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25.

Milburgh hatte gehofft, seinen Willen durchzusetzen, ohne daß Tarling den Inhalt der Akten las. Der kluge Mann hatte längst, bevor Tarling es selbst wußte, entdeckt, daß sich dieser berühmte Detektiv aus Schanghai, der Erbe des Lyneschen Millionenvermögens, in Odette Rider verliebt hatte und ganz im Bann ihrer Schönheit stand. Seine Vermutungen waren nun vollauf bestätigt durch die Szene, die er eben gestört hatte. Außerdem hatte er auch den größeren Teil der Unterhaltung der beiden vom Gang aus belauscht.

Er suchte jetzt straflos und sicher aus der ganzen Affäre herauszukommen. Er war in einer furchtbaren Panik, obwohl Tarling das nicht durchschaute, und machte den letzten verzweifelten Versuch, dies Leben weiterzuführen, das er so liebte, dieses Leben voller Bequemlichkeit und Luxus, für das er so viel gewagt hatte.

Milburgh hatte in dauernder Angst gelebt, daß Odette Rider ihn anzeigen würde. In der Furcht, daß sie Tarling an dem Abend, an dem er sie von Ashford nach London zurückbrachte, alles eingestehen könne, hatte er den Versuch gemacht, den Detektiv beiseite zu schaffen, weil er glaubte, daß Tarling das Vertrauen Odettes besaß.

Die Schüsse im Nebel, die beinahe den Tod Tarlings verursacht hätten, waren nur abgefeuert worden, weil Milburgh in seiner schrecklichen Angst fürchtete, bloßgestellt zu werden. Nur ein einziger Mensch auf der ganzen Welt konnte ihn auf die Anklagebank bringen, und wenn sie ihn verraten hätte –

Tarling hatte Odette zum Sofa getragen und dort niedergelegt. Nun ging er schnell in sein Schlafzimmer, um ein Glas Wasser zu holen. Diesen Augenblick machte sich Milburgh zunutze. Im Wohnzimmer brannte ein kleines Feuer im Kamin. Blitzschnell riß er das Blatt mit dem Geständnis Odettes an sich und steckte es in die Tasche.

Auf dem kleinen Tisch waren eine Schreibmappe und ein Ständer mit Briefpapier. Ehe Tarling zurückkam, hatte er einen großen Bogen des Hotelbriefpapiers herausgenommen, zusammengedrückt und in die Flammen geworfen. Als der Detektiv wieder in der Tür erschien, sah er es aufflammen.

»Was machen Sie denn da«? fragte er.

»Ich habe das Geständnis von Miss Rider verbrannt«, sagte er ruhig. »Ich glaube, es ist nicht wünschenswert im Interesse –«

»Warten Sie«, sagte Tarling ruhig.

Er legte den Kopf des Mädchens niedriger und besprengte ihr Gesicht mit dem Wasser. Sie öffnete die Augen und zitterte.

Tarling ging zum Kamin hinüber. Das Papier war bis auf eine kleine Ecke vollständig verbrannt. Er bückte sich schnell, hob sie auf und betrachtete sie aufmerksam. Dann drehte er sich um, sah, daß der Ständer mit Briefpapier nicht mehr an der alten Stelle stand und lachte.

»Sie wollten mir wohl etwas vormachen?« fragte er grimmig, ging zur Tür, schloß sie ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und stellte sich mit dem Rücken gegen den Ausgang.

»Geben Sie mir jetzt das Blatt heraus, Milburgh, das Sie eben in die Tasche gesteckt haben.«

»Sie haben doch gesehen, daß ich es verbrannt habe, Mr. Tarling.«

»Sie sind ein gemeiner Lügner! Sie wissen sehr gut, daß ich Sie nicht aus diesem Raum herauslasse, solange Sie noch im Besitz des Schriftstückes sind. Sie haben versucht, mich hinters Licht zu führen, denn Sie haben nur ein leeres Stück Schreibpapier verbrannt. Geben Sie das Geständnis jetzt heraus!«

»Ich gebe Ihnen aber die Versicherung –«, begann Milburgh.

