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Ruinen als Metapher

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Für Autoren der osmanischen Zeit standen Ruinen für Verlust, jedoch für etwas weit Größeres als nur verlorene Kulturen oder den Verlauf der Zeit. Gleichwohl pflegten osmanische Autoren die Erinnerung an die Vergangenheit. In einem denkwürdigen Abschnitt des Buches der Bittgebete, das um 1500 entstand und für Generationen osmanischer Leser zu einem spirituellen Klassiker wurde, marschiert eine lange Reihe von Helden durch eine lyrische Litanei auf die verlorene Zeit. Die Propheten sind vertreten, angefangen mit Jesus und Moses, dazu die Heiligen, von den rechtgeleiteten Kalifen bis zu Sufi-Meistern wie Rumi. König Dareios kommt vor, Nebukadnezar und die Pharaonen von Ägypten. Die Meister der hellenistischen und indischen Wissenschaften treten auf, unter ihnen Platon, Aristoteles und Galen, dazu die ganze Heldenschar aus dem persischen Schāhnāme (Buch der Könige), „die alle auf der Wahrheit gegründet wohnten, manche freudig, andere voller Leid“. Die Aufzählung endet mit einer Klage:

Wo sind die Kaiser, Byzanz-Hegemone,

Wo, die als „Chosrau“ besaßen die Throne?

Wo sind, die als Kalifen den Muslimen befahlen?

Wo sind, die als Fürsten sich diesen Menschen empfahlen?

Wo ist der Marwaniden Pracht,

Wo ist der Abbasiden Macht?

Wo Dschingis-Khan und Söhne nun spielen,

Wo seine Kinder und Enkel, die vielen?

Seldschukische Fürsten sind wo nur geblieben,

Die Osmanensultane wohin jetzt vertrieben?

Wo blieb Sultan Mehmet und seine Größe,

Auf deren hehre Kraft man noch stöße?

Wohin verschwand seine rohe Gewalt,

Wozu nahm sein Springen und Reiten Gestalt?

Wo sind Regierungskraft und Entschluss?

Wo Größe und Mut aus einem Guss?7

Doch für osmanische Schriftsteller waren die Ruinen mehr als nur das. Ruinen standen für den Verlust, den alles im tiefsten Inneren trug. Wenn osmanische Dichter von „Ruinen“ sprachen, meinten sie üblicherweise das Herz oder aber eine Schänke – sie waren ein und dasselbe, und beide waren Trümmerstätten. Figani (gestorben 1532) schrieb:

Seit das steinerne Herz meines Herzens Provinz hat verheert,

Man sieht: Kein Stein auf dem andern, die Stadt ist zerstört.8

Oder Esrar Dede (gestorben 1796):

In Kneipen tust du´s oder lässt es dir tun –

Als Ruinen die gebauten Werke nur ruhn.9

In den Augen von Yahya (gestorben 1644) entsprachen die Ruinen, die sich über die Landschaft verteilten, dem verwüsteten und verwaisten Zustand seines Herzens.

Das Hausherz zerstöre, lasse nicht Stein auf Stein –

Dies tue, den Fremden sollen es Ruinen sein.10

Aber in Ruinen zu liegen war für die Dichter nichts Schlechtes. So schmerzlich die Erfahrung auch sein mochte, begrüßten sie sie doch, denn sie allein bot ihnen die Möglichkeit zum Einblick in das wahre Wesen der Dinge. Ruiniert zu sein, in einem Zustand völligen Verlorenseins – nur unter solchen Umständen war ein innerer Wandel möglich, und innerer Wandel war das, worum es im Leben ging. Verfall war keine Tragödie, er war der Sinn der Sache. Das dunkle Innere einer Taverne, eingehüllt in den Schmerz des Verlangens und Liebeskummers, erhellte das Innere des Herzens. Sich langsam zu betrinken war wie in einen Schlaf zu sinken, jedoch in einen, aus dem ein spirituelles Erwachen möglich war. So zum Beispiel Fuzuli (gestorben 1556):

Den Schatz seines Wohls im Winkel der Kneipe Fuzuli sich fand,

Das Segens-Reich nicht zerfalle, Gott verleihe Bestand!

Und Revani (gestorben 1524):

Dem Wein wie sein Schaum die Frömmler gaben die Kronen,

Betrunken von Kneipe zu Kneipe die Welt nun bewohnen.11

Das Osmanische Reich

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