Читать книгу Der Koch und seine Toten - Edward Mosch - Страница 10
Оглавление8
Es war einer von diesen großen Wohnblocks, mitten in der Stadt, in dem Jan Gunolka wohnte. Ein Neubau aus sozialistischer Zeit, der jetzt heruntergekommen und vergammelt aussah. Der Lift war defekt, sie mußten bis in den dritten Stock die Treppen hochsteigen. Benno schob Jan Gunolka vor sich her. Die Luft war abgestanden, es roch nach Küchenabfällen. Gunolkas Wohnung lag am Ende eines langen Ganges, den jemand vergeblich mit ein paar Topfpflanzen und einer Bank hatte verschönern wollen.
Die Wohnung war ein Dreckstall. Es roch nach Schweiß, Zigarettenmief und Knoblauch. Benno sah sich den Küchenherd an, der so verdreckt und von verkrusteten, angebrannten Essensresten überzogen war, daß selbst die Kochplatten unter dem Dreck verschwanden.
„Ein Wunder, daß Ihre Bude noch nicht abgebrannt ist“, sagte Benno, „wäre aber die gründlichste Reinigung. Zeigen Sie mir, wo Sie pennen!“ Der Alte ging voran und stieß eine verschmierte Tür auf. Benno verzichtete darauf, den Raum zu betreten, um sich nicht die Schuhe zu verdrecken.
Eigentlich hatte er vorgehabt, ganz in der Nähe Gunolkas die Nacht zu verbringen, jetzt würde er sie auf der Bank im Hausflur absitzen, statt in Gunolkas Müllkippe.
„Ich werde die ganze Nacht auf der Lauer sein und Sie bewachen. Also, keine Angst!“
Er kontrollierte die restlichen Zimmer. Es gab keinen Menschen außer Gunolka und ihm in der Wohnung.
Als er den Eingang hinter sich abschloß, schnaufte er tief durch und lief die etwa zwanzig Schritte zur Bank. Sie war aus dicken, groben Holz gezimmert und steinhart, obendrein lösten sich von ihr jede Menge Holzsplitter. Aber er sah von dort sehr gut Jan Gunolkas Eingangstür und die letzten Stufen der von unten heraufführenden Treppe.
Ab und zu klappte unten die Haustür, einmal liefen Leute nach oben zu ihren Wohnungen hin, dann wurde es immer stiller im Haus. Durch ein Fenster am Ende des Ganges kam ein wenig Licht herein. Benno fühlte sich hellwach, wunderte sich nur über die verschrobenen, immer irrer werdenden Phantasien, die ihm durch den Kopf gingen. Er legte sich auf die Bank, die Arme im Nacken verschränkt, blickte zu Gunolkas Tür und zur Treppe und horchte. Dann war ihm, als käme jemand schnaufend auf ihn zu. Er begriff, daß das Geräusch von ihm kam. Im nächsten Moment heulten Polizeisirenen und Kommissar Riemschneider hob ihn mit Hilfe des anderen Kommissars auf den Tisch im Vernehmungszimmer, wo er gewesen war. Die beiden Beamten holten Dart-Pfeile hervor und warfen nach ihm.
„Mal sehen, wo es Ihnen besonders weh tut“, sagte Riemschneider.
Benno schwitzte vor Angst. Dann trafen ihn die ersten Pfeile. Oben am Rücken, da, wo ihn Gunolka geschlagen hatte. Der alte Schmerz wurde wach und nahm ihm die Luft zum Atmen. Dann, ganz deutlich zu fühlen, drang der nächste Pfeil in seinen Oberarm ein, während die beiden Kommissare unverständliche Worte wechselten. Der Schmerz wurde unerträglich und Benno fuhr hoch. Es war taghell.
Vor ihm stand Filip Szymczak und machte ein besorgtes Gesicht. Bennos erster Impuls war, ihm in die Fresse zu schlagen, weil er ihn schon wieder belästigte.
Er kam zu sich, tastete zum Oberarm, sah auf die Holzbretter der Bank. Offenbar waren ihm Splitter durchs Hemd gedrungen. Da wurde ihm klar, daß er geschlafen und geträumt, und nicht gewacht hatte. Er sprang auf die Füße, sein Herz raste, es war ihm trotz der Novemberkühle glühendheiß.
