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7. Der verrückte Mönch

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Im Theologischen Seminar von St. Petersburg lernte Rasputin einen Geistlichen kennen, der einer seiner größten Verbündeten werden sollte – und einer seiner größten Feinde. Das Leben von Sergei Trufanow war fast so außergewöhnlich wie das von Rasputin. Er stammte aus einer Kosakenfamilie und wurde 1880 am Don im Süden Russlands geboren. Im Jahr 1901 trat er dem Theologischen Seminar bei und wurde ein Protegé von Feofan und Bischof Sergei, unter dessen Leitung er im November 1903 zum Mönch geweiht wurde und den Ordensnamen Iliodor erhielt. Nach seinem Abschluss am Seminar im Sommer 1905 wurde Iliodor als Dozent für Homiletik an die Theologische Hochschule Jaroslawl berufen. 1906 unterrichtete er dann am Seminar von Nowgorod, und noch im selben Jahr wurde er ins Heilige Himmelfahrtskloster in Potschajewsk im Westen der Ukraine versetzt.

Dass er in so schneller Folge so viele Stationen absolvierte, war nicht etwa eine Auszeichnung: Es lag an Iliodors rebellischem Wesen. In der lokalen Presse von Potschajewsk war über den jungen Mönch zu lesen: „Dieser bemerkenswerte Mann, fast noch ein Junge, mit seinem sanften, hübschen, weiblichen Gesicht, der dennoch einen mächtigen Willen hat, zieht stets Scharen gewöhnlicher Menschen an, wo er auch auftaucht. Seine leidenschaftlichen, inspirierenden Worte über Gott und die Liebe zu Zar und Vaterland hinterlassen einen tiefen Eindruck beim Volk und wecken in ihm den Hunger nach Heldentaten.“1

Selbst seine Gegner mussten zugeben, dass Iliodor ein außergewöhnlicher Redner war. Er konnte die Menschen fesseln wie kaum ein anderer und brachte viele dazu, ihm zu folgen. Nur die Richtung, in die sie ihm folgen sollten, war eine üble. Mochte Iliodor auch aussehen wie ein Engel – seine Seele war die eines Verbrechers. Ein Biograf hat ihn als „Protofaschisten“ bezeichnet. In einer Zeit, in der der Antisemitismus ohnehin sehr verbreitet war, war Iliodor für seinen besonders extremen, gewaltbereiten Hass auf die Juden bekannt. Er unterstützte lautstark den monarchistisch-nationalistischen Bund des russischen Volkes (der zu den berüchtigten Schwarzhundertern gehörte) und attackierte jeden, den er als Feind sah. Bald begann er, seine Ansichten in einer Reihe von Artikeln und Broschüren unter die Leute zu bringen. Darin behauptete er, dass Russland sich „fest in jüdischen Ketten“ befinde.2

Seiner Broschüre von 1906 mit dem Titel Wann ist das endlich alles vorbei?, in der er sich direkt an den Zaren wendet, kann man entnehmen, welches Bild Iliodor von Russland hatte. Das Land, schrieb er, werde von den Juden, den Journalisten, der Duma und der „kriminellen Menschlichkeit“ des russischen Rechtssystems zugrunde gerichtet. Das „Ende der Zeiten“ sei nah: „Wir sind überzeugt davon und predigen unerbittlich, dass eines Tages die Zeit des Antichrists für das Heilige Russland anbrechen wird.“ Russland könne aber gerettet werden, es sei noch nicht zu spät, ließ Iliodor seine Leser wissen, nur müsse der Zar endlich handeln, und zwar mit starker Hand: Gewalt sei die einzig richtige Antwort. Die Todesstrafe müsse wieder eingeführt werden. Wer es wage, den Namen Gottes zu beleidigen, müsse „auf grausamste Art und Weise hingerichtet werden“. Die russischen Gerichte müssten endlich die ihnen angestammte Rolle wieder einnehmen als „kürzester Weg zum Galgen, zum Beil, zur Kugel“. Und man solle solchermaßen nicht nur Verbrecher bestrafen, sondern auch „Verleumder, lügende Journalisten und Anstifter!“ Im ganzen Land, vor allem aber am Zarenhof, müsse man „alle, in deren Adern ausländisches Blut fließt“, zusammentreiben und aus Russland verbannen. Die Tür zum Westen, die Peter der Große 200 Jahre zuvor aufgestoßen habe, müsse sofort wieder geschlossen werden, und zwar für immer. Um den Herrscher in diesem epochalen Kampf zu unterstützen, stelle Iliodor sich als treuester Untertan vor Nikolaus. Er sei bereit, Russland auch noch vom letzten westlichen Überbleibsel reinzuwaschen. Mit ihm, ließ er den Zaren großspurig wissen, marschiere eine ganze Armee, nicht nur die Schwarzhunderter, sondern Schwarze Millionen: „Wir sind nicht schwarze Hundert, wir sind Millionen, wir sind die schwarzen Millionen, ja, wir sind Dutzende Millionen.“3

