdung der Beschäftigten wird ebenfalls meist erst dann reagiert, wenn eine schlimme Gewalttat an einem Arbeitsort stattgefunden hat. Doch meist geht es gar nicht um exzessive Gewalttaten. Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind vor allem alltäglicher Gewalt ausgesetzt, die sich nicht nur auf verbale Angriffe und Drohungen beschränken muss. In vielen Einrichtungen, in denen Kundenverkehr besteht, gehört ein Sicherheitsdienst zum Standard. Doch noch immer wird vor allem nicht-physische oder „leichte Gewalt“ zu häufig hingenommen. Zum einen, weil die Beschäftigten es aus dem Gewöhnungseffekt nicht mehr als Übergriff wahrnehmen und zum anderen, weil sie Angst haben, dagegen vorzugehen. Dafür bedarf es der entsprechenden Priorität in der Führungsebene und Rahmenbedingungen in den Behörden, die den Beschäftigten Sicherheit geben.

Für Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen ist nicht fakultativ, sondern eine elementare Aufgabe jeder Führungsebene. Denn Gewalt und Bedrohungen am Arbeitsplatz sind

1. ein ethisches Risiko für jede Behördenleitung, da es eine Verantwortung für die Sicherheit der Mitarbeiter gibt,

2. ein Unternehmensrisiko, da vor allem schwere Gewalttaten zu negativen Folgen führen wie Angstverhalten am Arbeitsplatz, ein entsprechend hoher Krankenstand und auch Reputationsschäden für die Behörde,

3. damit einhergehend auch ein Kostenfaktor, weil Arbeitsausfall als Folge sich als Kosten monetär niederschlägt (z. B. notwendige Einstellung befristeter Arbeitskräfte, Strafzahlungen aufgrund von Verfristungen, etc.),

4. ein gesetzliches Risiko, da möglicherweise Schadenersatzansprüche entstehen können, wenn auf Warnsignale der Gewalt nicht reagiert wurde.9

Häufig verfassen Einrichtungen mit Kundenverkehr Verhaltensregeln, die sichtbar am Eingangs- oder im Wartebereich angebracht sind. Das In-Erinnerung-Rufen bestimmter Benimmregeln ist nie verkehrt, wenn es als Anweisung klar formuliert ist. Gefährder als Personen, die zu Gewalthandlungen neigen, wissen dann, dass in dieser Einrichtung eine Sensibilisierung für das Thema Gewalt existiert. Aber es schützt die Beschäftigten allerdings nicht vor Übergriffigkeiten und Anfeindungen. Sicherheit im öffentlichen Dienst ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis sorgfältig getroffener Maßnahmen.

Um beim Arbeiten dauerhaft produktiv sein zu können, möchten sich Beschäftigte in einem bestimmten Maße wohlfühlen. Dazu ist es wiederum notwendig, dass sie ein Gefühl von Sicherheit an ihrem Arbeitsplatz haben. Entsprechend wichtig ist es, dass Beschäftigte wissen, dass ihr Arbeitgeber ihrer Sicherheit höchste Priorität einräumt. Der Schutz von Leben und Gesundheit der Beschäftigten erfordert es, Vorkehrungen für den Notfall zu treffen. Jedoch kann keine noch so detaillierte Regelung den absoluten Schutz des Einzelnen gewährleisten; es ist ausgeschlossen, für jede Gefahrensituation ein wirksames Abwehrverhalten gegenüberzustellen. Gefährdungspotentiale zu erkennen, wirksame Schutzkonzepte sowohl strukturell, als auch für den einzelnen Mitarbeiter zu installieren, sind Gegenstand des Handbuches.

Unser Ziel ist es, gesammelte Erfahrungen und Sachverhalte aufzugreifen und Möglichkeiten zum Umgang aufzuzeigen, ohne dabei den Anspruch zu erheben, dass wir damit allgemeingültige Lösungen anbieten können. Das Handbuch soll helfen, Ansätze für Problemlagen zu entwickeln, um die Beschäftigten zu unterstützen, Risiken zu senken, Sicherheitsmängel zu beseitigen und insgesamt zu einem gesteigerten Sicherheitsempfinden am Arbeitsplatz beizutragen. Wenn ein Vorfall passiert ist, bedarf es Maßnahmen zum Wiederherstellen bzw. zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit. Sie werden sich, auch nach der Lektüre des Handbuches, nicht sofort auf bedrohliche Momente einstellen oder für solche „präparieren“ können. Das eigene Sicherheitsempfinden zu steigern und Schutzmechanismen zu entwickeln, ist ein Lernprozess, der Übung erfordert.

Wir hoffen, mit den nachfolgenden Ausführungen einige Ansätze zu bieten, die Sie in Ihren Arbeitsalltag integrieren können, und die dazu beitragen, Ihr Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz zu steigern.

Mülheim an der Ruhr/Northeim, im April 2020

Sicherheit für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst

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