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Der Regenmann beobachtete, wie die Frau aus dem Zimmer ging. Dabei ließ sie das Licht brennen. Entweder ging sie nur in die Küche oder auf die Toilette und kam gleich wieder zurück, sodass es sich nicht lohnte, das Licht auszumachen. Oder aber sie wollte die blöde Katze nicht im Dunkeln sitzen lassen.

Er hob den Blick und behielt die Fenster im oberen Stockwerk im Auge. Da er das Haus bereits in der vorherigen Nacht für eine Weile beobachtet hatte, wusste er genau, welche Räume hinter den jeweiligen Fenstern lagen. Nun wartete er angespannt und leckte sich dabei immer wieder mit der Zunge nervös über die Lippen, die schon etwas wund waren.

Hab noch ein klein wenig Geduld!, ermahnte ihn die Regentropfenstimme. Gleich ist es so weit.

Der Regenmann nickte gehorsam und entspannte sich wieder etwas. Denn wenn der Regen sagte, dass es gleich an der Zeit sei, dann war es auch so. Schließlich wusste sein Mentor alles und hatte immer recht.

Im nächsten Moment registrierte er mit Erleichterung und Genugtuung, dass hinter einem der Fenster im Obergeschoss ein Licht anging. Der Regenmann wusste, dass es sich dabei um das Badezimmer handelte.

Endlich war der Moment des Handelns gekommen, und er konnte zuschlagen!

Jetzt!, gab ihm nun auch der Regen das ersehnte Startsignal.

Erregung und Vorfreude erfüllten den Regenmann gleichermaßen, als er sein Versteck zwischen den nassen Büschen aufgab und über den Rasen zur Terrasse lief. Erst unmittelbar vor der Terrassentür stoppte er seinen Lauf abrupt.

Die Katze war bei seinem Auftauchen aufgesprungen. Sie machte mit gesträubtem Fell einen Buckel und fauchte ihn durch die Scheibe, über die der Regen lief, angriffslustig an, während ihr Schwanz hin und her peitschte.

Der Regenmann verzog missmutig das Gesicht. Er hasste es, wenn diese hinterhältigen Mistviecher so etwas machten. Er erinnerte sich daran, was der Regen ihm gesagt hatte. Erst sollte er die Frau töten und sich dann um die Katze kümmern. Aber wie sollte er das hinkriegen, wenn das Vieh sich ihm in den Weg stellte. Konnte er es wagen, den Anweisungen des Regens zuwiderzuhandeln, indem er die Katze vor der Frau tötete? Er leckte sich unschlüssig über die Lippen.

Warte noch etwas, bevor du ins Haus gehst, riet ihm der Regen.

Erleichtert, dass er in diesem Moment keine eigenständige Entscheidung treffen musste, befolgte der Regenmann den Rat und beobachtete argwöhnisch die Katze.

Das Tier schien irritiert zu sein. Sein aggressives Verhalten hatte den schwarz gekleideten Mann auf der Terrasse nicht vertrieben. Außerdem war er groß und wirkte dadurch bedrohlich, was die Katze allmählich einzuschüchtern schien. Sie stellte ihre Drohgebärden ein und wich langsam zurück. Ihre Ohren lagen dabei flach am Kopf an, und ihr Schwanz war unter den Körper geschlagen. Als der Abstand ihrer Meinung nach groß genug war, sodass sie es gefahrlos wagen konnte, ihm den Rücken zuzuwenden, drehte sie sich um und rannte so schnell aus dem Wohnzimmer, dass der Regenmann ihr kaum mit den Augen folgen konnte.

Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der Regen musste gewusst oder zumindest vorausgesehen haben, dass die Katze sich mehr vor ihm fürchtete als er vor ihr, und hatte ihm, wie immer, den richtigen Ratschlag erteilt. Was wieder einmal bewies, wie gut es war, den Regen auf seiner Seite zu haben und stets auf ihn zu hören.

Aus diesem Grund war er auch so froh, dass es regnete, denn ansonsten hätte er auf die Unterstützung des Regens verzichten müssen. Einerseits bot ihm der Vorhang aus Regentropfen Deckung vor neugierigen Blicken. Andererseits gab der Regen ihm in seiner unendlichen Weisheit und Intelligenz die notwendigen Anweisungen und teilte ihm jederzeit hilfreiche Ratschläge und Verhaltensregeln mit. Ohne die Hilfe des Regens hätte der Regenmann ein solches Unterfangen niemals erfolgreich durchführen können. Denn auf sich allein gestellt war er weder mutig noch klug. Erst im Schutz des nächtlichen Regens und mit seiner Unterstützung wuchs er über sich hinaus und konnte Dinge tun, zu denen er ansonsten nie in der Lage gewesen wäre.

