Читать книгу Das Osmanische Reich - Douglas Dozier Howard - Страница 8

Einleitung

Оглавление

Der berühmte türkisch-armenische Fotojournalist Ara Güler hat einmal erzählt, wie er 1958 losgeschickt wurde, um über die Einweihung eines neuen großen Staudamms am Fluss Mäander (Menderes) in der Türkei zu berichten. Er reiste aus Istanbul an, und für die dreistündige Anfahrt zu diesem Termin stellte ihm der Provinzgouverneur einen Wagen samt Fahrer zur Verfügung. Der Fototermin zog sich in die Länge. Auf der Rückreise behauptete Gülers Fahrer, er kenne eine Abkürzung durch die Berge, aber sie verirrten sich, die Sonne ging unter, und im Dunkeln konnten sie die Richtung nicht ausmachen. Als sie vor sich ein Licht sahen, hielten sie in einem Dorf an einem Kaffeehaus und fragten, ob es eine Übernachtungsmöglichkeit dort gebe. Während sich Gülers Augen an das trübe Licht im Innern gewöhnten, erkannte er in dem Kaffeehaus nicht etwa Tische, sondern sah, dass die Männer auf den Oberseiten antiker Säulen Karten spielten.1

Am nächsten Morgen machte Güler einen Rundgang und fotografierte dabei. Das Dorf namens Geyre war vollständig inmitten der Ruinen einer antiken römischen Stadt errichtet worden. „Etwas Seltsameres habe ich nie im Leben gesehen“, erinnerte er sich später. „Die Leute sagen zwar: ‚Eine Ruine ist wie die andere‘, aber das hier war etwas völlig anderes – Vergangenheit und Gegenwart existierten übereinander.“2 Gülers Fotos sorgten für einiges Aufsehen, als er sie zurück nach Istanbul brachte und seiner Redaktion zeigte. Eine amerikanische Zeitschrift wollte die Bilder und gab einen Artikel in Auftrag. Als Autor schlug Güler den angesehenen Archäologen Kenan Erim von der New York University vor. Im Lauf der nächsten drei Jahrzehnte besorgte Professor Erim die nötigen Geldmittel und grub die Fundstätte aus – aber erst nachdem das ganze Dorf an einen neuen, gut anderthalb Kilometer entfernten Standort verlegt worden war.

Wer heute Aphrodisias besucht, ist beeindruckt vom Ausmaß des Ruinenfelds, von den umfangreichen Überresten, die sich an einer landschaftlich ausgesprochen schönen Stelle erhalten haben, und von dem nahe gelegenen, attraktiven Museum, in dem zahlreiche Funde ausgestellt sind. Aber ohne das Dorf und nach der Verwandlung der Grabungsstätte in eine große Touristenattraktion war das „Aphrodisias des Lebens“, wie Güler es nannte, in dem die Menschen die Ruinen in ihr Alltagsleben einbezogen hatten, verschwunden. Der Ort, bemerkte er, sei jetzt Geschichte.3

In Gülers Fotografien aus den 1950er-Jahren finden Grundzüge einer Lebenseinstellung, einer Weltsicht Ausdruck, die das Thema dieses Buches sind. Seine Bilder boten weder nostalgische Momentaufnahmen vom Landleben für ein Stadtpublikum, noch stellten sie gönnerhaft eine vermeintliche dörfliche Überzeitlichkeit einem vermeintlichen modernen Geschichtsbewusstsein gegenüber. Stattdessen zeigten die Fotos den vertrauten Umgang der Dörfler mit antiken Überresten, ihre leichtherzige Hinnahme der Natürlichkeit eines Lebens zwischen den Trümmern der Vergangenheit, die ihre alltägliche Landschaft bevölkerten. Diese Haltung steht dem Bedürfnis entgegen, Ruinen zu sammeln und auszustellen, mit Absperrungen zu umgeben und zu konservatorischen oder pädagogischen Zwecken zu musealisieren.

Aphrodisias, die antike Stadt, war in römischer Zeit ein wichtiges Zentrum des Aphroditekults und eine Kunstmetropole. Nach der Christianisierung wurde es in der Spätantike Bischofssitz. Seit etwa 1000 n. Chr. machten wandernde Turkmenenstämme Aphrodisias zum Ziel blutiger Überfälle, die Stadt entvölkerte sich langsam und wurde schließlich aufgegeben.4 Doch in den Katastern des Osmanischen Reiches ist das Dorf verzeichnet und trägt den Namen Gerye. Zwar noch nicht in den ersten Vermessungsakten der Region aus den 1460er-Jahren,5 sehr wohl aber in der Landesaufnahme von 1530 erscheint es, und dazu ein Markt.6 Irgendwann während der Jahrzehnte zwischen den beiden osmanischen Katastervermessungen ist das Ruinenfeld neu besiedelt worden. Mit seiner Lage inmitten der Ruinen war Gerye exemplarisch, aber wahrscheinlich kein Einzelfall. Die osmanische Geschichte, der Gegenstand dieses Buches, spielte sich in alten Ländern mit langer Vergangenheit ab, die an wichtige Wasserwege wie die Ägäis, das Schwarze Meer und das Mittelmeer grenzten. Überall in dieser Landschaft verstreut lagen Ruinen.


Abb. I.1: Dörfler auf den Feldern in Aphrodisias (1958). Foto: Ara Güler. Mit freundlicher Genehmigung von Magnum Photos

Das Osmanische Reich

Подняться наверх