Читать книгу Nachbarschaft mit kleinen Fehlern - Elisa Scheer - Страница 11
9 Samstag
ОглавлениеGreta saß auf ihrer Schlafmatte und dachte nach. Diese Manuela… wann war die genau gegangen? Warum eigentlich? Hatte es ihr hier nicht gefallen? Hatten die Kurse, die Entspannungsübungen, die Meditation ihr nicht geholfen? War jemand unfreundlich gewesen? Vielleicht Hari? Aber der war halt so, der meinte es nicht so. Vielleicht war es so sogar besser. Hari war ja so etwas wie ein Geistlicher, die sollten vielleicht gar nicht übermäßig charmant sein? Gut, Pranesh war freundlicher, der hatte auch eher den Part der Seelsorge, wenn man in den Begriffen der katholischen Kirche sprechen wollte. Dann war Hari wohl so etwas wie ein strenger Kardinal… Sie kicherte unwillkürlich. Und Silver wäre dann ein Papst? Nein.
Wenn er sich einmal blicken ließ und so verträumt durch die Räume schwebte, hatte er eher etwas von einem Engel. Nicht von dieser Welt. Und wenn man gelegentlich einmal zu ihm geführt wurde, war es tatsächlich, als träte man vor einen Gott, und man fühlte sich hinterher irgendwie – naja – erhaben? gesegnet? Jedenfalls fühlte man sich – besser. Eigentlich merkwürdig…
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Rosi Högl hatte alles beobachtet, von der Ankunft dieser beiden Frauen – die sahen irgendwie aus wie die Kripo in den Vorabendserien – bis zu ihrem Abgang. Von dem Türenknallen wackelte beinahe das Haus! Na, diese komischen Leute, diese Pseudo-Mönche, konnten einen auch wirklich ärgern!
Wenn man sie traf, vor dem Haus oder im Treppenhaus, dann sahen sie durch einen hindurch, als seien sie über gewöhnliches Volk erhaben. Arrogantes G´schwerl…
Jedenfalls sie und den Greifenklau schauten sie immer so an. Die Schmalzl und die Behnisch eigentlich auch? Waren die nur an jungen Dingern interessiert? Man hatte ja über solche Leute schon viel gelesen, nicht wahr?
Was die Polizei bei denen wohl gewollt hatte?
„Tät mich schon interessieren“, murmelte sie und ließ ihren Parkettboden gleich noch energischer ein.
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Anja spielte mit ihrem Sohn; sie stapelte zwei Bauklötze aufeinander und Luca warf den kleinen Turm vergnügt krähend wieder um. Davon bekam er offenbar nie genug. Immerhin wartete er nach einiger Zeit schon, bis sie einen dritten Baustein obendrauf gesetzt hatte, und zerstörte den Turm dann erst. Etwas mechanisch baute Anja den Turm immer wieder auf, während sie überlegte, wer da wohl nebenan eingezogen war.
Ein gutes Haus, das musste man sagen. Solide. Dicke Wände. Hier musste man weinende Kinder nicht hektisch beruhigen, damit sich die Nachbarn nicht beschwerten! Ein großzügiges Treppenhaus, da konnte man den Buggy nach oben tragen, ohne einen entgegenkommenden Nachbarn umzurennen. Ein großer Kellerraum, warm und trocken, dort konnte man alles lagern, was man gerade nicht brauchte, zum Beispiel – sorgfältig verpackt – alle Babykleidung, aus der Luca schon herausgewachsen war. Nein, nie würde sie das weggeben, daran hingen doch Erinnerungen!
Sie holte ihr Handy. „Luca?“ Luca sah auf und lachte und sie drückte auf den Auslöser, mehrfach, auch, als Luca sich schon wieder abwandte und nun selbst den roten Baustein auf den blauen legte. Dann sah er wieder zu ihr, als wollte er sagen Bin ich nicht gut?
„Toll, Luca!“
Luca krähte und streckte die Arme aus. Anja nahm ihn sofort auf den Arm. „Mein Goldschatz…!“
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Desiree stieg müde die Treppen hinauf, immerhin froh darüber, dass sie im Drogeriemarkt nur die Frühschicht gehabt hatte. Was die Leute an einem Samstag alles kauften! Hatten die Angst, am Sonntag ohne Deo, Klopapier oder Wimperntusche dazustehen?
Nein, wahrscheinlich hatten sie nur alle unter der Woche keine Zeit, weil sie da arbeiten mussten. Hektische Zeiten, sie fühlte es ja selbst! Puh, war sie jetzt müde…
Warum mietete eigentlich niemand die Wohnung neben ihrer? Eine Zweizimmerwohnung im Dachgeschoss, in fast schon zentraler Lage, zu einer – naja – wohl nicht gerade niedrigen, aber doch bezahlbaren Miete? Wer war da eigentlich der Eigentümer?
Im zweiten Stock war ja eine Neue… hatte die schon ein Namensschild?