Jetzt ist es an der Zeit, dir Zutritt zum Haus zu verschaffen!

Ohne den Weckruf des Regens hätte der Regenmann den richtigen Zeitpunkt verpasst, denn er war in Gedanken versunken gewesen. Dabei durfte er sich so etwas hier und jetzt gar nicht erlauben. Er ärgerte sich daher über sich selbst und beschloss, sich ab jetzt noch besser zu konzentrieren. Er durfte seinen Lehrmeister auf keinen Fall enttäuschen, sonst hätte er den Ehrentitel eines Regenmannes nicht verdient.

Rasch zog er den Reißverschluss des Regenparkas herunter und holte einen großen Schraubenzieher aus der Innentasche. Nachdem die Frau gestern zu Bett gegangen war, hatte er sich auf Anraten des Regens die Fenster und die Terrassentür aus der Nähe angesehen. Er wusste daher, dass es keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen wie zum Beispiel eine Alarmanlage oder spezielle Tür- und Fensterverriegelungen gab. Es war daher auch für ihn, der alles andere als ein professioneller Einbrecher war, ein Leichtes, die Terrassentür mithilfe des Schraubenziehers aufzuhebeln, ohne dabei allzu viel Lärm zu verursachen.

Sobald er im Haus war, schob er die Tür hinter sich zu, obwohl sie jetzt natürlich nicht mehr schloss, und lauschte auf die Geräusche aus dem Haus. Er hörte allerdings nichts, nur das beständige Rauschen des Regens außerhalb des Hauses.

Geh nach oben! Kümmere dich um die Frau!

Obwohl die Regentropfen ihn hier drinnen nicht mehr erreichten, konnte er die Stimme des Regens noch immer hören, denn er prasselte weiterhin gegen die Scheiben hinter ihm und auf das Dach des Hauses und veränderte dabei ständig seinen Rhythmus. Die Regentropfenstimme klang zwar gedämpft und etwas undeutlich, dennoch verstand der Regenmann noch immer jedes einzelne Wort.

Er verstaute den Schraubenzieher und schloss den Reißverschluss des Parkas. Dann zog er ein Jagdmesser mit fünfzehn Zentimeter langer Edelstahlklinge und Hirschhorn-Griffschalen aus der Scheide, die er in den Bund seiner Regenhose geschoben hatte. Anschließend machte er sich mit vor Aufregung und Vorfreude heftig klopfendem Herzen umgehend auf den Weg nach oben.

Von der Katze war nichts zu sehen. Vermutlich hatte sich der kleine haarige Feigling irgendwo verkrochen. Der Regenmann war einerseits froh darüber, denn auf diese Weise konnte er seine Aufgabe exakt so erfüllen, wie der Regen es ihm gesagt hatte. Allerdings würde er nach der Tötung der Frau nach dem blöden Tier suchen müssen, um es ebenfalls wie geplant zu erledigen.

Auf halber Höhe der Treppe hörte er erstmals das Rauschen der Dusche im Badezimmer, das bislang vom Regen übertönt worden war. Langsam näherte er sich der Tür, das Messer zum Zustoßen bereit in der Faust. Dabei bemühte er sich nicht einmal, besonders leise zu sein oder sich anzuschleichen, denn solange die Frau unter der Dusche stand, konnte sie ihn ohnehin nicht hören. Er hob die freie linke Hand, um sie auf die Klinke zu legen und die Tür zu öffnen, als ihn die Stimme des Regens abrupt innehalten ließ.

Warte!

Der Regenmann verharrte sofort regungslos, als wäre er schockgefroren worden. Er wagte keinen Muskel zu rühren, solange der Regen es ihm nicht erlaubte. Und er hinterfragte die Anweisung seines Mentors auch nicht. Der Regen war viel schlauer und erfahrener als er und hatte mit Sicherheit gute Gründe dafür, ihn zurückzuhalten.

Wenige Augenblicke später verstummte das Rauschen der Dusche.

Der Regenmann erbebte vor Aufregung und mühsam unterdrückter Vorfreude, denn jetzt konnte es jeden Augenblick so weit sein. Er stand wie eine gespannte Feder so dicht vor der Badezimmertür, dass er sie beinahe berührte, während seine zitternde Hand über der Türklinke schwebte, um die Tür sofort aufreißen zu können, sobald der Regen endlich das Kommando dazu gab.

Gleich!, raunte die gedämpfte Tropfenstimme des Regens, der die Ungeduld seines Schützlings natürlich spürte. Gleich ist es so weit!

DER REGENMANN

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