»Heraus mit dem Schriftstück!« rief Tarling. Mit einem verlegenen Lächeln holte Milburgh das zerknitterte Dokument aus der Tasche.

»Sie erklärten doch, daß Sie es verbrannt hätten?« sagte der Detektiv spöttisch. »Sie können sich jetzt persönlich davon überzeugen, daß es verbrannt wird.«

Er las das Schriftstück noch einmal durch, warf es dann ins Feuer und wartete, bis es ganz zu Asche geworden war. Dann nahm er die Feuerzange und zerdrückte die Reste.

»Das wäre also geregelt«, meinte Tarling befriedigt.

»Vermutlich wissen Sie, was Sie eben getan haben«, schnaubte Milburgh. »Sie haben ein wichtiges Dokument, eine Zeugenaussage, ein Geständnis, vernichtet – Sie, der ein Hüter des Gesetzes und der Gerechtigkeit sein sollte –«

»Ach, reden Sie doch nicht solchen Unsinn«, erwiderte Tarling.

Zum zweitenmal in der Nacht schloß er die Tür auf und öffnete sie weit.

»Milburgh, Sie können gehen. Ich weiß ja, wo Sie zu finden sind, wenn die Polizei Sie braucht.«

»Das wird Ihnen noch leid tun!« rief Milburgh erregt.

»Mir weniger als Ihnen, wenn ich erst meine Arbeit vollendet habe«, gab Tarling zurück.

»Ich werde morgen früh sofort nach Scotland Yard gehen und Sie anzeigen!« sagte Milburgh wütend. Er war bleich vor Wut. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Seien Sie auch so gut und bestellen Sie mit einem schönen Gruß von mir, daß man Sie inzwischen festnehmen möchte, bis ich selbst komme.«

Mit diesen Worten schloß er die Tür.

Odette saß nun auf dem Rand des Sofas und sah den Mann forschend an, der sie liebte.

»Was hast du getan?« fragte sie leise.

»Ich habe dein Geständnis vernichtet, weil ich fest davon überzeugt bin, daß es nur unter Druck geschrieben wurde. Ich habe doch recht damit?«

Sie nickte.

»Nun warte hier noch ein wenig, bis ich mich angezogen habe. Ich werde dich dann nach Hause bringen.«

»Nach Hause?« fragte sie bestürzt. »Bringe mich nicht zu meiner Mutter. Sie darf es niemals erfahren.«

»Im Gegenteil, sie muß es erfahren. Es gibt schon viel zuviel Geheimnisse, das muß jetzt vollständig aufhören.«

Sie erhob sich vom Sofa, ging zum Kamin und stützte die Ellenbogen auf die Marmorplatte.

»Ich werde dir alles sagen, was ich weiß, vielleicht hast du recht. Es ist viel zuviel verheimlicht worden. Du fragtest mich früher einmal, wer Milburgh eigentlich sei.«

Bei diesen Worten wandte sie sich um und sah ihn an.

»Ich will diese Frage nicht mehr an dich stellen, denn ich weiß es.«

»Du weißt es?«

»Milburgh ist der zweite Mann deiner Mutter.«

Sie sah ihn groß an.

»Wie hast du das herausgefunden?«

»Ich habe es vermutet«, sagte er mit einem befriedigten Lächeln. »Auf Milburghs Wunsch hat sie den Namen Rider behalten. Habe ich recht?«

Sie nickte.