Tatsächlich – ach, stimmte ja, Preuß. Kam die wohl daher? Naja, so aussagekräftig waren Namen wohl auch nicht. Was sollte man dann wohl aus Schmalzl machen? Und warum Desirée? Mama hatte mal gesagt, das bedeute die Ersehnte. So ein Blödsinn, sie war doch wohl ein Unfall gewesen, nach dem, was sich ihre Eltern früher immer gegenseitig an den Kopf geworfen hatten. Gut, dass sie da raus war!
Die Wohnung war ihr eigentlich ein bisschen zu teuer, aber lieber sparte sie anderswo, als am Kreuz West oder in Spitzing West zu wohnen. Da lief sie dann nur ihren Eltern über den Weg – und für die Arbeit hier brauchte sie dann ja auch noch die Löffelkarte. Lieber hier wohnen und sonst nichts haben! Das Haus war so richtig bürgerlich. Gutbürgerlich. Das gefiel ihr, man konnte sich fast einbilden, es weiter gebracht zu haben.
Immerhin war jetzt Samstag – und für ein paar Fünfminutenterrinen hatte es doch noch gereicht. Und Äpfel.
Wochenende!
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Seine Wohnung war eigentlich eine Zumutung, fand Herr von Greifenklau. Auf diesen Namen legte er durchaus Wert, aber deshalb brachte man ihm hier auch nicht mehr Respekt entgegen.
Seine Familie hatte Jahrhunderte lang erst eine trutzige Burg auf der Schwäbischen Alb bewohnt und dann, als die Burgen so gar nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprachen, ein hübsches kleines Schloss in der Nähe von Neu-Ulm gehabt. Aber in den letzten Generationen war das Vermögen immer stärker geschrumpft. Das lag natürlich an dieser sich immer schneller verändernden Gesellschaft, in der man gewisse Standards kaum noch aufrecht erhalten konnte. Ein Greif von Greifenklau konnte schlecht ein Tätowierstudio aufmachen oder im Supermarkt Regale auffüllen. Taxifahren verbot sich auch von selbst, ein Greifenklau war doch kein Lohnkutscher!
Im Idealfall lebte man von den Erträgen seiner Güter, aber sogar ihm war klar, dass das schon seit dem Ersten Weltkrieg kaum noch möglich war. Aber: Privatgelehrter, wie sein Großvater, der noch im Schloss gelebt hatte?
Nun hatte der Großvater, so nobel die Profession noch gewesen war, eigentlich nur am Stammbaum der Greif von Greifenklau geforscht und viel Geld für Dokumente vertan, die er sich schicken ließ, um dann Dinge zu erfahren, die er zumeist schon wusste.
Sein Vater war zwar auch stolz auf den vornehmen Stammbaum gewesen, hatte sich aber doch etwas moderneren Berufen zugewandt und war Historiker geworden. Über den sogenannten Akademischen Mittelbau war er nie hinausgekommen, denn sein Arbeitsgebiet war doch recht begrenzt; mehr als den Wandel des Rittertums hin zu einem neuzeitlichen Adel und dessen Gefährdung durch diverse Revolutionen der Neuzeit bis hin zu dem Verlust von Gütern und Schlössern „im Osten“ hatte er nicht zu bieten gehabt. Wahrscheinlich war die Universität Leisenberg froh gewesen, als man Clemens Greif von Greifenklau im Jahr 1981 endlich in den Ruhestand schicken konnte, da sich kaum noch Studierende für seine Seminarangebote interessierten.
Vornehme Interessengebiete garantierten mittlerweile kein ausreichendes Einkommen mehr. Er selbst hatte als Bürochef in einem recht angesehenen Notariat gearbeitet, wo seine gerade Haltung, sein vornehmes Flair und sein wohlerzogener Ton angemessen gewürdigt wurden. Im Gehalt hatte sich das freilich nicht unbedingt niedergeschlagen, so dass es heute gerade so für eine gemietete Dreizimmerwohnung in dieser doch recht armseligen Gegend reichte. Auch Geldanlagen waren heute gar so kompliziert – kein Wunder, dass er da einen hübschen Teil seiner Ersparnisse eingebüßt hatte. Dieser windige Vermögensberater… und diese Wohnung hier: eindeutig unangemessen! Ein Haus sollte er haben! Oder eine elegante Altbauwohnung. Großbürgerlich war doch wohl das Mindeste?
Die Nachbarn gefielen ihm auch nicht so besonders. Das junge Paar mit dem kleinen Sohn lebte zwar in geordneten Verhältnissen, aber der Kleine war manchmal doch eher laut. Die Neue war eine vorlaute Person, bestimmt spielte sie diese schreckliche Hippie-Musik.
Dieses blondgefärbte Wesen aus dem Dachgeschoss – naja! Ein bisschen billig, um es vorsichtig auszudrücken.
Und diese Stiegenhausratsch´n nebenan: schon sehr – äh – volkstümlich.
Aber diese Neue… scharfer Name, ist der echt? Welche Generation wuchs da heran?