Sein ehemaliger Gönner Erzbischof Antoni (Alexei Chrapowizki) musste zugeben, dass Iliodor einem „hysterischen Wahnsinn“ anheimgefallen war. Lenin indes sah hier etwas Größeres am Werk, er sah in Iliodor die Verkörperung eines ganz neuen Phänomens in Russland, einer „obskuren Bauerndemokratie der allerschlimmsten Art“.4 Ob obskur oder nicht, die offizielle Kirche war bereit für eine Bauerndemokratie, und Iliodor war ständig in Schwierigkeiten. In Jaroslawl zerstritt er sich mit dem Rektor, Vater Jewsewi (Jewstafi Grosdow), der ein scharfer Gegner des Bundes des russischen Volkes war. Iliodor wurde nach Nowgorod versetzt. So ging es mehrere Jahre lang: Die Kirche reichte ihn von Stadt zu Stadt weiter, drohte ihm Strafen an und beobachtete ihn, bis Iliodor nach ein paar Jahren genug hatte und voller Zorn seinem Glauben abschwor.

The Mad Monk of Russia nannte Iliodor seine Autobiografie. Wie all seine Schriften quillt sie geradezu über vor paranoidem Größenwahn. Sie ist eine seltsame Mischung aus Tatsachen, Fehlinformationen und schamlosen Lügen, und sie trug maßgeblich zur Mythenbildung um Rasputin, den „heiligen Teufel“ von Russland, bei. Er schrieb sie, nachdem er nach einem gescheiterten Attentat auf Rasputin aus Russland hatte fliehen müssen. Iliodor hatte es nicht geschafft, Rasputin zu töten; nun wollte er ihn wenigstens mit den Mitteln des Wortes vernichten.

„Mein Leben begann in der Hütte eines armen Bauern“, beginnt die Autobiografie des tief verletzten Iliodor, „es blühte in Königspalästen und endete schließlich wieder ganz unten, voller Angst, in der Verbannung in einem fremden Land.“ Iliodor beschreibt, wie sein Leben zunächst ganz ähnlich wie das von Rasputin verlief – von der Armut bis zur Macht. Er gewann Einfluss und Ansehen und wurde sogar berühmt. Und wie Rasputin genoss auch Iliodor, wie er anmerkt, die Gunst des Zaren. Doch das reichte ihm nicht, im Gegensatz zu Rasputin hätten diese weltlichen Dinge ihn nicht erfüllt. Iliodor wollte mehr, er suchte nach dem „Licht der Wahrheit“, und auf dieser Suche entdeckte er die böse Wahrheit über Rasputin.5 Zunächst habe er noch mit seinem eigenen Gewissen gekämpft, doch am Ende habe er beschlossen, Rasputin den Garaus zu machen, um Russland zu retten. Und dafür, behauptete Iliodor, habe Rasputin ihn zerquetschen lassen.

Iliodor überlebte Rasputin um mehr als 30 Jahre, aber es gelang ihm nie, aus seinem Schatten zu treten.

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