„Szymczak, was wollen Sie?“ Filip zeigte nach unten.
„Sie warten im Auto, Herr und Frau Winter. Sie wollen mit Ihnen sprechen, bevor Sie zur Polizei gehen.“
Benno drängte an ihm vorbei. Es war ganz still im Haus und er glaubte, sein Herz schlagen zu hören, während er auf Gunolkas Tür zuging. Sie war nur angelehnt. Er wußte, daß sie in der Nacht von ihm abgeschlossen wurde, griff in die Hosentasche und hob den Schlüssel vor sich, so, als könnte er mit dem Schlüssel beweisen, daß er Gunolkas Wohnung verschlossen hatte.
Benno blieb vor der Tür stehen, hörte Szymczak wie entfernt sprechen.
„…wollte mich bei Ihnen entschuldigen, wegen gestern, im Hof und so. Habe Sie leider erschreckt.“ Benno sah an Filips ausgestreckter Hand vorbei, auf die angelehnte Tür. Wo kamen die vielen Fliegen her?
Das Rauschen von ausströmendem Wasser war zu hören. Er ging dem Geräusch nach und kam in die Küche. Auf dem gefliesten Boden lag Gunolka. Daß sein Kopf fehlen würde, wußte Benno, noch bevor er die auf dem Rücken liegende Gestalt richtig sah. Szymczak, der nachgekommen war, starrte auf eine Wand und redete in seiner Muttersprache mit sich. Die Wand war mit einer schon angetrockneten gelb-grauen Masse verschmiert, die von roten Streifen durchzogen war. Darauf krabbelten Fliegen herum. Am Boden lag eine Maurerkelle, an der die gleiche Masse haftete. Es sah so aus, als sei sie benutzt worden, um mit ihr diesen Brei als Putz auf die Wand aufzubringen.
Benno war sicher, daß dieser „Putz“ auf der Wand von dem Toten stammte, wußte aber nicht, aus was er bestand. Unterhalb des angetrockneten Breis floß Wasser aus einem Hahn ins Spülbecken. Benno horchte auf das gleichmäßige Plätschern. Seine Küche fiel ihm ein. Die sauberen Wandkacheln. Der vertraute Geruch, die Wärme. Und so, wie ein Faden abgeschnitten wird, so verlor er plötzlich den Glauben, sie jemals wieder betreten zu dürfen.
Er zog sein Handy aus der Tasche und rief die Polizei an. Als Koch war er den Anblick von Blut, zerlegtem Fleisch und auch Gerüche gewohnt. Aber jetzt spürte er, wie ihm übel wurde. Er legte die Hand vor die Nase und schielte zu dem Mann am Boden, auf das blutverschmierte, rohe Fleisch, lief aus der Wohnung und schnappte nach Luft. Szymczak lehnte im Flur am Fenster. Benno machte einen Schritt auf ihn zu und sah, wie Filip vor ihm zurückwich und ihn ansah, als habe er sich in eine meterhohe Spinne verwandelt.
Er glaubt, du seist ein Doppelmörder, dachte Benno. Szymczak sieht dich an und schaut, wo du das Messer versteckt hast, mit dem du Köpfe abschneidest. Er kneift schon die Augen zusammen und reckt den Hals vor: Vielleicht hast du das Messer im Hemdärmel, oder hast du es in der Hose versteckt? Benno drängte es, ihn zu berühren, zu zeigen, daß er kein Messer hatte, er tippte gegen seine Schulter. Szymczak schrie auf, als sei seine Schulter durchbohrt worden. In dem Moment kamen sie die Treppe hoch. Kommissar Riemschneider mit einigen Polizisten.
Szymczak sprang mit einem Satz zu ihnen, flüsterte auf sie ein und verschwand mit ihnen in Gunolkas Wohnung. Benno setzte sich auf die Bank. Milana fiel ihm ein. Wenn sie ausgerechnet jetzt anriefe, wenn sie jetzt wissen wollte, wie weit er in der Sache voran gekommen sei, -nicht auszudenken. Er suchte hektisch nach seinem Handy und schaltete es ab.
Es schien eine Stunde zu dauern, dann trat Kommissar Riemschneider aus der Wohnung und ging langsam auf ihn zu.
„Herr Wolf!“ Benno erhob sich.