»Meine Mutter hat ihn vor sieben Jahren kennengelernt, als wir in Harrogate waren. Meine Mutter hatte etwas Vermögen, und Milburgh nahm wahrscheinlich an, daß sie mehr besaß, als es in Wirklichkeit der Fall war. Er war äußerst liebenswürdig zu ihr und erzählte ihr, daß ihm ein großes Geschäftshaus in der Stadt gehöre. Meine Mutter glaubte ihm alles.«

»Nun verstehe ich«, sagte Tarling. »Milburgh hat die Gelder der Firma unterschlagen, um deiner Mutter ein schönes Leben zu bereiten.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Das stimmt nur teilweise. Meine Mutter weiß von all diesen Dingen nichts. Er kaufte das große und schöne Haus in Hertford, richtete es fürstlich ein, ja, unterhielt zwei Wagen bis vor einem Jahr. Erst auf meine Vorstellungen hin gab er das auf und lebte einfacher. Du kannst dir nicht denken, wieviel ich in diesem Jahr gelitten habe, nachdem ich erkannte, daß das ganze Lebensglück meiner Mutter zusammenbrechen würde, wenn sie seine Schlechtigkeiten erführe.«

»Wie kamst du denn dahinter?«

»Bald nach der Hochzeit ging ich eines Tages in Lynes Warenhaus. Eine der Angestellten benahm sich ungehörig mir gegenüber. Ich hätte die ganze Sache mit Schweigen übergangen, wenn nicht einer der Aufsichtsbeamten Zeuge des Vorfalls gewesen wäre. Er entließ das Mädchen sofort, und als ich ein gutes Wort für sie einlegen wollte, bestand er darauf, daß ich den Geschäftsführer sprechen sollte. Ich wurde in das Privatbüro geführt, wo ich Mr. Milburgh sah und sein Doppelleben erkannte. Er drang in mich, daß ich schweigen sollte, und schilderte mir die schrecklichsten Folgen, die irgendwelche Mitteilungen für meine Mutter haben würden. Er sagte mir, daß er alles wieder in Ordnung bringen könne, wenn ich auch in das Geschäft eintreten und ihm helfen würde. Er sprach von großen Summen, die er in Spekulationen angelegt hatte, von denen er große Vorteile erhoffte. Mit diesem Geld wollte er seine Unterschlagungen bei der Firma decken. Deshalb trat ich als Kassiererin in dem Warenhaus ein, aber er hat sein Versprechen gleich vom ersten Augenblick an gebrochen.«

»Ich verstehe nicht recht, warum er dich dort anstellte.«

»Es war ein wichtiger Kontrollposten, und wenn ein anderer meine Stelle gehabt hätte, wären seine Unterschlagungen leicht entdeckt worden. Er wußte, daß alle Nachfragen wegen Unregelmäßigkeiten des Geschäftsganges oder der Abrechnungen zuerst an mich kommen mußten, und er mußte jemand haben, der ihn alles wissen ließ. Er hat mir das niemals gesagt oder zugegeben, aber ich merkte bald, daß das der wahre Grund seiner Handlungsweise war.«

Und nun erzählte sie, welches Leben sie hatte führen müssen, wie tief die Kenntnis seiner Schuld sie niederdrückte und welche Gewissensqualen sie durchlebte.

»Vom ersten Augenblick an war ich seine Helfershelferin. Es ist ja wohl wahr, daß ich nichts gestohlen habe, aber durch mein Schweigen wurde es ihm möglich, alte Unregelmäßigkeiten wieder in Ordnung zu bringen und meine Mutter vor Schande und Elend zu bewahren. Aber auch hierin hat er mich auf das bitterste enttäuscht, denn anstatt seine früheren Vergehen wiedergutzumachen, hat er immer neue Unterschlagungen begangen.«

Sie sah ihn traurig lächelnd an.

»Ich habe soeben gar nicht mehr daran gedacht, daß ich zu einem Detektiv spreche und daß alles, was ich in den letzten Jahren gelitten habe, nun umsonst ist. Aber die Wahrheit muß jetzt ans Licht kommen, welche Folgen es auch immer haben mag.«

Sie machte eine Pause.

»Und nun werde ich dir erzählten, was sich in der Mordnacht zutrug.«

Edgar Wallace - Gesammelte Werke

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