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Amelie kramte in ihrem neuen Zuhause herum. Die Bücher waren noch nicht optimal eingeordnet, auf der Arbeitsplatte in der Küche stand noch zu viel herum, die vielen Kissen auf dem Klappsessel irritierten sie – aber das Sofa kam ja erst am Dienstag.
Und der Kleiderschrank? Nein, der war in Ordnung, sie musste bloß die Bügel alle in die gleiche Richtung hängen und die zwei Drahtbügel wegwerfen, die ihr irgendeine Verkäuferin einmal ungefragt mit eingepackt hatte. Musste so lange her sein, dass man damals noch gratis eine Tüte bekam…
Ach ja – und sie konnte den Schrank außen doch mal mit diesem feinen Mandel-Holzöl einreiben, dann schimmerte er schön.
In der folgenden Stunde arbeitete sie sich mit der Ölflasche und einem weichen Tuch gemächlich durch die Wohnung – Schrank, Esstisch, Couchtisch, das kleine Regal neben dem Bett, auch das Bett (außen) und schließlich die Tür zum Sicherungskasten im Flur. Warum war die eigentlich aus echtem unlackierten Holz? Und wenn sie schon so alt war wie die Wohnung, warum hatte die Wohnung dann Kippsicherungen statt dieser alten Porzellandinger wie in 16:50 ab Paddington (in der alten Fassung natürlich)?
Und was war draußen nun schon wieder los? Sie spähte durch die Balkontür und sah gleich zwei Hellgraue, die sich zu zanken schienen, wenn man die wütende Gestik richtig interpretierte. Schlechte Verkaufe, überlegte sie sich. Machten die nicht auf Erkenntnis, Erleuchtung, Gelassenheit, in sich selbst ruhen, innere Mitte und all das? Und dann pöbelten sie sich auf der Straße an?
Wenn sie alle diese edlen Werte verkaufen wollte, würde sie alles, was dem widersprach, doch im Hinterzimmer erledigen! So merkten die Leute doch bloß, dass die Silver-Leute ein ziemlich verlogener Haufen waren!
Sie hatte die größte Lust, das dem einen Hellgrauen mitzuteilen, aber auf eine Ohrfeige war sie auch nicht scharf.
Obwohl – dann könnte sie ihn anzeigen. Vielleicht wurde dann mal untersucht, was die da so trieben? Entspannt im Hier und Jetzt waren die jedenfalls nicht! Waren das diese Sannyasin-Leute oder wie die hießen gewesen? Das war doch auch schon ewig her, ihre Mutter hatte ihr einmal davon erzählt, die konnte sich ja immerhin noch gut an die Siebziger Jahre erinnern!
Und jetzt fingen sie doch glatt noch zu raufen an! Wie die kleinen Kinder…
Gab es noch etwas, was in den Keller konnte? Mist, sie hatte vergessen, beim IKEA nach solchen Regalen zu schauen!
Ach, egal – sie wusste ja gar nicht, wieviel Kellerkram sie überhaupt noch hatte. Viel konnte es eigentlich nicht sein, denn sie hatte doch vor dem Umzug schon gnadenlos ausgemistet. Mal sehen! In der Küche gab es zwei Einkaufstaschen (je einen Euro im Supermarkt), eine in Gelbtönen, die blieb hier oben, die passte ins Konzept – die andere war grell pink gemustert. Mit der machte sie sich auf den Weg. Alle Kleidungsstücke mochte sie, passen taten sie ohnehin, die Farben waren Schwarzweißtöne und ein bisschen gelb und blassrosa – halt, dieser Baumwoll-Loop? Sattgrün mit roten Rosen darauf, den konnte sie sich unmöglich selbst gekauft haben. Sah aus wie ein Statement vor der Landtagswahl – aber da würde sie wohl eher dem Vorbild Baden-Württembergs folgen. Der Loop landete in der Tasche, sauber und ordentlich gefaltet war er schließlich. Ein paar braune Schuhe? Na, die passten ja auch zu nichts! Aber die waren noch gut in Schuss, die Sachen konnten doch zur Kleiderkammer oder in den Tafelladen?
Sie wanderte durch alle Räume und fand noch zwei Bücher, einen nie benutzten Kerzenleuchter und eine doofe Handtasche (türkisblau! Ging ja gar nicht!).
Also hatte sie wirklich ganz gut ausgemistet. Neun von zehn Punkten.
Die Kleiderkammer gab´s hier auch irgendwo, war die nicht gegenüber vom Bahnhof? Und der Tafelladen lag zwischen dem nördlichen Selling und Spitzing Ost, gleich neben dem neueren Wertstoffhof. Der ältere, an der Kirchfeldener Landstraße, war auch noch eine Möglichkeit, wenn der andere ablehnte.
Günstig, sie würde zuerst die Kleiderkammer fragen und dann den Wertstoffhof, wenn die Kleiderkammer kein Interesse haben sollte. Am Montag.