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»WIR MÖGEN, WAS WIR KENNEN« – EVOLUTIONÄRES ERBE 7

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Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum etwa jede dritte Liebesbeziehung am Arbeitsplatz beginnt? Schon klar, wir haben dort einfach genügend Zeit und Gelegenheit, um mitzubekommen, dass Kollegin Müller wie man selbst auf Elektromusik und Elvis Presley steht – oder aber den gehassten Heavy Metal bevorzugt. Kann also abklopfen, inwieweit die Interessen passen. Zudem ist man sich im Büro schlicht sehr oft räumlich nah. Beides, so die Verhaltensforschung, bildet positive Risikofaktoren dafür, dass in den Bäuchen zweier Kollegen Schmetterlinge zu flattern beginnen – wie etwa bei den Obamas geschehen, bei Angelina Jolie und Brad Pitt oder bei Franz Beckenbauer, der gleich zwei Sekretärinnen heiratete, denen er beruflich regelmäßig begegnete.

Indes: Es gibt noch einen dritten Grund, warum Beziehungen so oft nach dem Motto »Gelegenheit macht Liebe« funktionieren. Sind wir einer Person mehrfach ausgesetzt, so eine weitere Erkenntnis der Wissenschaft, finden wir diese nach einiger Zeit sympathischer und attraktiver – jedenfalls dann, wenn wir den anderen anfangs wenigstens als neutral beurteilt haben und nicht komplett abstoßend fanden. »Mere-Exposure-Effekt« nennen Psychologen das Phänomen, das sich grob übersetzen lässt mit »Effekt des bloßen Kontakts«.

Das Interessante daran: Der Mere-Exposure-Effekt lässt sich nicht nur in Sachen Liebe bemerken – sondern auch bei der Ernährung. Alle Eltern können es bestätigen: Wann immer wir einem Kind etwas bis dahin Unbekanntes zu essen geben – und sei es etwas noch so vermeintlich Leckeres wie etwa Apfelbrei –, der Nachwuchs wird den Mund verziehen, als wollte man ihn umbringen. Bleiben Vater und Mutter aber hartnäckig, wird sich die Miene irgendwann aufhellen. Ganz gemäß dem Motto: »Wir mögen, was wir kennen!«

Auch bei diesem psychobiologischen Programm hat die Evolution ihre Finger im Spiel. Die Abneigung gegen unbekannte Lebensmittel dient unserem Überleben: Würden wir alles auf Anhieb mögen, was uns in den Weg kommt – wir wären längst ausgestorben. Weil sich unter dem Unbekannten garantiert auch Ungenießbares getummelt hätte. Wir brauchen also bei jedem Nahrungsmittel – abgesehen von Süßem – ein paar Versuche, um uns dafür begeistern zu können. Wir müssen uns langsam »in die Welt hineinschmecken«, wie Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie an der Universität Göttingen, diesen Prozess umschreibt.

Der Mere-Exposure-Effekt erklärt damit beispielsweise, warum wir so unterschiedliche Vorlieben und Gewohnheiten haben – je nachdem, in welcher Region wir aufgewachsen sind. Fischcurry zum Frühstück und schokolierte Heuschrecke am Spieß mögen uns hierzulande wenig schmackhaft erscheinen – andernorts aber gelten sie als Leckerbissen.

Was jedoch überall auf der Welt gleich ist: Damit Kinder Zugang zur wunderbar vielfältigen Zauberwelt der Nahrungsmittel erhalten, brauchen sie ein Umfeld, das ihnen diesen Zauber erklärt. Und immer und immer wieder so geduldig wie konsequent verschiedenes Gutes vorsetzt. Nur so ist es möglich, Kinder davon zu überzeugen, dass Dinge, die wir alle auf den ersten Bissen für ungenießbar halten, in Wahrheit gut schmecken: Um ein neues Lebensmittel zu mögen, müssen es die Kleinen etwa fünf bis 15 Mal probieren.

Der Mere-Exposure-Effekt ist ein Prozess, der besonders in den ersten 1000 Tagen von entscheidender Bedeutung ist. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die wenig abwechslungsreich essen, es als Erwachsene extrem schwer haben, ihr Nahrungsspektrum zu erweitern. Hoffnungslos ist es zwar nicht. Jeder, der sich in späteren Jahren auf »gesund« umprogrammieren will, sollte jedoch stets im Kopf haben, dass er Geduld braucht. Es dauert mitunter Jahre, bis wir uns an eine ausreichend große Zahl von Gemüsesorten und gesunden Lebensmitteln wie etwa Linsen gewöhnt haben, die langfristig für eine ausgewogene Ernährung nötig sind.

Die Macht der ersten 1000 Tage

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